Schönheit ist machbar
Weather Project. Wenn Besucher von der legendären Ausstellung in der Londoner Tate Gallery berichten, kommen ihre Augen noch immer ins Leuchten. Vor knapp sieben Jahren hatte der isländisch-dänische Künstler Olafur Eliasson eine riesige Sonne in eine alte Turbinenhalle des britischen Kunsttempels hängen lassen. Über den Boden waberte Nebel. Tagelang lagen die Besucher verzückt im Bann des glühenden Gestirns. Über zwei Millionen Menschen sahen zur Jahreswende 2003/2004 das Spektakel: die größte Einzelausstellung eines lebenden Künstlers, die es jemals gab.
Überwältigungsästhetik ist ein Etikett, das seitdem hartnäckig an Eliassons Kunst klebt. Nichts wäre falscher als das. Denn was in London zu sehen war: die Apparaturen, mit denen dieses „Natur“schauspiel hergestellt wurde, das ist auch in Berlin zu sehen. Der riesige, umgedrehte Kristallkörper, den er in die Mitte des Martin Gropius-Baus gestellt hat und der das Berliner Tageslicht – dem Titel der Ausstellung gemäß – in das Innere des ehemaligen Kunstgewerbemuse-ums spiegelt, verzaubert auf den ersten Blick wie ein kostbares Spiegelkabinett oder ein Kristallpalast. Doch an den Stahlverstrebungen auf der Rückseite, an den leicht zitternden Folien, aus denen er zusammengesetzt ist, kann man sofort das Gemachte erkennen: Schönheit, so die Botschaft des 1967 in Kopenhagen geborenen Künstlers, der seit 1994 in Berlin lebt, ist herstellbar.
Die Karriere Olafur Eliassons ist das typische Beispiel für den Künstler, der im Sog der Nachwendezeit in Berlin groß wurde. Das Raumerlebnis dieser Zeit, die plötzliche Öffnung von Räumen, die 40 Jahre lang fest definiert und unverrückbar schienen, die Unvorhersehbarkeit der Entwicklung des Raumes – all das hat den Künstler tief geprägt. Das Leben und die künstlerische Arbeit dieser Zeit spielte sich buchstäblich auf der Straße ab. Diese Zeit ruft die Arbeit „Berliner Bürgersteig“ aus dem Jahr 2010 auf, mit der der Ausstellungsparcours beginnt. Der Besucher betritt die Ausstellung auf jenen Steinplatten, aus denen in Berlin die Trottoirs zusammengesetzt sind. Auch auf diese Weise verschränkt Eliasson „Innen, Stadt und Außen“.
Der antielitäre Zug von Eliassons Werk lässt sich vielleicht am besten in seiner Aktion „Berliner Treibholz“ demonstrieren. Für die Ausstellung hat der Künstler Baumstämme, die die globalen Meeresströme aus Südamerika oder Sibirien an der Küste seines (baumlosen) Heimatlandes Island angeschwemmt haben, nach Berlin transportieren lassen. Die circa fünfzig, beiläufig in der Stadt verteilten Holzstämme, demonstrieren das Prinzip Migration. Wie Schwellen der Wahrnehmung platziert, schaffen sie ein neues Gefühl für den Stadtraum und seine von Routine und Pragmatismus bestimmte Wahrnehmung. Und sind ein schlagendes Beleg für die kritische Haltung Eliassons gegenüber dem Konzept der Meisterwerke.
Dreh- und Angelpunkt des Eliassonschen Werks ist aber die Frage nach der Wahrnehmung. Die für sein Werk typischen Spiegel dominieren auch die Berliner Ausstellung. In einem der Räume tritt man an eines der großen Fenster, um sich das Haus anzusehen, das scheinbar direkt neben dem Gropius-Bau steht. Bis man entdeckt, dass es sich um ein Gerüst handelt, auf dem Spiegel montiert sind. Sie reflektieren die Außenwand des Gropius-Baus, in dem sich der Betrachter befindet. Konzeptuelles und Konkretes, Ortsbezogenes verbinden sich in dieser Arbeit ebenso wie Außen- und Innenperspektive in eins fallen. Nichts an Wahrnehmung, das ist die Botschaft, ist selbstverständlich. Immer gilt es, den Kontext in Rechnung zu stellen, ihn sichtbar zu machen.
Während der Dauer der Ausstellung fährt zudem ein LKW durch Berlin, auf dessen Dach ein sich drehender Spiegel montiert ist. Im ganzen Stadtraum sind Fahrräder postiert, deren Räder verspiegelt sind. Was wie praktizierter Surrealismus wirkt, funktioniert in Wahrheit aber wie eine Metapher auf den Mechanismus, nach dem Wahrnehmung funktioniert: Die reale und die gespiegelte Realität sind zwei Seiten derselben Medaille. Und auf die Pfaueninsel im Süden Berlins hat er eine modifizierte Variante seines „Blind Pavillion“ stellen lassen, den er schon in der Venedig-Biennale 2003 zeigte. Auf einem nach dem Prinzip der Zentralperspektive gebauten Parcours sind wechselweise lichtdurchlässige und undurchlässige Glasbausteine und Spiegel montiert. Mal sieht der die Installation durchschreitende Betrachter etwas, mal wird sein Blick plötzlich geblendet. Der Betrachter ist auf seine Rolle als Betrachter zurückgeworfen: Der Pavillon schaut zurück. Wer aus Eliassons Werk einen Zusammenhang von Demokratie und Ästhetik zu destillieren versucht, stößt auf das Prinzip Aufklärung durch Selbstaufklärung: „Ich glaube, das Potential von Kunst ist es, wie schaffen wir es, unsere Selbstreflexivität oder Selbstkritikalität zu verschärfen“ erläuterte er einmal sein Credo.
Das kritische und widerständige Potential seiner Kunst unterläuft Eliasson aber gelegentlich selbst. Auf der einen Seite wendet er sich gegen den (Kunst-)Markt und das, was er die konsumistische Wahrnehmung von Kunst nennt: Die Vermassung, Trivialisierung und Simplifizierung des Kunsterlebnisses. Trotzdem fragt man sich, warum er seine interessante Strategie der Verunklarung, mit der er gegen den Trend der schnellen und gefahrlosen Wahrnehmung ankämpfen will, so gefällig inszeniert. Drei große Räume im Gropius-Bau, die man durch eine Holzschwingtür betritt und – wie in einer Dampfsauna – mit Nebel gefüllt hat, hat Eliasson „Your blind movement“ genannt. Sie sind der Versuch, so etwas wie einen „unklaren Raum“ zu schaffen, einer, bei dem nicht von vorneherein eine bestimmte, schnelle, gefahrlose Deutung möglich ist. Eliasson gelingt es zwar auf diese Weise, „das Gefühl für die physische Präsenz“ des Einzelnen im Raum zu verstärken. Es gelingt ihm womöglich auch, das Sehen zu destabilisieren, um seine Umgebung neu wahrzunehmen, wie er im Gespräch mit Mark Wigley erläutert. Doch so wie er die Räume ständig die Farbe wechseln lässt, schwebt man durch die Arbeit wie durch ein Regenbogenenvironment. So fällt die Wahrnehmungsstörung dann doch ausgesprochen angenehm aus.
Dem Prinzip Wunderkammer folgt die Arbeit „Model Room“ aus dem Jahr 2003: Den großen Tisch mit den glitzernden Objekten aus gewundenem Draht oder silberüberzogenen Steinen, den er in den Gropius-Bau gestellt hat, manche von ihnen sehen wie Naturobjekte aus, manche wie Architekturmodelle. Vom Prinzip her gleichen sie den vier künstlichen Wasserfällen, die er 2008 längs des New Yorker East Rivers aufgestellt hat. Immer geht es Eliasson darum, in ein Zwischenreich zu entführen: das zwischen Naturwissenschaft und zweckfreier Kunst, das, in dem die Grenzen zwischen Natur und Kultur zu fließen beginnen. Doch ausgerechnet ein isländischer Landsmann hatte ihm kurz vor der Eröffnung der Ausstellung einen Strich durch die kulturalistische Rechnung gemacht. Die beeindruckende Aschewolke, die der Vulkan Eyjafjallajökull wochenlang über ganz Europa spuckte, mag zwar „sehr schön“ sein, wie Eliasson in Berlin anerkennend sagte, ist aber nichts anderes als: Natur pur!
Text: Ingo Arend
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