„Im Fluss der Zeit“
Unkommentiert zeigt das Kunstmuseum Wolfsburg Aufnahmen des Magnum-Fotografen Steve McCurry von den Krisengebieten dieser Welt.
Zwei Männer in einer Wolke aus weißem Dampf. Einer trägt einen roten Turban, einer ein weißes Käppchen. Sie sitzen auf dem Stahlgehäuse einer rußigen alten Dampflok, einem jener echsenartigen Ungetüme des fordistischen Zeitalters. Aus dem schweren Gestänge des klapprigen Gefährts quillt weißer, aus dem Schornstein schwarzer Rauch. Im Hintergrund schimmert, elfenbeinern und erhaben, das berühmte Grabmal Tadsch Mahal.
„Im Fluss der Zeit“. Der Titel der Ausstellung, die das Kunstmuseum Wolfsburg seiner jüngsten Schau gegeben hat, hat durchaus etwas für sich. Denn wenn der Fotograf Steve McCurry heute nach Uttar Pradesh zurückkehren würde, würde er nichts von dem wiederfinden, was er antraf, als er 1983 zum ersten Mal Indien bereiste.
Insofern ist er durchaus der „Zeuge einer verschwundenen Welt“, als den ihn Markus Brüderlin, der Direktor des Museums, preist. Doch das ist noch die glaubwürdigste These einer Schau, mit der er den 1950 in Philadelphia geborenen Mann einem breiteren Publikum nahebringen will. Der wurde weltberühmt, als er 1979, zur Zeit der sowjetischen Invasion, die Grenze von Pakistan nach Afghanistan überwand.
Eingereiht in die Phalanx legendärer Fotografen
Man würde dem sympathischen und bescheidenen Mann den Platz in einer Reihe mit legendären Fotografen wie Man Ray, Brassaï, Edward Steichen und Henri Cartier-Bresson gönnen. Ihnen widmete das Museum von 2004 bis 2012 ambitionierte Einzelausstellungen. McCurry ist der erste lebende Fotograf in dieser Reihe. Es gehört aber schon einige Chuzpe dazu, eine Bedeutung dieser Größenordnung zu suggerieren, ohne sie wirklich zu belegen.
Gewiss: McCurrys Fotografie des afghanischen Mädchens Sharbat Gula ist zu einer Ikone des Medienzeitalters avanciert, seit sie 1985 auf dem Cover der Zeitschrift National Geographic erschien. Das Mädchen mit den weit aufgerissenen Augen und dem löchrigen, karmesinroten Schal um den Kopf geht auch heute noch als Sinnbild des westlichen Asienbildes durch: arm, hilfsbedürftig, aber emotional.
An dieser Fotografie wird auch deutlich, was das Können McCurrys ausmacht: die Fähigkeit, „auf den richtigen Moment zu warten“, die der Fotograf, wie er gern erklärt, von seinem berühmten Vorbild Robert Capa gelernt haben will. Und der es damit schafft, etwas so Unergründliches wie die Seele eines Menschen, einer Region sichtbar zu machen. Wahrscheinlich firmiert das Bild deswegen unter dem zwiespältigen Titel: „Afghanische Mona Lisa“. Aber ist der Auftragsfotograf, seit 1986 Mitglied der legendären Fotoagentur Magnum, wegen solcher Qualitäten gleich ein Jahrhundertkünstler?
Was eigentlich ist ein Kriegs- und Dokumentarfotograf?
Uta Ruhkamp, die Kuratorin der Schau, will McCurry als Kriegs- und Dokumentarfotograf vorstellen. Doch welche Kriterien ausschlaggebend für diese Einordnung sind, muss einem unbedarften Besucher schleierhaft bleiben. Ruhkamp hat die 112 Bilder starke Schau überwiegend chronologisch statt systematisch strukturiert. Und deshalb geht nun die Kriegsfotografie in einem Meer farbenfroher Asienbilder unter. Der Besucher steht entsprechend ratlos vor McCurrys zwischen seine Bilder aus dem ersten Golfkrieg platziertem Zitat, nach dem er „kein Kriegsberichterstatter“ sei, sondern eher „die langen, trüben Phasen zwischen den Kämpfen“ einfange.
Zwar lockt die Schau mit einer legendären Aufnahme zu Beginn: Das Schwarz-Weiß-Bild aus dem Jahr 1980 zeigt drei afghanische Krieger, deren zerfurchte Gesichter einer scharfkantigen Gesteinsspalte ähneln, von der aus sie einen sowjetischen Konvoi beobachten. Zum ersten Mal erschien es in der New York Times. Warum McCurry zur Farbe wechselte, bleibt ebenso unklar wie die Frage, warum er als Dokumentarist gilt: Ob man nun das Bild der vier shoppenden Frauen in der traditionellen, blauen Ganzkörper-Burka vor einem Laden in Kabul von 1992 nimmt oder das der vier Stelzenfischer am Strand von Weligama in Sri Lanka.
Vor allem die Aufnahmen aus seinen zahlreichen Asienreisen, mit denen er neun Monate im Jahr verbringt, sind geradezu klassisch durchkomponiert und immer wieder magisch aufgeladen. So wie die grandiose Aufnahme des mit Blattgold ummantelten heiligen Felsens im burmesischen Kyaiktiyo von 1996 – nicht gerade die Kennzeichen der Dokumentarfotografie.
Anachronistisches Bild von Asien
Kein Zweifel: McCurry ist ein herausragender Fotoreporter. Doch in Wolfsburg werden seine Fotos so unerörtert zu Kunst erklärt, dass am Ende ein ebenso pittoreskes wie anachronistisches Bild von Asien bestätigt wird, in dem die Menschen dem allgegenwärtigen Elend auch ihre fröhlichen Seiten abgewinnen. So wie der Schneider im indischen Porbandar, den McCurry 1983 aufgenommen hat, als er mit seiner uralten Pfaff-Nähmaschine in den Fluten des Monsun dahintreibt, ein zeitentrücktes Lächeln auf dem Gesicht.
Doch gerade in einer Zeit, in der Deutschland in Asien Krieg führt, hätte man sich die kritische Aufbereitung eines fotografischen Schaffens gewünscht, das die öffentliche Wahrnehmung einer fragilen Weltregion prägt wie kaum ein anderes.
Symptomatisch für diese Herangehensweise: Das Museum hat auf einen eigenen Katalog verzichtet. Stattdessen liegen sieben prachtvolle Phaidon-Bildbände mit McCurrys Aufnahmen aus. Ruhkamps Einführungstext, den die Kuratorin auf der Pressekonferenz im Beisein McCurrys vortrug, können die Besucher nicht lesen. So muss man den Eindruck gewinnen, die Ausstellung promote einen Verlag. Ein zweifelhaftes Verfahren für ein gut alimentiertes Haus, das stolz darauf ist, als eines der wenigen deutschen Museen mit einem „ästhetischen Suchprogramm“ die Moderne erforschen zu können.
Ingo Arend, taz 25.01.2013
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