Bilder einer Ausstellung
Daniel Tyradellis‘ Schrift „Müde Museen“ ist praxisorientierte Institutionskritik
Fast 7.000 Museen, 125 Millionen Besucher im Jahr, mehr, als die Bundesliga Zuschauer hat: Es gibt kaum eine Kulturinstitution, die in den letzten 20 Jahren in Deutschland derart boomte wie das Museum. Wie kann man da auf die Idee kommen, der Deutschen liebstes Freizeitziel sei „müde“?
Daniel Tyradellis‘ Buchtitel „Müde Museen“ bezieht sich nicht auf das Institut Museum allein. Mit dem Untertitel: „Wie Ausstellungen unser Denken verändern könnten“ zielt er darauf, wie in und mit ihm gearbeitet wird. Der 1969 geborene Philosoph und Wissenschaftshistoriker, der selbst als Kurator arbeitet, stellt in seiner Denkschrift die traditionellen Präsentationsformen in Frage. Für ihn heißt Ausstellungen machen zu allererst: „Im Raum denken“. Und dabei gleichzeitig möglichst wenig formalen Beschränkungen unterliegen. Folgerichtig verteidigt er Museen zuallererst, weil sie für ihn die „unerhörtesten institutionalisierten Freiräume in unserer Gesellschaft“ sind. Man müsse sie nur richtig nutzen.
Zeit der Staufer
Wer die ewig wiederkehrenden Schauen zu „Picasso und seine Frauen“, oder der „Zeit der Staufer“ vor Augen hat, wird Tyradellis‘ Kritik zustimmen, dass sich die meisten Ausstellungen damit begnügten, längst bekannte Bedeutungsinhalte nachzuerzählen beziehungsweise zu bebildern. Und den Kurator als privilegierten Wissensträger zu inszenieren. Er will weg davon, „die immer gleichen Praktiken mit dem besten Gewissen zu wiederholen“.
Stattdessen wünscht er sich Ausstellungen, die möglichst viele, unterschiedliche Objekte in überraschenden Konstellationen in ein neues Licht rücken. Jedes der üblichen Rituale und Schemata, mit dem man das Nachdenken abschließt, statt es zu öffnen, seien es Ausstellungstexte oder Chronologien, sind dem experimentierfreudigen Mann zuwider.
Seine Definition vom Museum als „Drittem Ort“ und von der Ausstellung als „Ort des Dazwischen“ zielt auf produktive Verunsicherung. Es geht ihm um die „Begegnung verschiedenster Evidenzen und der Entfremdung gegenüber dem eigenen Wissen und den eigenen Sehgewohnheiten“ – bei Besuchern ebenso wie bei Kuratoren. Gegen die Ermüdung plädiert er für das „Projekt der Erschöpfung“.
Er will den intellektuellen und materialen Fundus der Museen so weit wie möglich ausschöpfen, um zu unerwarteten Einsichten über Themen oder Objekte zu kommen, „so dilettantisch, fremd, sinnwidrig und paradox sie erscheinen mögen“. Das wichtigste Mittel dazu: Objekte aus Alltag, Wissenschaft, Kunst und Geschichte gleichberechtigt zusammenbringen. Bei Tyradellis liegt ein Hauch von Wunderkammer in der Luft!
Biennalen dieser Welt
Ganz neu ist dieser Ansatz freilich nicht. Unter dem Titel „Themenausstellung“ hat sich in den letzten 20 Jahren ebender Ausstellungstypus durchgesetzt, der Tyradellis vorschwebt. Vor allem die Biennalen dieser Welt verfolgen diesen Ansatz zunehmend. Er selbst hat schon einmal vorgemacht, wie dieses grenzüberschreitende Ausstellungsmachen aussehen könnte.
2007 kuratierte Tyradellis in Berlin die Schau „Schmerz“. Da konnte man im Museum Hamburger Bahnhof einen historischen Beißstab für Narkosepatienten neben Schmerzzeichnungen von Patienten und im Medizinhistorischen Museum der Charité eine Videoinstallation von Bill Viola sehen.
Tyradellis‘ vehementes Plädoyer für das Museum als frei flottierenden Denkraum ist ein erfrischendes Kontrastmittel zum routinierten Ausstellungsbetrieb. Trotz vieler Zitate von Georges Bataille, Jacques Derrida oder Michel Foucault schwankt seine Schrift freilich oft zwischen philosophischem Höhenflug und pragmatischem Ratgeber. Mal nennt er Museen „Labore des Sozialen“, will mit Ausstellungen „Möglichkeitsräume eröffnen“. Dann wieder rät er dazu, „beim Präsentieren auratischer Dinge Vorsicht“ walten zu lassen. Und gibt praktische Tipps für den Umgang mit Objektschildern und Audioguides. Auch Weisheiten wie die, dass „Vermittlung ein wechselseitiger Prozess“ ist und Ausstellungen zum „eigenen Wahrnehmen ermutigen“ sollten, sind nicht gerade taufrisch.
So lesenswert sein Appell auch ist: Im Museum nur noch „evidenzkritische“ Ausstellungen zu sehen, würde irgendwann auch ermüden. Und wer das kulturelle Erbe neu befragen will, muss es überhaupt erst mal vermitteln – jeder Generation neu. „Kultur für alle“ sagt man dazu.
Ingo Arend, taz 11-04-2014
Bild: Alkohol-Forschungssammlung im Naturkundemuseum Berlin; Author Anagoria
Daniel Tyradellis: Müde Museen.
Oder: Wie Ausstellungen unser Denken verändern könnten
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