Ein Hoch auf Bastarde
Bastarde ohne Gloria: Dieser Film handelt von Bastarden, und der Film selbst ist ein Bastard, oder mehr noch ein Sammelsurium von Kino-Bastarden. In allen Dynastien, Ordnungen und Kulturen sind die Bastarde für das Schöne, Aufregende, Neue zuständig. Teufelskerle und -kerlinnen. Der erste Bastard war ein illegitimer Sohn des Teufels. Man nannte ihn Wilhelm, und er eroberte so um das Jahr 1066 die Insel Britannien. „Teufel“ nannte man seinen Vater, den Herzog Robert I.; wer seine Mutter war, haben die Geschichtsschreiber festzuhalten nicht für nötig erachtet. „Ego Wilhelmus, cognomine bastardus“, so stolz unterzeichnete er Dokumente und Briefe. Er fand seine Identität in der Vorstellung der Identitätslosigkeit in seiner Kultur.
Danach freilich verlor der Begriff seine grimmige Würde. Es wurde zum Inbegriff für das Unordentliche, Sündhafte, Zweitrangige, Gemischte, Nicht-Anerkannte, das sich von der Welt der Fürsten ins Volk ausbreitete gegen das „Reinrassige“, die legitime und dokumentierte Abstammung. Erbfolgekriege, rassistischer Terror, wenigstens der kleine metaphorische Wahn von Zucht und Abstammung beim Kauf eines Haustieres sind die Folge. Das „Reine“ ist das Gute, der Bastard dagegen das Wertlose, indes immer Gefährliche. Vom Menschen geht es nicht nur auf die Tiere über, sondern auch auf die Dinge – und auf die Gefühle. Moderne Menschen haben bastardische Gefühle, und vielleicht ist die Moderne überhaupt ein Bastard-Projekt (was man am besten an jenen erkennt, die sie bekämpfen).
Schon von Anbeginn steckt es in allem Erzählen: der Bastard auf der Suche nach Identität – und Gerechtigkeit. Denn wo es Bastarde gibt, da gibt es viel Recht und wenig Gerechtigkeit (wie ist er mit den „echten“ Mitgliedern einer Familie verwandt? Ist der unreine Akt seiner Zeugung eine Erbsünde oder ein Trauma – dem man durch besondere Taten und Leistungen zu entkommen trachtet, zum Beispiel durch die Kunst? Und was sagen die Götter zu Bastarden, die, in aller Regel, auch aus dem Zusammenprall von Religionen entstehen? Zu welcher Klasse gehört der Bastard – und ist er nicht „von Natur aus“ zu Intrige, Revolte, Ketzerei bestimmt?).
Im besten Fall werden Bastarde Helden (umgekehrt ist es schwer, Helden zu finden, die keine Bastarde sind), im weniger guten Fall werden Bastarde seltsame Heilige. Bastarde verderben Kinder, Sitten und Texte. Was den Bastard erzeugt, das ist der Skandal. Das Mischwesen kann nur Ausdruck der Sünde bei seiner Erzeugung sein. Und die Strafe ist ein Wandern zwischen den Welten.
Bastarde hassen nicht nur die Welt, die Vertreter der „reinen“ Macht, die Ordnungen und, auf besonders dramatische Weise, sich selbst, sie hassen auch einander, in aller Regel: „Warum fliehen die Bastarde einander?“, fragt Violette Leduc in ihrem Roman „Die Bastardin“: „Warum bilden sie nicht eine Bruderschaft? Sie sollten einander verzeihen, da sie alle das gemeinsam haben, was es an Kostbarstem gibt, an Zerbrechlichstem, an Stärkstem, an Finsterem in ihnen: eine wie ein alter Apfelbaum gewundene Kindheit.“ Die einzige Chance der Kindheit ist der Bastard-Traum. Was willst du einmal werden, wenn du groß bist? Ein Bastard. Denn nur als Bastard hat man das Recht und die Pflicht zur Freiheit.
Spätestens mit der Postmoderne wurde die Bastardisierung allerdings auch wohlfeil. Man musste sie wieder aufregend machen. Der Bastard Pop zum Beispiel ist nicht einfach eine Vermischung von Stilen, Traditionen und Erscheinungen, es gehört dazu, wie es die DJs der neunziger Jahre gern betrieben, dass man die verschiedenen musikalischen Elemente illegal miteinander zu etwas Neuem verbindet. Außerdem gehört zum Bastard Pop, dass nicht einfach zwei Dinge eine Verbindung eingehen, sondern zwei Dinge, die nach landläufiger Meinung und den Regeln der Geschmackspolizei definitiv nicht zusammengehören, wie Kitsch und Avantgarde.
Wie lange sich Bastard Pop in der Kinematografie schwertat, belegt, welch konservative Kunst (und/oder Propaganda) der Film schon geworden ist, und wie die großen Traumfabriken ihren Markt beherrschen, durch Reinheit der Genres, der Bilder, der Erzählungen. Entstanden freilich ist noch jede filmische Form durch Akte der Bastardisierung, aber wie es auch in den dynastischen Ordnungen der Fall zu sein pflegt: Der einmal zur Macht gekommene Bastard setzt alles daran – Gewalt, Gewohnheit, Korruption –, seine Bastard-Herkunft zu verbergen. Was darf ein Fürst (ein Staatssekretär, ein Buchhalter) auf keinen Fall sein? Ein Bastard. Und Faschismus, noch in seiner „leichten“ Art, die heute schon wieder mehr oder weniger erlaubt ist, ist vor allem die Brutalität jener, die keine Bastarde sein wollen.
Es war wichtig, für uns und die Geschichte des Kinos, dass Steven Spielberg aus den teils gesittet-bigotten, teils liberal-neugierigen Welten der mittelständischen Suburbia kam. Aus diesem Geist und aus dieser Erfahrung sah er die Welt, schuf er die Welt neu, und sah die Welt neu. Genauso wichtig ist es, dass Quentin Tarantino aus den prekären Lebensumständen am unteren Rand der Mittelschicht kommt. Aus diesem Geist und aus dieser Erfahrung sieht er die Welt, erschafft sie neu und lässt sie uns neu sehen. In beiden Fällen hat das Kino ein Leben ergriffen und es möglicherweise gerettet. Und umgekehrt.
Quentin Tarantino war der Sohn einer Mutter, die selber noch so sehr Kind war, dass sie den Sohn nach einer Figur aus der TV-Western-Serie „Rauchende Colts“ (1955–1975) nannte: Quint Asper – wie die damals 16-jährige Connie Tarantino ein Halbblut –, gespielt von Burt Reynolds (und hey, sieht Tarantino nicht manchmal aus wie ein grobschlächtiger, intelligenter Bruder von Burt Reynolds?).
Die Leitfigur des Quentin Tarantino also ist der Bastard an sich, das klassische Halbblut zuerst, dann der nicht minder klassische Held ohne legitimen Vater und ohne gesicherte Identität. Und auch in der Filmgeschichte verortet sich Tarantino immer als Bastard. Nicht als einer, der das Werk der Väter fortsetzt oder verwirft, wie noch jeder moderne Filmemacher in Europa oder wie Martin Scorsese, der seinen Film-Vätern fast schon akademischen Respekt erweist, sondern als der illegitime Sohn, der die verschwundenen Väter immer mit einer Mischung aus Missachtung und Sehnsucht behandelt. In seinen Filmen gibt es daher vier Schlüsselelemente: die Rache an dem, der den Familienroman zerstörte (welchen „Bill“ mag Tarantino in seinem epischen Werk des revenge movie getötet haben?); jene Gruppe der Bastards, die sich ihre eigenen Codes gibt; die starke Frau, die sich buchstäblich durchschlägt (die Ur-Mutter der Bastardisierung); und schließlich ein bastardisches Gerede in den brillanten Dialogen, die scheinbar die Handlung eher aufhalten als vorantreiben.
Das bastardische Verhältnis des Quentin Tarantino zu seinen filmischen Vätern und Müttern impliziert den Zitatcharakter: Er hat sie nicht, jedenfalls nicht so wie, sagen wir, ein François Truffaut seinen Jean Renoir haben kann, und so erzählt er von ihnen. Es ist klar, dass er dabei „übertreiben“ muss (ein Bastard lebt selbst im Vertrautesten noch in einer Fremdsprache), er ist leonescher als Sergio Leone, trashiger als Trash und Godard zusammengenommen – natürlich auch in „Inglourious Basterds“.
Darin unterscheidet sich das bastardische vom nomadischen Filmemachen, es ist mehr Flucht als Suche. Es ist mehr Obsession als Übernahme: Um den Bastard sind immer die Gespenster.
Bilder: Universal Studios
Text: Georg Seeßlen
Auszug aus: Quentin Tarantino gegen die Nazis
Alles über „Inglourious Basterds“
Bertz + Fischer Verlag
176 S., 9,90 €
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