Mut und Megapeinlichkeit
Als Kind, Jugendliche und junge Frau erlöst sie die Traumfabrik vom Diktat der Niedlichkeit. Man meint Elizabeth Taylor die Disziplin anzusehen, das Bemühen, zu den strengen Eltern, zur guten Gesellschaft, zu den Erfolgreichen zu gehören. Das ist das Kind, das Reiten und Tanzen, Konversation und Musik gelernt hat. Sie ist eine Person, die die Dinge im Griff haben will und zeigt, wie schwierig das ist. Schon in Lassie – Held auf vier Pforten (Warner Home) ist man erstaunt über die Ernsthaftigkeit dieses Traumkindes. Ja, dieses Mädchen träumt etwas, was über alle Mädchen-mit-Hunden-und-Familien-Trost-Geschichten hinausgeht. Wenn man nur wüsste, was! In den Familiengeplänkeln muss sie doppelt leiden. Jemand, der es gut und gern mit einer Tragödie aufnehmen könnte, muss sich hier mit Albernheiten abgeben. Es sind die Schauspieler um sie herum, die „aufdrehen“ dürfen, und Elizabeth Taylor hält das aus. Sie selbst hat nicht die Spur des Komödiantischen in sich. Wenn sie komisch sein will, dann wird sie furchtbar komisch. Alles Kleine, aber auch alles allzu Genaue und Feine liegt ihr nicht. Immer noch ist sie eine Spur zu ernst und introvertiert.
Als „schöne Jüdin“ in Ivanhoe (Warner Home) bleibt sie im Gedächtnis, als Versprechen: Da kommt noch etwas anderes, etwas Größeres. „Sie ist kalt und fremd“, so heißt es in William Dieterles Elefantenpfad (Paramount) von ihr. Sie will nicht kalt bleiben, und auch die Welt soll ihr nicht fremd bleiben. Was wir sehen: Sie ist einsam und verzweifelt.
Mit Giganten (Warner Home) von George Stevens beginnt die klassische Periode der Elizabeth-Taylor-Filme: eine Frau, die zugleich Mittelpunkt und Transzendenz von männlichen Systemen der Hochneurotik ist. Genau besehen, ist fast jeder Taylor-Film der fünfziger und sechziger Jahre eine Quälerei: Eine Frau, die so viel Begehren, Angst und Unsicherheit auslöst, erhält ihre Bestrafung. Und sie gibt das zurück, in dieser unnachahmlichen Mischung aus Begehren und Unberührbarkeit. Sie blickt auf Bindungsängste, Impotenz, uneingestandene Homosexualität, neurotische Familienbande; es geht aber auch um sozialen Aufstieg, Reichtum, Luxus – so wie in Ein Platz an der Sonne, wo sie die reiche Schöne ist, die Montgomery Clift in den Abgrund reißt. Natürlich überstrahlt sie alle Konstruktionen; von ihr aus gesehen, könnte eine Wandlung zur „Shakespearian Woman“ beginnen.
Logisch, Taylor war eine Frau und ein Bild von ihr aus eigenem Recht („Wie kommen Sie auf die Idee, ich hätte ein privates Leben?“). Aber ein wunderbares Märchen lässt sich vielleicht aus der Arbeit mit drei Regisseuren erzählen: George Stevens, mit dem sie ihr Bild formte, Joseph L. Mankiewicz, der es mit einem mehr oder weniger modernen Innenleben versah, und Joseph Losey, der es zu zerlegen versuchte. Wer sie mehr liebte, ist eine andere Frage.
Immer ist sie die Frau, die es nach oben schafft; jemand Armen nimmt man ihr nicht ab. Daher sind die Meisterwerke der Hochneurotik immer zugleich sexuelle und soziale Katastrophen; Paul Newman, der nicht spielen darf, was seine Rolle vorgäbe, Montgomery Clift oder Rock Hudson, die nicht sein dürfen, was sie sind. Queer studies, übernehmen Sie! Aber vielleicht geht es gar nicht um das Verborgene, das sie halb sichtbar macht, sondern um das Sichtbarmachen des Verborgenseins. Denn wenn Elizabeth Taylor auf der Leinwand auftaucht, haben plötzlich alle was zu verbergen oder wissen sonst nicht weiter. Das ist die Geschichte von Daniel Manns Telefon Butterfield 8 (Warner Home). Fremd und kalt, ist sie zur Nobelprostituierten geworden, was das blödeste Bild für ihr Problem ist. Und dann muss sie auch noch, durch einen Autounfall, »sinnlos sterben«.
Und dann: Cleopatra (Fox) von Joseph L. Mankiewicz, die Erfüllung und schon das Ende des Taylor-Mythos. Ein maßloser Film, und auch darin ähnelt er seiner Hauptdarstellerin: Er kann seinen Reichtum nicht genießen. Der gewaltigste Aufwand von Pracht, Raum und Luxus, um etwas zu sagen, was man auf einer kleinen Bühne genauso, vielleicht besser hätte sagen können. Daher wird es eine Aussage über die Inszenierung selber, über so vieles, was am Ende nichts nutzt, wenn einem auf Erden nicht zu helfen ist.
Die zweite Dekonstruktion ist Mike Nichols’ Wer hat Angst vor Virginia Woolf (Warner Home), wieder mit Richard Burton. Auf den Zusammenbruch eines Weltreiches folgt der Zusammenbruch eines Lebensentwurfes. Die moderne Variante des Paares in Hassliebe, das miteinander nicht leben kann und ohne einander auch nicht. So etwas lässt sich nicht wiederholen, und es wird dauernd wiederholt im Rest ihrer Karriere. Die öffentliche Liebesgeschichte von Richard Burton und Elizabeth Taylor, der Glamour und die Abstürze, blieb ein Filmthema. Auch in Enthüllungen von Waris Hussein (Intergroove media), einer Scheidungsgeschichte, einmal aus Burtons, einmal aus Taylors Blickwinkel. Joseph Loseys Brandung (frei nach Tennessee Williams, Universal) war der erste Taylor/Burton-Film, der nicht einmal seine Produktionskosten wieder einspielte. Später nannte ihn John Waters den besten danebengegangenen Kunstfilm der Kinogeschichte.
Elizabeth Taylor war die Protagonistin einer gewaltigen Modernisierung und Befreiung. Im Kino und im Leben. Dazu gehört es, dass die Dinge auch danebengehen können, und zwar gewaltig. Daher gibt es, von einer Sammlung von öffentlichen Auftritten und Statements zwischen gewaltigem Mut und Megapeinlichkeit sowie den üblichen Diva-Biografiefetzen abgesehen, symptomatisch gescheiterte Filme, auf die ein Blick natürlich besonders lohnt: Die Stunde der Komödianten (Warner Home) – ein Politthriller im Haiti von Papa Doc. Taylor nahm die (kleine) Rolle angeblich nur, damit sie nicht Sophia Loren bekam, die mit Richard Burton hätte flirten können. Oder auch Der Widerspenstigen Zähmung (Sony Pictures) – Dino de Laurentiis träumt Shakespeare. Oder Der blaue Vogel (Russian Cinema Council Collection) – Taylor in einem russischen Märchenfilm von George Cukor, in dem sie freundlich darüber hinwegblickt, dass sie keine Ahnung hat, worum es eigentlich geht.
Und zur entspannenden Belohnung am Ende: Elizabeth Taylor als Gaststar bei der Familie Feuerstein (Universal).
Text: Georg Seeßlen
Text erschienen in DIE ZEIT, 7.4.2011, Nr. 15
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