Die 9. Berlin-Biennale versucht sich an einer Wiederauflage der Strategie der kritischen Affirmation. Und landet im Fitness-Center
„Kann mir jemand den Humor Witz erklären?“ Der neuseeländische Kurator ist genervt. Gerade hat er die Bandenwerbung der 9. Berlin-Biennale passiert. „Why should fascists have all the fun“ ist da auf einer Fahne am Außengebäude der Kunst-Werke in der Auguststraße auf leuchtend blauem Grund zu lesen. „Aber ich will deren Spaß gar nicht“, postet er empört auf Facebook. „Ich will die Welt retten.“
DIS, das vierköpfige, amerikanische Kuratorenteam der Biennale dürfte sich vermutlich gefreut haben über die Reaktion des Kunstbetrieblers. „Statt Vorträge über Ängste abzuhalten, lasst uns die Leute erschrecken“ schreiben sie im kuratorischen Statement ihrer Show – Schocktherapie geglückt.
Der ausländische Kurator war freilich nicht der einzige, der den Kopf schüttelte ob des Pseudo-Jokes. Manche fühlten sich daran erinnert, wie Artur Zmijewski, Künstler-Kurator wie DIS, zur 7. Biennale 2012 statt zum kritischen Appropriateur unfreiwilliger Wiedergänger der Nazi-Ästhetik wurde, als er im ehemaligen jüdischen Scheunenviertel um die Auguststraße Schaufenster weiß malen ließ, um an die Arisierungspolitik des „3.Reichs“ zu erinnern.
Jedenfalls: Die verunglückte Komik diesmal ist so bewusst gesetzt wie symptomatisch. Sie kokettiert mit dem Gegenteil der Kunst. Das, in blauen römischen Ziffern, stilisierte „IX“-Symbol der Schau kommt wie ein Hochglanz-Firmenlogo daher. Alle Ausstellungsorte sind mit den Bildern keimfreier Business-People wie aus einem Bank-Prospekt tapeziert.
Nehmen wir versuchsweise an, das Kuratoren-Kleeblatt wollte damit nicht für die Dienstleistungsindustrie werben. Das hieße wohl, dass ihre Corporate Identity den Modus der „kritischen“ oder „subversiven Affirmation“ (SA) aufruft. Sie soll signalisieren: Wir sehen vielleicht aus wie die Deutsche Bank. Aber hey, wir unterminieren sie und ihre Ideologie, indem wir sie imitieren.
Vergessen wir für einen Moment, dass das kein neuer Ansatz ist. Biennalen sind dennoch der Ort für Versuche, Altbewährtes auf neue Verhältnisse wie die, in virtueller Knechtschaft liegende „Post-Gegenwart“ anzuwenden, die DIS entdeckt hat. Nur leider geht diese Strategie nicht so recht auf.
Nicht, dass es – wie bei jeder problematischen Biennale – nicht auch schöne Arbeiten zu sehen gäbe. Etwa Hito Steyerls ungewohnt surreale Videoarbeit „Stairway to chaos“ im Keller der Akademie der Künste über Saddam Husseins Versuch, den Turm zu Babel zu restaurieren.
Simon Fujiwaras „Happy Museum“ der deutschen Glücksfetische vom Spargel bis zur Kinderschokolade. Simon Dennys, im ehemaligen DDR-Staatsratsgebäude – heute Sitz der European School of Management and Technology – kongenial platzierte Arbeit über virtuelle Währungen.
Entweder fehlt die für das SA-Konzept überlebensnotwendige Ironie. Anna Uddenbergs Skulptur einer auf dem Rücken liegenden Frau, die sich ihre Scham mit dem Smartphone bespiegelt beispielsweise, spießt die contemporane Selfie-Manie mit plattestem Brutalsarkasmus auf.
Oder sie wechseln gleich ins Dienstleistungslager. Auch wenn es ein Vorteil des DIS-Konzepts der verschwimmenden Grenzen zwischen Kunst und Kommerz ist, die sozialökologischen Impulse der allerjüngsten Kreativindustrie sichtbar zu machen.
An Nik Kosmas‘ Fitnessgeräten in der Akademie können Besucher für 10 Euro ein „Open Workout“ buchen. Sollen sie hier den Irrwitz der in unzähligen Texten befeindeten, neoliberalen „Selbstoptimierung“ auszuschwitzen? Irgendwie fehlt der Affirmationsidee dieser Biennale das subtile Moment, das sie ins wirklich Subversive wendet.
„It’s a start up!“ versuchte Christopher Kulendran Thomas Besucher von seiner postnationalen Erlebnis-Suite „New Eelam“ zu überzeugen. Warum sammelt er dafür dann nicht auf einer Design-Messe? Hatten die DIS-ler sich nicht in Interviews zu „Kindern des Börsen-Crashs“ von 2008 stilisiert?
So unterläuft diese Biennale ihre eigenen Ansprüche. In Umkehrung eines abgenutzten Axioms ließe sich bilanzieren, dass ihre materielle Basis oft nicht hält, was der rhetorische Überbau verspricht.
Die DIS-Biennale wirkt wie dere, ins Dreidimensionale entlassene, Website „DIS Magazine“. Gegen diese delirierende Lounge aus Kunst und Werbung, Lifestyle und Kreativindustrie, samt Ökosaft-Bar und Aufsichts-Uniformen, gegen Kritik immunisiert mit diversen Politintarsien, waren Laibach oder Jonathan Meese raffinierter.
Wehmütig denkt man an Christoph Schlingensiefs Aktion „Ausländer raus“ vor 16 Jahren auf den Wiener Festwochen. Und wer gern virtuos zwischen Scheinwelt und Realität switchen will, könnte sich an einen Film aus dem Jahr 1999 erinnern. Mit einer „Matrix“-Biennale-Form hätten wir womöglich echten Fun.
Ingo Arend
erschienen in taz vom 6.6.2016
Bilder: 9. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst (4.6.–18.9.2016) / Simon Fujiwara – Installationsansicht / The Happy Museum, 2016 – Beratung Daniel Fujiwara – Courtesy Simon Fujiwara Foto: Timo Ohler
Die 9. Berlin Biennale öffnet vom 4. Juni bis 18. September 2016 für das Publikum an verschiedenen Orten in Berlin. Mehr Informationen gibt es bald hier sowie auf Facebook, Twitter und Instagram.
The Present in Drag. Berlin-Biennale for Contemporary Art. 4.6. –18.9.2016. Katalog, Distanz-Verlag, 16 E
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