Eine Ausstellung im Mönchehaus Museum Goslar, Museum für Photographie in Braunschweig | 
Der Hans-Thoma-Preis, Staatspreis des Landes Baden-Württemberg, wird seit 1950, seit 1971 alle zwei Jahre an Bildende Künstler und Künstlerinnen vergeben, die bereits ein anerkanntes Werk aufweisen oder eine Weiterentwicklung zu hohen Leistungen erwarten lassen. Sie müssen in Baden-Württemberg geboren sein oder hier einen Schwerpunkt ihrer Arbeit haben. Die Auszeichnung ist seit 2022 mit 25.000 Euro dotiert. Benannt ist der Preis nach dem in Bernau im Schwarzwald geborenen Maler Hans Thoma (1839-1924).

Anlässlich der Preisverleihung, die traditionell in Bernau am Hans-Thoma-Tag, dem zweiten Augustwochenende eines ungeraden Jahres stattfindet, wird eine Ausstellung mit Werken des neu nominierten Preisträgers im Hans-Thoma-Kunstmuseum eröffnet.“ (wikipedia)

Über Hans Thoma und der Geschichte des Preises mit seinem Namen hatte das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg im Jahr 2018 eine wissenschaftliche Studie in Auftrag gegeben. In der daraufhin erschienenen Publikation „Hans Thoma (1839-1924). Zur Rezeption des badischen Künstlers im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit“ haben die Historiker Simon Metz und Isabelle Löffler 2022 empfohlen, dass im Rahmen von Thoma-Ausstellungen oder der Verleihung des Hans-Thoma-Preises auch dessen deutschnationalen und antisemitischen Äußerungen thematisiert werden sollten.

Im Jahr darauf erhielt diesen Preis Marcel van Eeden „für seinen Beitrag zur Entwicklung der neueren Kunst“. Der aus den Niederlanden stammende Maler, Zeichner und Fotograf griff sogleich diese Empfehlung auf. „Er ist in die Archive gegangen und hat recherchiert. Seine forschende und seine künstlerische Auseinandersetzung mit Hans Thoma schaffen mehr Klarheit über den Maler und die Schattenseiten seiner Biographie“, so Kulturstaatssekretär Arne Braun. „Der diesjährige Hans-Thoma-Preisträger eröffnet mit seiner Ausstellung einen neuen Blick auf den Künstler Hans Thoma, indem er sich mit einer bislang wenig beleuchteten Seite künstlerisch auseinandersetzt. Er ergänzt das Bild, das wir vom Maler Thoma haben, um Erkenntnisse aus bislang kaum erforschten Briefwechseln und Zitaten. Marcel van Eeden setzt sich in seinen Bildern mit den völkisch-nationalen Ansichten und auch antisemitischen Äußerungen von Hans Thoma auseinander.“

Marcel van Eeden in seiner Ausstellung im Museum für Photographie Braunschweig (alle Abb.: Kull.Vis.Komm.).

Marcel van Eeden, am 22. Nov. 1965 in Den Haag geboren, hatte1989-93 an der Koninklijke Academie van Beeldende Kunsten seiner Geburtsstadt Malerei studiert. Freischaffend lebte er danach einige Jahre in Berlin, ging dann jedoch 2014 als Professor für Malerei/Grafik an die Staatliche Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe. Seit dem 1. Okt. 2021 ist er dort Rektor. Marcel van Eeden lebt und arbeitet in Karlsruhe, Zürich und Den Haag.

Als Niederländer war ihm bei seinen Recherchen besonders aufgefallen, dass Hans Thoma, was bislang kaum bekannt war, Ende des 19. Jahrhunderts eine Fahrt nach Amsterdam unternommen hatte. Reiseziel war die dortige „Rembrandt tentoonstelling“, die September bis Oktober 1898 im Stedelijkijk Museum im Rahmen der Krönungsfeierlichkeiten für Königin Wilhelmina stattfand.

Nach der Errichtung von Denkmälern für Albrecht Dürer in Deutschland und Peter Paul Rubens in Belgien wurde 1853 auch eines für Rembrandt in Amsterdam eingeweiht. Aus solch patriotischen Motiven war es sicherlich auch zu der Idee für diese Ausstellung gekommen. Die äußerst ambitionierte Präsentation bestand aus 124 Gemälden sowie 350 Zeichnungen und Radierungen. Darunter auch Rembrandts monumentale „Nachtwache“, die in einer eigens dafür gezimmerten Holzverpackung von etwa vierzig Männern quer über den Museumplein vom Rijksmuseum zum Stedelijkijk geschleppt werden musste. Es existiert eine Fotoaufnahme, wie dafür dieses Bild kompliziert durch ein ausgebautes Fenster auf die Straße bugsiert wurde. Der Kurator Hofstede de Groot hatte sich eine monographische Ausstellung mit Rembrandts Gesamtwerk vorgestellt, doch 400 Gemälde wurden lediglich als Foto-Reproduktionen aufgehangen.

Bei seinen Nachforschungen stolperte Marcel van Eeden besonders über einen engen Kontakt von Hans Thomas zu dem Schriftsteller Julius Langbehn und dessen Buch „Rembrandt als Erzieher“. So reflektiert Eeden in seiner Preis-Ausstellung im August 2023 in Bernau und in dem dazu herausgebenen Künstlerbuch „1898“ (ISBN 978-3-7356-0921-2) Hans Thomas‘ Beschäftigung mit Rembrandt van Rijn unter dem Einfluss des ideologisch geprägten Kulturkritikers. „Mit Gummidrucken von den bereisten Orten, aufgenommen in der Gegenwart, und historischen Zitaten von Thoma bzw. Langbehn entsteht ein vielschichtiges, kritisches Bild völkisch-nationaler Kulturbetrachtung.“ (Verlagsmitteilung)

Der heute ziemlich vergessene Julius Langbehn, geboren am 26. März 1851 in Hardersleben/Nordschleswig (Dänemark), gab 1890 mit dem erwähnten Buch „Rembrandt als Erzieher“ einen Bestseller heraus. Der Autor wurde nicht genannt, stattdessen hieß es absichtlich geheimnisvoll „Von einem Deutschen“. Das Buch brachte es trotzdem oder gerade deswegen bereits im Erscheinungsjahr auf 60.000 Exemplare, 1933 war von der 300-Seiten-Publikation bereits die 80. Auflage überschritten. Langbehn hatte mit seinen nationalistischen Gedanken dem verängstigten Zeitgeist anscheinend passende Deutungen verliehen: „Unter allen deutschen Künstlern ist der individuellste: Rembrandt. Der Deutsche will seinem eigenen Kopf folgen, und niemand tut es mehr als Rembrandt; in diesem Sinne muß er geradezu als der deutscheste… Maler und sogar der deutscheste der deutschen Künstler genannt werden.“

Aus Anlass zweier Jubiläen gibt es vom 18. April bis zum 21. April 2024 zum ersten Mal eine Ausstellungs-Kooperation zwischen dem Museum für Photographie Braunschweig und dem Mönchehaus Museum Goslar. Da Marcel van Eeden in seinem bisherigen Werk stets nach Fotovorlagen gezeichnet bzw. gemalt und nun für das Thoma-Projekt selbst fotografiert hat, wurde er passend für eine Einladung zu dieser Doppel-Ausstellung gehalten.

Noch immer hält sich Macel van Eeden an das Konzept, ausschließlich Motive von Ereignissen vor seiner Geburt zu verwenden. Beharrlich bleiben für die Zeichnungen und Malereien unterschiedlichstes, historisches Bildmaterial sein Ausgangsmaterial, das in eigentlich absurden Erzählungen eine vermeintlich authentische Wirklichkeit suggerieren soll. Von diesen Arbeiten, z.B. Kriminal- oder SF-Geschichten im Stil von Graphic Novels, sind mehrere Beispiele als Original in voller Länge in Goslar bzw. in Braunschweig zu sehen, etwa „The Photographer (1945-1947)“ (2011/12), „The Restaurant“ (2013), „Zigmunds Machine“ (2019).

Blick in die Ausstellung „Der heimliche Kaiser“ im Mönchehaus Museum Goslar.

Außerdem gehört zu seiner üblichen Herangehensweise, auf die Ausstellungs-Orte jeweils direkt zu reagieren. So werden dieses Mal in beiden Ausstellungen neben den Zeichnungen und Malereien aus früheren Jahren neu entstandene Fotoarbeiten gezeigt, in denen sich Marcel van Eeden mit der Historie der Städte Goslar und Braunschweig auseinandersetzt. Dabei verweist er jedoch mit integrierten Text-Zitaten auch auf Verbindungen zu Julius Langbehn und seiner Schrift „Rembrandt als Erzieher“ hin. Diese Lichtbild-Serie mit dem Titel „Der heimliche Kaiser“ erinnert damit an die nationalsozialistische Vergangenheit. Sie dokumentiert aber auch diese manchmal doch recht merkwürdig wirren Assoziationsketten in dieser völkischen Gedankenwelt.

Querdenker gab es schon früher, Gläubige leider auch. Julius Langbehn lehnte die Demokratie ab, da sie auf dem Prinzip der Gleichheit beruhte. Mit seiner auffällig nationalistischen Einstellung träumte er in seinem Buch von einer künstlerischen Einzelperson, sein Führerideal war ein „unüberwindlicher Cäsar“, der Deutschland retten sollte. Die Demokratie verglich er mit einem Körper, der sich nach einem Kopf sehnte, nach dem „heimlichen Kaiser“.

Um ihren Eifer anzuspornen, will ich Ihnen ein Geheimnis mitteilen; aus dem Sie sehen können, daß der heimliche Kaiser jetzt – ganz heimlich beschäftigt ist, seine Scharen zu sammeln. Ich habe Nietzsche in seiner Irrenanstalt in Jena besucht; habe bemerkt, was niemand wußte, daß er dort ganz verkehrt behandelt wird. […]“ (Brief von Julius Langbehn an Hans Thoma, 6.2.1890)

Im Unterschied zu seinen Zeichnungen entstehen die Fotoarbeiten von Marcel van Eeden nach eigenen Aufnahmen. Aber auch sie besitzen eine eher dunkel-düstere, irgendwie rückblickende Schwarzweiß-Ästhetik. Dies wird durch die von ihm benutzte Technik noch unterstrichen. Er wählte ein aus der Frühzeit der Fotografie stammendes Verfahren, den Gummidruck der sogenannten „Kunstphotographen“ auf Aquarellpapier. Zwar im Hier und Jetzt aufgenommen, werden diese dadurch sehr malerisch wirkenden Bilder zu einer künstlerischen, ganz persönlichen Interpretation von Geschichte und Geschichten.

Diese zwei Städte: Braunschweig mit seiner ‚Akademie für Jugendführung für die Hitlerjugend‘, die für mein Gefühl sehr viel vom Einfluss von der Erziehungsbewegung im Sinne Langbehns erlebt hat, und die Kaiserpfalz in Goslar, passen gut zu dieser Langbehn-Geschichte“, erklärt van Eeden. „Diese Fotos versuchen diese Geschichte zu rekonstruieren. Es ist eine andere Art, in die Geschichte einzutauchen.“

Hans-Jürgen Tast

Foto ganz oben:  Blick in die Ausstellung mit der Serie „The Photographer (1945-1947)“ (2011/12) im Museum für Photographie Braunschweig.

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