Kindesmisshandlung – eines der Stichwörter des Schreckens nun schon seit ein paar Jahren. Immer wieder wird in den Medien über grausame Fälle berichtet. Regisseur Markus Schleinzer nähert sich dem schwierigen Thema in seinem gerade beim Max Ophüls Festival in Saarbrücken erfolgreichen Debütfilm mit kühlem Realismus, der alles Spekulative vermeidet. Gut so. Dadurch rutscht der Film nie ins Schmuddelige ab.
Michael (Michael Fuith) ist ein Durchschnittstyp. Der Angestellte einer Versicherung führt scheinbar ein ganz unauffälliges Leben. Doch der Mittdreißiger hält im Keller einen Jungen, Wolfgang (David Rauchenberger), als Gefangenen. Das Kind kann das düstere Versteck nur verlassen, wenn er zum Essen in den von der Außenwelt blickdicht abgeschotteten Raum geholt wird. Gesprochen wird kaum. Der Peiniger und sein Opfer haben eine fast nonverbale Kommunikation entwickelt. Schockierend sind jene Szenen, in denen alles nach üblichem Familienleben aussieht: der Zehnjährige legt ein Puzzle zusammen mit Michael, die Beiden schmücken einen Weihnachtsbaum… Fast sieht es so aus, als habe sich der Halbwüchsige mit seiner Situation abgefunden. Die Hölle sieht nicht anders aus als Tausende Wohnhöhlen braver Bürger. Ist ein Entrinnen möglich?
Markus Schleinzer zeigt den Ablauf fast eines halben Jahres. Die äußere Gelassenheit, mit der er das umsetzt, schnürt einem fast den Atem ab. Horrorbilder, etwa von sexuellen Akten, braucht es da nicht. Die Position von Schleinzer ist eindeutig: Er zeigt, wie Michael die Abhängigkeit seines Opfers genießt, und möchte doch nichts als „normal“ wirken. Die Intensität, mit der Inszenierung und Spiel des Hauptdarstellers das vermitteln, ist beängstigend.
Das Psychogramm eines Täters und eines Opfers werden nicht gegeneinander ausgespielt. Eine griffige Aburteilung, schnelles Moral-Verteilen, Punktevergaben bleiben aus. Das provoziert. Als Zuschauer ist man gezwungen, auch wenn es einen noch so schmerzt, über Möglichkeiten und Grenzen der Gesellschaft zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch nachzudenken und einen eigenen Standpunkt zu beziehen. Angeregt zum Film wurde Markus Schleinzer durch ein Projekt der Berliner Charité, in dem Menschen, die in sich eine sexuelle Sehnsucht nach Minderjährigen verspüren, dieser aber nicht nachgegangen sind, Hilfe angeboten wurde. Dies wissend, drängt sich natürlich die Frage auf, wie eine solche Hilfe aussehen kann. Dadurch, dass Michael nicht als Monster gezeigt wird, empfindet man die Suche nach Lösungen als besonders dringlich.
Peter Claus
Michael, von Markus Schleinzer (Österreich 2011)
Bilder: Fugu
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