Als das Böse die Bühne betrat
Den Ahnen des Gothic Chic und dem Schrecken der Erkenntnis gilt eine großartige Schau im Frankfurter Städel
Am Beginn der Ausstellung lauert das Urbild gruftiger Schauerromantik, Johann Heinrich Füsslis „Der Nachtmahr“ von 1790. Das Gemälde soll den Zeitgenossen so zugesetzt haben, dass weniger abgebrühten Seelen geraten wurde, sich ihm besser nicht zu nähern.
Das Bild mit dem von oben hereinblickenden Pferdekopf und dessen pupillenlosen Riesenaugen, dem kleinen Dämon, der auf dem verrenkten, leblosen Frauenkörper hockt, hat aber nicht nur durch seine Motivik verschreckt. Das Auge des Betrachters findet hier keine festen Haltepunkte, keine Fenster oder Säulen; orientierungslos irrt der Blick durch einen undefinierten Raum. Naheliegende Erklärungen existieren nicht – der Schrecken, das Böse betritt unvermittelt die Bühne, zu seiner Bannung sind weder Begriffe noch Rituale zur Hand.
Wer nun das Bild im Frankfurter Städel-Museum umrundet, findet sich in einer schwarzen Röhre wieder. Quasi auf der Rückseite von Füssli läuft ein Ausschnitt aus dem „Frankenstein“-Film von 1931, in dem Boris Karloff seinen kantigen Schädel in die Landschaft hält. Der Kurator Felix Krämer hat genau die Szene ausgewählt, in der die missgestaltete Kreatur der vornehmen Lady nachsteigt. Entsetzt schreit sie auf, Beschützer rütteln an der Tür, die Kreatur flieht. Zurück bleibt die Frau, hingestreckt auf dem Bett – in der Pose, die Füssli 140 Jahre früher malte. Womit schlagend bewiesen ist, dass die Schauerromantik der Aufklärungszeit das Arsenal für die Popkultur des 20. Jahrhunderts liefert.
„Die Welle“ Carlos Schwabes von 1907 mit ihren somnambulen Typen, die dem Betrachter entgegenlaufen, führt in direkter Linie zu George A. Romeros Zombies. Goyas „Kannibalen beim Vorbereiten ihrer Opfer“, wo die Hingemordeten an Stricken auf ihre Verwertung warten, stand Pate für Tobe Hoopers „Texas Chainsaw Massacre“. Dabei ist die Erkenntnis nicht neu, dass die Romantik mit ihrem Gothic Chic, ihren Vampiren, Dämonen und einstürzenden Tempeln das Setting für die Popkultur kreierte. Aber in welchem Ausmaß das geschah, ist verblüffend. Es hat den Anschein, als hätte Goya seine „Desastres de la guerra“ gemalt, um als Ausstatter beim nächsten „Resident Evil“ engagiert zu werden.
Die großartige Ausstellung „Schwarze Romantik“, die ihren Titel einem bahnbrechenden Buch von Mario Praz aus dem Jahr 1930 verdankt, befördert am laufenden Band solche Überlegungen. Sie ist ungeheuer anregend auch deshalb, weil hier alle gleichberechtigt nebeneinanderstehen, Caspar David Friedrich neben Thomas Cole, William Blake neben Lucien Lévy-Dhurmer, Eugène Delacroix neben William Degouve de Nuncques.
Die Parameter für die sogenannte schwarze Romantik wurden in ausschweifenden Debatten gelegt, das Verhältnis von Vernunft und Schrecken, Gut und Böse, Ratio und Trieb geklärt. Dass die Aufklärung nichts ist ohne ihre dunkle Seite, dass die Ästhetik des Hässlichen und des Schreckens wichtig ist für die Erleuchtung, kann als etablierte Gewissheit gelten. Dem Besucher des Städel-Museums ist nun die schöne Aufgabe zugewiesen, als Aufklärer durch ein Bestiarium zu streifen, in dem eine kluge, aber zurückhaltende Regie Fährten gelegt hat. Er zieht ständig Verbindungen, entdeckt Überraschendes, sammelt Beobachtungen und Einsichten.
Das beginnt bei Füssli sowie „Frankenstein“. Beide zeigen die auf das Bett hingestreckte Frau, das Opfer. Im Film ist noch zu sehen, wie das Monster sich verkrümelt. Daneben hängt Goya – er malte nur das Dazwischen. Auf „Bruder Pedro schlägt El Maragato mit dem Gewehr“ trägt der Geistliche eine selig verträumte Miene zur Schau, mit der er den gesuchten Banditen, einen „Sozialrebellen“, wie ihn Eric Hobsbawm vielfach beschrieben hat, hinmacht. Der Schrecken steckt hier im Gesicht des Pfaffen. Wie viel besser meuchelt es sich doch mit dem Glauben im Herzen; Gnade ist hier nicht zu erwarten.
Weiter geht es zu Delacroix und Géricault, die Medusen, Hexen und die Sintflut beisteuern. Hauptwege und Nebenpfade werden kenntlich, auch der Kitsch stellt sich unvermeidlich mit dem Erfolg zusammen ein. Symbolismus und Surrealismus sind legitime Erben und Fortsetzer der schwarzen Romantik. Nach Salvador Dalí bleibt eigentlich nur noch der Museumsshop – aber dann folgt doch noch ein Raum mit Max Ernst, der etwa in seinem „Grätenwald“ von 1927 die Schrecken der Technik als der zweiten Natur ins Bild setzt.
Diese Ausstellung setzt den Verstand in Bewegung, ohne dass angesichts des Horrors der Besucher sich fühlt wie Kleist angesichts Caspar David Friedrichs‘ düsterer Visionen – „als ob Einem die Augenlider weggeschnitten wären“. Goya schrieb unter eines seiner Bilder: „Man kann es nicht ansehen.“ Aber man muss es, sonst ist eine Aufklärung unvollständig, die am Ende registrieren muss, dass die schrecklichsten Bilder, die von Goya, auch die ästhetisch gelungensten sind. Mögliche Antworten auf dieses Problem sind in der Ausstellung einige versteckt.
Mario Scalla, taz 01.10.2012
AUSSTELLUNG: „Schwarze Romantik. Von Goya bis Max Ernst“.
Städel-Museum Frankfurt, bis 20. Januar 2013
Katalog: „Schwarze Romantik“, Hatje Cantz, 305 Seiten, 45 Euro
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