VIEL FEIND, VIEL EHR!
Die kritische Kunstzeitschrift „Texte zur Kunst“ feiert ihr zwanzigjähriges Bestehen.
Ein Interview mit der Mitgründerin Isabelle Graw
„Texte zur Kunst“ – der Titel der Zeitschrift, die sie 1990 mit dem acht Jahre später gestorbenen Kunsthistoriker Stefan Germer gründeten, klang sehr trocken. Verfolgte aber eine bestimmte Absicht. Welche?
Wir haben uns monatelang den Kopf zerbrochen, wie die Zeitschrift heißen könnte und dann den Untertitel zum Titel erklärt. Die Betonung auf „Texte“ war schon insofern programmatisch als wir eine theoretische Debatte über künstlerische Phänomene auf hohem Niveau etablieren wollten. Um Bilder ging es zunächst nur in zweiter Linie.
So etwas wie die Cahiers du Cinéma?
Ein großes Vorbild war eher die amerikanische Zeitschrift October. An der bemängelten wir jedoch ihren Ausschluss von popkulturellen Phänomenen, sowie ihren Hang zum Kulturpessimismus. Anders als andere Kunstzeitschriften wollten wir Kunst nicht promoten, sondern als zu diskutierendes Problem auffassen. Selbst Praktiken, die wir hoch schätzten, sollten kritisch auseinandergenommen werden.
Germer&Graw haben damals den FAZ-Kritikerpapst Eduard Beaucamp ins Kreuzverhör genommen. Geht es noch immer so scharf zur Sache?
Wir sind hoffentlich offener und gelassener geworden, um jedoch trotzdem Dissenz groß zu schreiben. Interessanterweise steht Texte zur Kunst immer noch im Ruf, eine dogmatische Parteizentrale zu sein. Wenn man sich die Zeitschrift dann aber anschaut, stellt man fest, das sie inzwischen beinahe pluralistisch anmutet.
Wie dogmatisch waren Sie denn?
Damals wie heute gilt: Wir sind links! Das bedeutet, den Kapitalismus als ein Ungleichheiten produzierendes System zu begreifen, und diese Ungleichheiten nicht als gegeben hinzunehmen. Kunst ist natürlich niemals unschuldig, sozusagen Teil des Problems. Andererseits kann sie symbolisch so etwas wie ein anderes Leben in Aussicht stellen. Stefan und ich hatten beide ein starkes Interesse an konzeptuellen und institutionskritischen Praktiken, aber auch an malereikritischer Malerei. Was wir nicht wollten, war hohler Lifestyle-Journalismus. Wir meinten, dass in künstlerischen Praktiken etwas auf dem Spiel steht. Es ging darum, eine gewisse Ernsthaftigkeit und Strenge und einen emphatischen Begriff von Kunstkritik zu etablieren. Die fand damals ja weitgehend ohne jede Begriffsarbeit oder Methodendiskussion statt.
Trotzdem steht „Texte zur Kunst“ in dem Ruf, eine Kultpostille für eine selbstverliebte akademische Klientel zu sein, schwer infiziert vom poststrukturalistischen Jargon…
Viel Feind, viel Ehr. Natürlich können einige Texte Jargon aufweisen. Gleichwohl erfordern komplexe Sachverhalte nun mal eine komplexe Begrifflichkeit. Diese Vorbehalte gegen Texte zur Kunst sind das Beste, was der Zeitschrift passieren kann. Wenn sie nicht auch immer wieder Hassobjekt und Stein des Anstoßes wäre, verlöre die Zeitschrift ihre Daseinsberechtigung.
„Wo stehst du, Kollege“ – wie hat man den Titel für den Kongress zum 20-jährigen Jubiläum im Berliner HAU zu verstehen?
Der Titel bezieht sich auf Jörg Immendorffs Bild von 1973 „Wo stehst du mit Deiner Kunst, Kollege?“ Einerseits ist er natürlich ironisch gemeint und spielt auf das Klischee an, dass Texte zur Kunst eine Art Zentralkomitee sei, dass seine Mitglieder ständig inquisitorisch zur Rede stellt. Andererseits scheint diese Frage aber auch auf Haltung und Lebensweise zu zielen, welche heute zunehmend ökonomisch verwertet werden. In der Konferenz geht es aber weniger darum, seine Existenz zu rechtfertigen, sondern um kunstkritische Methodenfragen.
Auf ihrem ersten Symposium 1998 in Berlin ging es schon einmal um die Frage, was „linke Kunstkritik“ ist. Heute steht im Untertitel wieder die Vokabel „Gesellschaftskritik“. Sie kauen immer noch an derselben Frage?
Bestimmte Fragestellungen erledigen sich einfach nicht. Und zu denen gehört auch die nach der Macht von Kritik.
Und was hat der biopolitische Diskurs mit der Kunstkritik zu tun?
Noch in den 80-erJahren galt es als ausgemacht, dass der Lebensbezug der historischen Avantgarden, also der Versuch, den Graben zwischen Kunst und Leben zu überwinden, ein emanzipatorisches Projekt ist. Heute muss man sich fragen, ob sich diese massive Aufwertung des Lebens nicht mit einer biopolitischen Dimension berührt, wodurch sie ihren rein emanzipatorischen Charakter womöglich verliert.
Früher war die Marktkritik Kern der Gesellschaftskritik. Welche Rolle spielt sie heute?
Den Markt an sich gibt es nicht. Speziell der Kunstmarkt setzt sich aus unterschiedlichen Segmenten zusammen, die jeweils eigene Gesetzmäßigkeiten aufweisen. Kritik – auch Marktkritik – ist wertbildend und dadurch dem Markt assoziiert. Sie verfügt aber auch über die Fähigkeit, einen externen (fiktiven) externen Standpunkt einzunehmen, sich zu dissoziieren. Man kann den Markt auch zur Bedingung der eigenen Involviertheit kritisieren.
In der Berliner Sammlung Haubrok ist derzeit eine Ausstellung von zwanzig Jahren Editionen von Texte zur Kunst zu sehen. Die Kunstkritik als Art-Dealer – kompromittiert das nicht die kritische Idee des Blattes?
Es gibt, glaube ich, keine Möglichkeit, als Institution vollständig unkompromittiert zu sein. Kritiker sind vielleicht noch am wenigsten kompromittiert, weil sie so wenig Geld verdienen können. Ich gebe zu: Die Editionen waren schon immer die Achillesferse von Texte zur Kunst. Sie haben uns aber nicht daran gehindert, die Ausstellungen von Editionskünstlern in derselben Ausgabe scharf zu kritisieren.
Interview: Ingo Arend
steht für kontroverse Diskussionen und Beiträge international führender Autor/innen über zeitgenössische Kunst und Kultur. Neben grundlegenden Essays bietet die 1990 in Köln von Stefan Germer (†) und Isabelle Graw gegründete und seit 2000 vierteljährlich in Berlin publizierte Zeitschrift Interviews, Gesprächsrunden und ausführliche Besprechungen zu Kunst, Film, Musik, Markt und Mode ebenso wie zu Kunstgeschichte, Theorie und Kulturpolitik. Seit 2006 erscheinen der umfangreiche, jeweils einem spezifischen Thema gewidmete Hauptteil sowie ausgewählte Besprechungen in Deutsch und Englisch. In jeder Ausgabe wird die Zeitschrift von international renommierten Künstler/innen mit exklusiven Editionen unterstützt.
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