Auf der Suche nach dem Ausdruck
Zwei ziemlich unterschiedliche Ausstellungen in Frankfurt beweisen die ungebrochene Attraktivität eines in Verruf geratenen Mediums
„Paint’less“. Der Satz auf Joseph Kosuth’s Fotografie kann vieles heißen. Vielleicht wollte der amerikanische Konzeptkünstler seinen Kollegen sagen: „Malt weniger“. Oder aber: Die Welt kann gar nicht abgebildet werden. „Incapable of being painted“ heißt nämlich eine Erläuterung zu der fiktiven Lexikon-Definition. Hat das Werk von 1966 dann aber so an die Wand gehängt, dass es wie Malewitschs Schwarzes Quadrat aussieht. Der Aufruf zum Ausstieg aus dem Bild kommt als das Tafelbild daher, das für Kosuth obsolet ist.
Seine Arbeit hängt in der Ausstellung „Malerei in Fotografie“. Und wer sich mit Argumenten wappnen will, warum die Malerei vielleicht doch noch eine Zukunft hat, sollte unbedingt diese großartige Schau im Frankfurter Städel besuchen. Es ist eine faszinierende Palette von „Strategien der Aneigung“, die die Kuratoren Martin Engler und Carolin Köchlin aufgefächert haben. Sie reicht von frühen Pionieren der fotografischen Avantgarde wie László Moholy-Nagy bis zu Wolfgang Tillmans, Kultfotograf unserer Tage.
Die getreue Wiedergabe der Realität, so muss man den Parcours interpretieren, hat der Fotografie nie gereicht. Immer wollte sie sich die Täuschungspotentiale der Malerei einverleiben, so narrativ und lyrisch agieren wie diese. Sonst hätte ein Künstler wie Jeff Wall sein Bild „Picture for Women“ von 1979 nicht als Paraphrase von Édouard Manets „Un Bar aux Folie Bergeres“ von 1881 angelegt, das durch seine „unmögliche“ Perspektive berühmt geworden ist.
Nur die amerikanische Künstlerin Sherrie Levine übt mit ihren Arbeiten unerbittlich Repräsentationskritik: Wenn sie in ihrer Arbeit „After Degas“ von 1987 Reproduktionen von Zeichnungen des französischen Meisters aufnimmt, zielt sie auf deren Rolle als Statussymbole und Marktfetische im Kunstsystem. Aber noch darin schwingt etwas von der Prägekraft eines verblassenden Leitmediums auf seine Nachfolger nach.
Derart indirekt wollte sich Holger Kube Ventura dem Thema Malerei nicht annähern. Der Direktor des Frankfurter Kunstvereins ist ein ausgewiesener Mentor politisch inspirierter Kunst. Acht Jahre nach der Aufsehen erregenden Ausstellung „deutschemalereizweitausenddrei“ von Nikolaus Schafhausen, einem seiner Vorgänger, will nun auch er beweisen, dass Malerei nicht nur Dekor für Kunstmessen und Unternehmerwohnzimmer ist, sondern ein „Potential für Weltentwürfe“ besitzt.
„Malerei der ungewissen Gegenden“ – mit dem etwas sperrigen Titel seiner Schau erweckt Ventura den Eindruck, die Legitimationsprobleme eines Mediums ließen sich schon dadurch lösen, dass man die klassische Motivik verunklart. Drei der vier jungen Positionen, die er in Frankfurt zeigt, zeigen nämlich so etwas wie Landschaften, die keine sind.
Ob man nun die Weltbilder des Frankfurter Städel-Schülers Hannes Michanek aus Stockholm nimmt, die an Vorbilder aus der Frührenaissance erinnern. Bei näherer Betrachtung aber plötzlich in ein Puzzle aus abstrakten Symbolen und Miniaturgeschichten aus der Jetztzeit zerfallen. Oder die dystopischen Szenerien des Leipzigers Tilo Baumgärtel, in denen Menschen in fahl beleuchteten Zwischenräumen kauern, die Tieren ähneln.
Sieht man einmal von der Frage ab, ob „gewisse Gegenden“ die Malerei diskreditieren. Dann dürfte das „Potenzial für Weltentwürfe“ von Venturas Protagonisten eher in ihren konstruktiven Fähigkeiten liegen. Man sollte sich von Susanne Kühns apokalyptischem Titel „Sintflut“ nicht täuschen lassen. Ihre explosionsartig ineinander fallenden Innen- und Außenräume sind für die Freiburger Künstlerin mehr eine Versuchsanordnung in Sachen Ruhe und Dynamik als ein – diffuses – Weltbild.
Vollkommen aus dem Raster fällt die Berlinerin Antje Majewski. Wenn sie die Farbtheorien von Johann Wolfgang Goethe, Philipp Otto Runge oder Harald Küppers mal als prismatisch bemalte Kugel oder Rechteck, mal als Strahlenkranz in eine große Halles des Kunstvereins hängt, dann ist . Wie bei Gerhard Richter ist Malerei bei Majewski die Frage nach ihr.
Wie unscharf Venturas Kriterium des „Ungewissen“ ist, zeigt sich vielleicht am deutlichsten bei Tilmann Baumgärtel. Denn der 1972 geborene Künstler, der gern der „Leipziger Schule“ der realistisch orientierten Malerei zugerechnet wird, nähert sich wieder dem gestischen Überschwang an, den man einst der neoexpressiven Malerei der 80er Jahre zum Vorwurf machte.
Ein Bild wie „Nachtwache“ von 2011, auf dem ein rot leuchtender Mann im Ballerinarock und einem Helm auf dem Kopf zu sehen ist wie auf Rembrandts gleichnamigem Bild von 1642, bedient mit seiner, dem Horrorfilm abgeschauten Mischung aus subtilem Grauen und surrealer Phantastik tendenziell den Fetischcharakter, den man der Malerei gern ankreidet.
Überhaupt fragt man sich, warum das Gestische der Malerei so unter Ideologie-Verdacht steht. Wenn sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts schon so analytisch und selbstreflexiv gewesen wäre, wie sie heute sein soll, hätte sich ein Fotograf wie der 1915 geborene Otto Steinert kaum derart für ihre Qualitäten interessiert.
Mit seiner „subjektiven Fotografie“ wollte der Essener Künstler das Genre zwar auch auf den Weg der Abstraktion führen. Doch wenn er in seinem „Luminogramm“ von 1952 seine eigene Bewegung dem lichtempfindlichen Film einschreibt, kommt er mit einem „objektiven“ Medium dem individuellen, spontanen Gestus der Malerei ganz nah, der heute verpönt ist.
Ingo Arend, taz 03.08.2012
– „Malerei der ungewissen Gegenden“
Frankfurter Kunstverein. Noch bis zum 16. September 2012.
– „Malerei in Fotografie“
Städel Museum, Frankfurt am Main. Noch bis zum 23. September 2012, Katalog, Kehrer, 22 Euro
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