Die Altenburger Besetzung mit einem schwarzen Schauspieler ist nicht spektakulär, nur gut
Diese Normalität, diese Selbstverständlichkeit
Altenburg, 27. Februar. Er rüttelt heftig an den Türen, eine öffnet sich, da stürzt der Mann schwer atmend, hechelnd auf die Bühne. Betrachtet das Haus, betrachtet uns: und lächelt. Endlich ist er da, endlich angekommen. Schön hier zu sein.
Endlich?
Schön?
Ouelgo Tene, der schwarze Schauspieler aus Burkina Faso, der an diesem Abend die Titelrolle spielt, wird das Theater Gera/Altenburg zum Ende der Spielzeit verlassen, gemeinsam mit einer griechischen und einer türkischen Kollegin. Sie gehen, so klang es bundesweit, auf Grund rassistischer Anfeindungen in der Stadt. Im Falle der Griechin und der Türkin spielte, nach eigener Erklärung, jedoch die Fremdenfeindlichkeit eine höchstens marginale Rolle. Das mag bei Ouelgo Tene anders sein, aber auch er äußert sich nur sehr zurückhaltend. Überdies verlässt auch Bernhard Stengele, der hier ein weltoffenes und welteinladendes Theater bewirkende Schauspieldirektor, das Haus nach vier Jahren. Will sagen, die Geschichte um die „vertriebenen“ Schauspieler von Altenburg ist die Geschichte unserer Gern- und Schnellgläubigkeit, wenn es eine politische Geschichte ist, die uns gefällt.
Der Kaiser aber lächelte zufrieden
Und die hier, die Köpenick-Geschichte? Für Carl Zuckmayer und das deutsche Theater war das schon 1931 eine feine Sache, so wie der hochberühmte Vorgang selbst, 1906, für Deutschland eine solche Sache war, eine deutsche Sache. Stillgestanden! Und Deutschland stand Kopf, vor Lachen. Die mittlere Leitungsebene, wie gewohnt, schäumte, jedoch der Chef, der Kaiser, lächelte zufrieden: Das Gemeinwesen funktionierte, wie es sollte. Der deutsche General vermochte halt auch ein Hauptmann zu sein, Befehl ist Befehl, das bleibt. Dem Berichterstatter aber bleibt das Unbehagen an diesem Theater der ausgeputzten Kleine-Leute-Stuben, an diesen sentimentalen Wie-aus-dem-richtigen-Leben-Sätzen. Zumal, über diese Sätze weiß einer alles, wenn er sie gelesen hat, Theater kann hier nur aus-, nicht weiterführen.
Also?
Der Mann, eben angekommen, nimmt sich eine Jacke, er trickst ein wenig mit dem Hut, so machen sie das im Tingeltangel. Dann hämmert das Klavier, dann dreht sich das vorzügliche Märchenkarussell von Hilke Förster, alle Räume, die sie brauchen, alle Stile, die sie mögen. Beim Schneider Wormser geht’s recht heiter zu, die Mitarbeiter haben fröhlich Asthma oder lustig Bechterew, der Hauptmann ist gut drauf, eine heitere Volksgemeinschaftlichkeit. Bis der Schwarze da steht und schaut, sehr fremd. Und die Atmosphäre wird miteins sehr kühl.
Ein Statement für die Weltoffenheit
Dem Regisseur ist mit dieser Inszenierung und ihrer aus der Ferne zunächst etwas volkspädagogisch-didaktisch klingenden Besetzung eine vorzügliche Arbeit gelungen. Zum einen lädt der schwarze Schauspieler seine Figur natürlich auf – auf gleichsam „natürliche“ Weise, wenn er um Papiere fleht, wenn er schwarz und einsam vor den Uniformen steht, wenn er Angst vor der Ausweisung hat. Das ist jedoch kein flammender Appell, diese Rolle in dieser Gestalt wird immer selbstverständlicher. Das eigentliche Statement dieser Besetzung ist gleichsam ein ästhetisches und dann und damit doch auch ein politisches Statement: Es ist diese Normalität, diese Selbstverständlichkeit mit der Ouelgo Tene in die Inszenierung wächst, diese, wie man so sagt, gelingende Integration, die hier zunächst eine ästhetische ist. Und ein Statement, wie auch der starke Applaus es war, gegen die Bürgerinitiative, die zum Boykott des weltoffenen Hauses aufrief.
Aber Stengele hat nicht nur durch die Besetzung reüssiert. Er nimmt dem Stück viel von seiner Berlin-Pusseligkeit, er unterläuft die Volkstheaterseligkeit, und wenn er berlinert, dann mit Lust und Laune. Im Café gibt es die wunderschöne Erfindung einer Tingeltangel-Probe Berliner Lieder, wo das Ensemble mit heller Freude schmiert und springt. Das Ganze hat überhaupt etwas von einer Revue auf der schnell drehenden Bühne.
Und, der schwarze Hauptmann?
Den Tod wegflüstern
Ouelgo Tene macht das vorzüglich. Tene berlinert ein wenig, aber sozusagen nicht von Herzen, sein Akzent zudem fügt sich mit dem preußischen Idiom zu etwas Drittem. Die Konzentration auf den Text, Deutsch ist eine gelernte Fremdsprache für ihn, lässt die Figur immer ein wenig ausgestellt, immer ein wenig vorgeführt wirken, mit einer anrührenden Naivität. Manches ist gestrichen, das, pardon, nervende todkranke Mädchen nicht. Sie brauchen es für den Schauspieler, der eine große Nummer aus dem Trost der Moribunden macht. Wie er die hoffende Geschichte von den todtraurigen Stadtmusikanten aus Bremen erzählt, wie er das Mädchen Huckepack nimmt und einen Rhythmus für sie stampft, wie er dann den Brief mit seiner Ausweisung liest und wieder dem Mädchen den Tod wegflüstern will, nun aber auch selbst todtraurig: Das ist erstklassig inszeniert und so auch gespielt.
Die in den Medien erzählte Geschichte von den aus Altenburg vertriebenen Schauspielern war wenig hilfreich. Die Geschichte, die die Schauspieler aus Altenburg auf der Bühne erzählen, ist um vieles besser.
Henryk Goldberg
Bild oben: Ouelgo Tene (vorne Mitte) als Hauptmann © Sabina Sabovic
Quelle: nachtkritik.de
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Der Hauptmann von Köpenick
von Carl Zuckmayer
Regie: Bernhard Stengele, Ausstattung: Hilke Förster, Musik: Olav Kröger, Dramaturgie: Svea Haugwitz.
Mit: Ouelgo Tene, Bruno Beeke, Johannes Emmrich, Ulrich Milde, Manuel Kressin, Anne Diemer, Joachim Zarculea, Manuel Struffolino, Katerina Papandreou, Thorsten Dara, Mechthild Scrobanita, Yasin Baig.
Premiere 27-02-2017
Dauer: 2 Stunden 40 Minuten, eine Pause
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