Jeder Mensch ist ein Künstler
„Nach welchen Kriterien haben Sie eigentlich Ihre Teilnehmer ausgewählt?“ Befragt man die Macher von Kunstmessen wie dem Berliner Art Forum oder einer seiner zahlreichen Nebenmessen nach der Genese ihrer Schau, bekommt man in der Regel gewundene Antworten. Meist werden „befreundete Galerien“ eingeladen. Solche, deren Positionen man „gut findet“ oder die „ins Konzept passen“. Gern verschanzt man sich auch hinter dem ominösen Kriterium der Qualität“. Was es genau damit auf sich hat, bekommt man dann aber doch nicht zu hören. Auch nicht von den Zulassungsausschüssen, die sich manche Messen halten. Kunstmessen gerieren sich gern als die große Plattform für alle Kunstinteressierten. Ihre genauen Arbeitsgrundlagen bleiben jedoch meistens ziemlich intransparent.
Genau auf dieses Arkanum des Marktes zielt die Aktion, die sich die Leipziger Künstler Moritz Frei und Erik Weiser haben einfallen lassen. „Einzelausstellung“ heißt ihr Projekt, bei dem sich jeder Interessierte selbst für die Teilnahme an einer zweiwöchigen Kunstausstellung bewerben kann. Man kann Künstler sein, man muss es aber nicht. Einzige Bedingung für die Teilnahme: Einen Bewerbungsbogen abgeben und 1,99 Euro zahlen. Nach der Aktion, an der man auch online teilnehmen kann, entscheidet das Los. Bei einer Ziehung Ende Oktober wird aus den eingegangenen Bewerbungen eine oder ein Gewinner per Ziehung ermittelt. Sie wird dann im Herbst zwei Wochen lang in dem von Frei und Weiser gegründeten Kunstraum „Benjamin Richard“ in Leipzig ausstellen können, Vernissage inklusive. Die für die Ausstellung anfallenden Ausgaben werden durch die Summe aller eingegangenen Teilnahmegebühren finanziert. Die Aktion ist nicht nur ein lustiger Spleen zweier Kreativer. Es geht auch nicht nur darum, die Mechanismen des Betriebssystems Kunst ad absurdum zu führen. Joseph Beuys hätte seine Freude an der Aktion: Jeder Mensch ist ein Künstler.
Text: Ingo Arend
mehr Informationen unter:
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