PAST LIVES, MANILA, DER SCHATTENLOSE TURM und DER FRIEDHOF DES KINOS |
PAST LIVES, das Debut der in Korea geborenen Dramatikerin Celine Song, erzählt deren eigene Geschichte voller universeller Themen und Fragen. Heimat bzw. nationale und emotionale Zugehörigkeit spielen darin genauso eine Rolle, wie die Frage danach, wie und warum und vor allem mit welchen Konsequenzen wir Entscheidungen treffen. Was nach eher schwerer Kost klingt, meistert die Regisseurin mit leichter Hand.
Zwei Kinder, der Junge Hae Sung und das Mädchen Na Young, sind innig miteinander verbunden. Doch als die Eltern des Mädchens auswandern werden sie getrennt. 12 Jahre später lebt Na Young in Amerika, sie heißt jetzt Nora. Hae, der sie nie vergessen hat, findet sie auf Facebook wieder. Doch auch dieses Mal endet der Kontakt, weil Nora sich nicht mit ihrer Vergangenheit und den alten Gefühlen belasten will. Sie hat ihre Karriere im Blick und hält keine emotionalen Störungen aus. Es vergehen wieder zwölf Jahre bis die beiden sich wiedersehen. Nora ist inzwischen erfolgreiche Autorin und mit einem amerikanisch-jüdischen Schriftsteller verheiratet. Hae reist nach New York zu Besuch, und es kommt zu einer kurzen, interkulturellen „Ménage-à-trois“, bis jeder wieder seiner Wege geht.
Das alles passiert ohne großes Drama, denn das koreanische in-yun beruhigt. Hierunter wird eine Form der Seelenwanderung verstanden, die besagt, dass Beziehungen und Zusammentreffen über Ebenen der Reinkarnation geschehen. Eine gleichermaßen tröstliche wie konkret entlastende Vorstellung ist das. Denn, was man zurücklässt, lässt man nicht zwangsläufig für immer zurück – was abgebrochen wurde, wird vielleicht in einem neuen Leben wieder aufgenommen. Nichts ist also endgültig und alles irgendwie vorbestimmt. Ob man diesen philosophisch bzw. spirituellen Kern des Films mag oder nicht, schön ist seine schlicht wirkende Machart. Absolut überzeugend, klug wie humorvoll, präzise wie pointiert sind die Dialoge. Hier merkt man deutlich, dass die Regisseurin vom Theater kommt. Derartig Gekonntes hätte man sich für einige der deutschen Wettbewerbsbeiträge sehnlichst gewünscht. Auch die beiden Hauptdarsteller Greta Lee und Teo Yoo sind überzeugend. Ob es aber ein Film für den Wettbewerb der Berlinale war bleibt fraglich.
Auch Julio ist auf der Suche nach seiner Jugendliebe. Wir sind auf den Philippinen der 1970er Jahre. MANILA von Lino Brocka war im Programm der Retrospektive zu sehen. Ein Film, der einen glatt umhaut, weil er wirklich großes Kino ist. Martin Scorseses „World CIinema Foundation“ hat die Restaurierung ermöglicht, und Scorsese selbst läßt verlauten, dass dieser Film überhaupt einer der weltbesten sei. Dass Brocka ihn stark beeinflusst hat wird deutlich, wenn man einzelne Szenen aus TAXI DRIVER mit MANILA vergleicht.
Julio, der Fischer ist, kommt in die Hauptstadt, um nach Ligaya, die er seit seiner Kindheit kennt und liebt, zu suchen. Sie wurde von einer bösen alten Frau mit falschen Versprechungen nach Manila gelockt. Jetzt lebt sie als Sex-Sklavin in den Fängen eines reichen Chinesen, eingesperrt und mißhandelt. Der Regisseur bindet die Suche des jungen Mannes nach seiner Geliebten in ein sozialkritisches Tableau ein. Julio ist der Großstadt, mit all ihrer Brutalität schutzlos ausgesetzt. Zunächst arbeitet er unter furchtbaren Bedingungen auf einer Großbaustelle, später wird er von einem Stricher ins Schwulenmilieu eingeführt, wo er sich prostituieren soll. Lino Brocka, der ausschließlich mit Laiendarstellern arbeitete, verbindet in seinem Film ein Melodram mit sozialen Realismus, ohne dass es groß auffallen würde. Der Film ist elegant erzählt und genial gedreht, vor allem auch weil der Kameramann Miguel de Leon fantastische Bilder macht. Nach so einem Film wird einem wieder klar, was Kino eigentlich ästhetisch, aber auch politisch sein kann.
DER SCHATTENLOSE TURM ist ein Wettbewerbsbeitrag des chinesisch-koreanischen Autorenfilmers Zhang Lu. In seinem Film geht es um das Leben des Restaurantkritikers Gu, der ein einsames und bescheidenes Leben führt. Er ist geschieden, hat eine kleine Tochter, die bei seiner Schwester lebt, liegt viel auf dem Bett und liest. Bei seinen Gourmet-Erkundigungen durch Peking wird er von der jungen Fotografin Ouyang begleitet. Sie ist nicht nur vom Alter, sondern auch vom Temperament her das volle Gegenteil von ihm. Gu ist schüchtern, melancholisch, still und höflich, sie ist frech, provozierend und immer in Bewegung. Beide haben ihre Vergangenheit, ihre Träume und Ängste. Gu, der seinen Vater immer gehasst hat, will sich jetzt auf die Suche nach ihm machen, um sich mit ihm zu versöhnen. Mit Ouyang fährt er auf’s Land, um ihn zu treffen. Wenn Gu und das Mädchen durch die Strassen von Peking gehen, umkreisen sie immer wieder den Schattenlosen Turm, ein buddhistisches Wahrzeichen, ein Symbol auf mehreren Ebenen. So wie ein Gebäude keinen Schatten wirft, wenn die Sonne am höchsten steht, so ist auch Gu, in der Mitte seines Lebens angekommen. Doch wohin er gehen will, bleibt offen. Das Schattenlose aber soll vielleicht auch bedeuten, dass China weder dunkle Vergangenheiten noch verborgen Gegenwärtiges zuläßt.
Was auf den ersten Blick schnell erzählt scheint, ist vielschichtig komponiert. Motive wiederholen sich, zahlreiche Spiegelungen und Verschachtelungen machen das Ganze zu einem komplexen Geflecht von Abhängigkeiten und Beziehungen. Insgesamt unaufdringlich erzählt, zum Teil sogar mit einer Prise Humor, ist der DER SCHATTENLOSE TURM ein sympathischer Film, mehr auch nicht.
Auch Regisseur Thierno Souleymane Diallo ist auf der Suche. Er will MOURAMANI (1953) wiederfinden. Der verschollene Film von Mamadou Touré gilt als erster afrikanischer Spielfilm überhaupt und als erster Film, der je in Guinea gedreht wurde. Doch Diallo geht es nicht nur um ein verloren gegangenes Kulturgut, sondern auch um eine Reise zu seinen eigenen Wurzeln, Hoffnungen und Wünschen. Und so begleitet man ihn als Zuschauer bei seinen Recherchen in seiner Heimat. Die Kamera zeigt ihn meistens mit einem riesigen wattierten Mikrofon (endlich mal ein Film mit einer sorgfältigen Tonspur!), mal auf dem Rücken eines Esels, mal barfuß unterwegs, immer auf der Suche nach Menschen, die ihm über den Film oder über Touré Auskunft geben können.
Irgendwann fragt man sich, ob es MOURAMANI überhaupt je gegeben hat, so unterschiedlich sind die Aussagen und Erinnerungen der Interviewten. Letztendlich ist das jedoch nicht entscheidend, denn wir erfahren so viel anderes über das Leben und den Alltag dort, aber auch über die Situation der Kinos und die Bedeutung von Archiven allgemein bzw. deren Nichtvorhandensein, denn wenn Archive fehlen bleibt Kulturgeschichte vage. Thierno Souleymane Diallo scheint das nicht zu entmutigen. Er bleibt beharrlich und erweist sich als enthusiastischer und eigenwilliger Filmemacher. Neben den Interviews und den observierenden Alltagsbeobachtungen wechselt er zu spielerisch-leichten Szenen. So etwa bringt er Kindern mit selbst gebastelten Holzkameras bei, was es heißt, genau zu beobachten und dabei zu verstehen, daß jeder Augen-Blick wertvoll ist.
Daniela Kloock
Bild ganz oben: Greta Lee, Teo Yoo in Past Lives | USA 2022 | Regie: Celine Song | Wettbewerb 2023 | © Jon Pack
- Highlights der 74. BERLINALE in der Sektion Forum - 24. Februar 2024
- Highlights der 74. BERLINALE in der Sektion Panorama - 23. Februar 2024
- Herausragendes im Wettbewerb der 74. BERLINALE - 23. Februar 2024
Schreibe einen Kommentar