Guernica (Pablo Picasso, 1937)
Bredekamp will aufklären – und er möchte Horkheimers und Adornos „DIALEKTIK DER AUFKLÄRUNG“, die noch nichts von einem ›Iconic turn‹ wissen konnten, fortschreiben

Als Colin Powell im Februar 2003 im Gebäude der Vereinten Nationen in New York saß und die Weltöffentlichkeit von der Notwendigkeit eines Krieges überzeugen wollte, hing hinter ihm ein Wandteppich mit den Motiven von Picassos ‚Guernica‘. Allerdings konnte ihn niemand sehen; er wurde verhängt, denn natürlich hätten die berühmten Szenen ausgesprochen kontraproduktiv gewirkt.

Die große Weltmacht hatte Angst vor einem Bild, und diese Angst führt mitten hinein in die Gemengelage um aktuelle Bilderkämpfe und hin zu Fragen, wie in diesem ‚Iconoclash‘, diesem Krieg der Bilder, die friedensstiftende Vernunft gestärkt werden kann. Nichts anderes war der Versuch des Berliner Kunsthistorikers Horst Bredekamp 2007 auf den Adorno-Vorlesungen, die nun als Buch herausgekommen sind.

Bredekamp will aufklären -und er möchte Horkheimers und Adornos ‚Dialektik der Aufklärung‘, die noch nichts von einem ‚Iconic turn‘ wissen konnte, fortschreiben. Zu diesem Zweck nimmt er eine ‚lebendige Eigenkraft des Bildes‘ an. Dieses ist körperlich zu spüren. Es blickt den Betrachter nicht nur an, vielmehr entfaltet es, wie der amerikanische Bildtheoretiker W.J.T. Mitchell formulierte, einen ‚Medusa-Effekt‘: Es möchte aus dem Betrachter wiederum ein Bild für den eigenen Blick machen.

Diese Fähigkeit des Bildes hat in der Geschichte häufig zu ikonoklastischen Aktionen geführt. Die Taliban etwa wehrten sich militant gegen diese Bildkraft und zerstörten Buddha-Statuen. Aber auch das Gegenteil, die Idolatrie, ist ein heimtückischer Gegner. Bilder werden Bredekamp zufolge zu ‚Primärwaffen‘, wenn Terrorkrieger Soldaten der Gegenseite exekutieren, nur um Videos von dieser Tat zu drehen und auf westlichen Bildschirmen Furcht und Schrecken verbreiten zu können.

Zwischen den Extremen muss also vermittelt, ein Maß gefunden werden. Bredekamp hat einen besonderen und theoretisch herausragenden Weg gefunden. Er entwickelt angelehnt an die Sprechakttheorie von John Austin und John Searle eine Theorie des Bildaktes. Er unterscheidet drei Bildakte: den schematischen, den substitutiven, den intrinsischen. Ersterer bezeichnet die Verbindung von Bild und Körper, wie sie in den Tableaux vivants oder in modernen Visionen, in denen sich Menschen mit Maschinen verbinden, erscheinen; der zweite dreht sich um den Austausch von Bild und Körper und reicht vom Abbild Christi im Tuch bis zu gegenwärtigen Bilderstürmen. Der dritte Bildakt ist derjenige, der der Aufklärung den Weg weisen könnte.

Dieser Akt führt, ganz auf der Linie Adornos, über die Form. Durch die Wahl einer bestimmten Form gewinnen Bilder oder Zeichnungen eine Kraft, die nur aus ihnen selbst kommt – daher ‚intrinsisch‘ -, keiner Autorintention oder eines sonstigen äußeren Anstoßes bedarf. Sie wurde hergestellt, steckt aber ausschließlich im Werk selber. Als Charles Darwin die Evolution in der Gestalt eines Baumes visualisierte, gewann das Bild schnell eine Eigendynamik, wurde populär und verstellte letztlich die Vorstellung von der Evolution als einem komplexen, von vielen Faktoren abhängenden Prozess. Nicht minder einflussreich ist das Bild der Doppelhelix, deren Form sich aus einer Zeichnung von Odile Crick, der Frau des Entdeckers der DNA, Francis Crick, herleitet. Es beherrschte aufgrund der Bildkraft die Vorstellung weit über die Fachgrenzen hinweg – und hat doch nicht sehr viel mit der biologischen Realität zu tun. Diese ‚lebendige Eigenkraft‘ der Bilder kann gefährlich, kann auch lästig werden, wenn sie zu unzulässiger Simplifizierung leitet. Unschädlich lässt sie sich auf keinen Fall mehr machen, denn Bredekamp verortet sie bereits in frühen menschlichen Kulturen und erklärt sie zu einer anthropologischen Konstante.

Verständnis und Distanz sind die Losungsworte des Wissenschaftlers. Die Menschen sollen Distanz gegenüber ihren autonomen Artefakten gewinnen. Wenn sie das schaffen, gilt: „Das Ich wird stärker, wenn es sich gegenüber der Aktivität des Bildes relativiert.“ Bredekamps Theorie hat unbestreitbar rationalisierende Effekte im Bilderkrieg. Doch ob das hier wahrlich nicht zum ersten Mal bemühte Ego das letzte Wort sein kann, ist eine offene Frage. Das wäre letztlich mehr ‚Minima moralia‘ und weniger ‚Dialektik der Aufklärung‘. Wer soll dieses Ich sein? Der kunstgebildete Museumsbesucher, der Fälle von Idolatrie in der Gegenwart sofort entziffert? Der immun ist gegenüber ikonoklastischen Versuchungen? Oder ergibt sich aus dieser Theorie heraus auch ein gesellschaftskritischer Ansatzpunkt, der institutionelle Hinweise für Museen, Medien oder Gesetzgeber enthält? Schließlich ist nicht nur die Moderne, sondern auch die Aufklärung ein unvollendetes Projekt.


Text.: Mario Scalla

Text erschienen in Frankfurter Rundschau




Horst Bredekamp, Theorie des Bildakts.

Suhrkamp Verlag, 463 Seiten, 39,90 €


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