Sunnys sanfte Schwestern
„So ist das Leben“, sagt die eine Frau. „Aber wirklich“, antwortet die andere. Dann sitzen sie auf dem Balkon, trinken Cola mit Schnaps und das Leben tut, was es eben so tut: Es geht weiter.
Irgend jemand wird wieder kommen, der die blonde Nike vögeln mag und vielleicht kommt ja sogar jemand für die dunkle Katrin, die ihre Slips weniger aggressiv trägt als die Freundin. Und vielleicht lässt sie sich das nächste mal doch auf so eine halbe Vergewaltigung ein, etwas resigniert. Und die Frage dieses sehr schönen Filmes ist, ob und in welchem Maße auch seine Macher ein wenig resigniert sind.
Wolfgang Kohlhaase als Autor prägt „Sommer vorm Balkon“ in einem heute eher unüblichen Maße. Und Andreas Dresen hat diesen Einfluss wohl zugelassen, weil er in diesem Mann aus der Väter-Generation eine verwandte Seele spürte; eine Seele, die der seines Vaters Adolf sehr nahe sein dürfte. Der Regisseur, der den aufregendsten Faust der DDR inszenierte, hat seinem Sohn vor allem wohl eine Haltung als Erbteil hinterlassen, eine Liebe zu den Menschen. In dieser Haltung, in diesem sanften, noch in der Ironie liebevollen Respekt für das Leben ihrer Figuren treffen sich Kohlhaase und Dresen.
Kohlhaase hat einmal die Geschichte der aggressiv fordernden Sunny geschrieben; die scheiterte an der Kunst und am Leben und die hatte ein Feindbild: das Spießertum, das in einer zentralistischen Gesellschaft zum unmittelbaren Gleichnis wird. Katrin weiß, dass sie keine Künstlerin ist, sie ist nur Schaufensterdekorateurin. Katrin und Nike sind auch nicht mehr wirklich aggressiv, sie nehmen, was sie kriegen, einen Kerl, einen Job, viel ist es nicht. Sie sehen wenig Hoffnung und wenig Aufbruch, sie haben kein Feindbild mehr, weil es kein gesellschaftliches Ideal mehr gibt, das dem Leben ein Maß anlegt. Sie leben den Alltag im Westen und sie machen daraus, was man daraus machen kann. So sind sie Sunnys sanfte Schwestern, sie führen keinen großen Kampf mehr, nur kleine Gefechte. Diese Beschränkung mag man durchaus eine gesellschaftliche Resignation nennen.
Aber wie Kohlhaase und Dresen das erzählen. Weil sie ihre Figuren lieben. Katrin (Inka Friedrich) hat schon eine Müdigkeit in den Augen und eine Traurigkeit in den Mundwinkeln, schließlich, sie hat bald einen 40. Geburtstag, seit 12 Jahren einen Sohn, seit Jahren weder Mann noch Job. „Ich bin teamfähig sagt“, sie im Bewerbungstraining, und weiß nicht einen Moment, was der rituelle Satz wirklich meint. Dabei, sie wäre es wirklich, mehr als der junge Schuhverkäufer der gelangweilt seinen Spruch sagt. Nike (Nadja Uhl), ist blonder und cooler und jünger, Nike heißt wohl wie ein Turnschuh weil sie fit ist wie einer. Nike sieht aus wie ein sexuelles Rundum-Wohlfühl-Paket. Nike ist ein nettes Mädchen, sie pflegt und windelt verwirrte alte Leute und ist so einsam wie die Freundin. Und deshalb bekocht sie Ronald (Andreas Schmidt). Ronald ist ein netter Kerl und ein dummes Schwein, Ronald fährt Teppiche mit dem LKW, aber das füllt ihn nicht aus, „nicht beruflich und nicht menschlich“ hat ihn Kohlhaase, pointensüchtig, lächelnd in den Mund geschrieben. Ronald knallt wie ein Fremdkörper zwischen die Mädels, nicht einen Augenblick scheint glaubhaft, dass Nike mit diesem Arsch mehr als schlafen möchte, aber weil die Figur von so skurriler Fremdheit ist, ist sie so merkwürdig eindrücklich. Es geschieht nichts. Kohlhaases Schreiben ist auch eine effektsichere Konstruktion aber da er diese beherrscht wie kein anderer, wird das eher lächelnd registriert. Das Besondere dieses Filmes ist, wie Andreas Dresen die melancholische Tristesse mit einem Lächeln erzählt, mit alten Schlagern und Likör. Es macht, so merkwürdig das scheint, Spaß diesen doch auch traurigen Film zu sehen; es ließe sich wetten, sie hatten auch Spaß beim Dreh, so sehen Schauspieler aus, wenn sie Lust am Arbeiten haben. Die eigentliche Botschaft aber ist nicht die, wie traurig das Leben sei. Es ist, als Haltung, (denn Dresen erzählt mit respektierender Liebe, nicht mit jovialer Attitüde, auch vom kleinen Glück auf dem Balkon), das Zurückweisen einer Anmaßung: Der Anmaßung, anderen Leuten erzählen zu wollen, wie unglücklich sie sind. Und weil dieser Film vor allem die Menschen meint mit seiner Liebe ist er ausschweifend unresigniert und hoffnungsvoll.
Autor: Henryk Goldberg
geschrieben 2006
Bild: X-Verleih
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