Auf der Suche nach der zweiten Heimat
In der Ausstellung „12 im 12.“ im Kunstraum Tanas demonstrieren junge Künstler türkischer Abstammung eine distanziert-ironische Distanz zum Dauerreizthema nationale Identität
Wie geht man eigentlich mit Rollenerwartungen um? Es fällt nicht schwer, Ergin Cavusoglus Video-Installation „Backbench“ mit dieser Frage im Hinterkopf zu lesen. Auf fünf Bildschirmen sieht man eine Truppe von Menschen bei dem Versuch, ein von dem türkischen Künstler geschriebenes Skript nachzuspielen. Je länger sie sich jedoch mit den Charakteren zu identifizieren versuchen, desto mehr wachsen ihre Zweifel am Sinn des Geschehens.
Natürlich geht es in der Arbeit um mehr. Aber mit dem Inhalt des 47-minütigen Videos wäre zugleich eine allgemeine künstlerische Haltung beschrieben. Denn wenn die zwölf Künstler, die der Kunstraum Tanas zu seiner 12. Ausstellung versammelt hat, etwas gemeinsam haben, dann die Abneigung, sich auf so etwas wie (nationale) Identität festlegen zu lassen. Selbst wenn alle von ihnen türkischer Abstammung sind. Viel eher zeugt sie von der beeindruckenden ästhetischen Spannbreite zeitgenössischer junger Kunst, die ihre Wurzeln in der Türkei hat.
Zwar werden auch bei ihnen Fragen nach der Herkunft wieder virulent. Der 1965 in Malatya geborene Vahap Avsar beispielsweise ging 1995 nach New York. Seine jüngste Werkserie „Chief Commander“ besteht aus vergrößerten Postkarten, die aus einem Fotogeschäft stammen, in dem Avsar als junger Kunststudent gearbeitet hat. Die Ansichten von Denkmälern des Staatschefs Atatürk in türkischen Städten sagen etwas über die nachwirkende Prägekraft eines nationalen Identitätssymbols aus. Zugleich sind sie ein Dokument der Alltagsgeschichte der sechziger Jahre, als sich die Türkei an westeuropäischen Städten mit ihren Reiterstandbildern orientierte.
Doch den Arbeiten der „zweiten Generation“ türkischer Künstler, alle zwischen 1955 und 1981 geboren, fehlt der existenzielle oder politische Ernst, mit dem sich noch Künstler wie Sarkis oder Gülsün Karamustafa an Symbolen und Schlüsseldaten der türkischen Geschichte abarbeiteten. Wie sich an dem 1965 im türkischen Denizli geborenen Sakir Gökcebag demonstrieren lässt, der heute in Hamburg lebt. Wenn er diese Symbole in seinen raumbezogenen Installationen aufnimmt, dann immer, um sie zu zerlegen. In „Gebet für Regen“ von 2011 hängt er die abgeschnittenen Troddeln eines schwarzen türkischen Stoffes in ein Rechteck, das an einen Gebetsteppich erinnert. Ein Hinweis auf Religion und Aberglauben, die in der ländlichen Türkei immer noch stark ausgeprägt sind. Zugleich überführt er sie damit auch ins Abstrakte.
Wie gut dieser Schüler von Duchamp und Minimal Art diesen Drang zur identitären Selbsterforschung aber umzudrehen vermag, zeigt Gökcebag, wenn er in seinem Werk „Wäscheständer“ mit akkurat auf ein Trockengestell gesteckten Wäscheklammern nach dem Ordnungsmuster der deutschen Identität fragt. Vielleicht liegt der distanziert-ironische Umgang mit einem Reiz- und Modethema auch daran, dass alle Gezeigten zwar aus der Türkei stammen, inzwischen aber im Ausland leben.
Die im türkischen Kirsehir geborene Nezaket Ekici zeigt in ihrer Videoperformance „Border Inside“ (2011), wie sie angekaute Kaugummis in den Nationalfarben Rot, Weiß und Blau auf einer Glasstele zum „Star Spangled Banner“ der USA zusammenklebt. Virtuos demonstriert sie damit, dass jede Art von Identität immer konstruiert ist. Auf die Spitze treibt das Nevin Aladag in ihrer Arbeit „Significant Other“. Wenn sie mit Menschen aus ihrer Umgebung Interviews führt, diese dann zu einer Sound-Collage zusammensetzt und die Polyphonie der Lebensentwürfe zum Schluss von zwei Performern in einer Live-Performance via Playback aufführen lässt, entsteht das Bild einer multiplen Identität, die das Produkt vielfältigster Einflüsse ist. Aber auch neu zusammengesetzt werden kann. Sakir Gökcebag hat in seiner Arbeit „Reorientation“ das Innere eines Orientteppichs zerschnitten und die Stücke dann neu zusammengesetzt.
Zwar lässt sich nicht bestreiten, dass manche der Künstler versuchen, ihre türkischen Wurzeln als die „zweite Identität“ zurückzugewinnen, von der Tanas-Leiter René Block im Begleitbuch spricht. In der Multimedia-Installation „Nichts als die Zeit“ haben die Schwestern Anny und Sibel Öztürk das Zimmer samt der Holzjalousien nachgestellt, das sie während der Ferien bei den Großeltern nicht verlassen durften.
Die Arbeit aus dem Jahr 2010 lässt sich als ein Stück Erinnerungsarbeit lesen. Zugleich wird das Vermittelte der türkischen Identität deutlich, das in der Heimat nur mehr visuelles Zeichen ist. Heute leben und arbeiten die beiden Künstlerinnen in Frankfurt am Main. „Zu Hause“, so sieht es der Titel des Begleitbuches, mit dem Tanas-Leiter René Block seine Serie zu wichtigen Vertretern der türkischen Gegenwartskunst abschließt, seien sie „Whereever“ – in erster Linie aber wohl in der Kunst.
Ingo Arend
erschienen in taz (07.02.2012)
Ausstellung
12 im 12.
Tanas Berlin
Heidestraße 50
Noch bis zum 10. März
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