Nachstellungen
Den Bildern nicht trauen: Arwed Messmer zeigt im Haus am Kleistpark mit „Reenactment MfS“ Bildinszenierungen der Stasi
Ein junger Mann in Kampfuniform liegt dahin gestreckt auf dem Boden, neben ihm sein Gewehr. Die Arme sind seltsam quer über der Brust verschränkt, die Augen geschlossen, aus dem Hosenbund und der Hüfte quillt Blut in den Sandboden. Das Bild sieht aus wie ein typisches Foto vom Tatort eines Verbrechens oder ein Dokument kriminalistischer Spurensicherung. Nur ein Detail irritiert: In einer Hosentasche des Toten steckt eine frische Orange.
Gefunden hat Arwed Messmer diese Aufnahme in den Archiven der DDR-Staatssicherheit. Zwei Jahre dauerte seine Spurensuche über gescheiterte Fluchtversuche an der Berliner Mauer. Dabei fand der Berliner Fotograf unzählige Dokumente wie die Aufnahme, die jetzt in der Ausstellung „Reenactment MfS“ in Schönebergs kommunaler Galerie zu sehen ist. Auf ihnen sind die aufgeschlitzten Rückbänke von PKWs, ein selbstgebastelter Schwimmkörper aus Autoschlauch oder von Schüssen durchsiebte Abdeckungen von Kofferräumen und vieles andere zu sehen.
Messmer ist ein Ost-West-Grenzgänger besonderer Art. 1964 im baden-württembergischen Schopfheim geboren, faszinierte ihn früh das lebende Geschichtsmuseum Berlin. Seit er zur Jahreswende 1991/92, kurz nach dem Mauerfall, in die Stadt kam, beginnt er, das Verhältnis von Bild und Wirklichkeit an diesem magischen Objekt zu untersuchen. Ende 2008 zeigte er die Panoramafotografien, die der Ostberliner Fotograf Fritz Tiedemann in den Jahren 1949-52 vom Berlin der Nachkriegszeit gemacht hatte. In seinem neuesten Projekt präsentiert er ein historisches Trauma – wieder aus einem ungewohnten, ziemlich fremden Blick.
Unter „Reenactment“ versteht man eigentlich die Nachstellung vergangener Ereignisse, bei denen die Zuschauer zu Zeugen, manchmal sogar Teilnehmern historischer Geschehnisse werden. Dass Messmer seine fotografische Spurensicherung mit diesem Terminus technicus postmoderner Kunstproduktion belegt, bedeutet nicht, dass er die Schergen von Erich Mielkes MfS – dem berüchtigten Ministerium für Staatssicherheit nachträglich in einen künstlerischen Rang erheben will.
Jeremy Deller, Pierre Huyghe oder Artur Zmijewski benutzen das „Reenactment“, um mittels Bildern, Objekten oder Performances die traumatische Bedeutung bestimmter Ereignisse für die Gegenwart ins Gedächtnis zu rufen. Oder um zu untersuchen, wie medial sie vermittelt sind. Die DDR-Staatssicherheit dagegen wollte sie propagandistisch ausschlachten.
Der Soldat mit der Orange in der Uniformjacke war am 4. November 1980 von einem fahnenflüchtigen Kameraden getötet worden. Um die Ereignisse zu rekonstruieren, wurde der schon abtransportierte Tote wieder an den Fundort zurückgelegt und dort mehrere Stunden den westlichen Medien zur Schau gestellt. Ein anderes Beispiel war das „Reenactement“ des 1964 von den eigenen Leuten erschossenen Grenzsoldaten Egon Schultz. Die Nachstellung sollte den Tatverdacht auf einen Fluchthelfer lenken.
Messmer hat seine Fotos ohne Erklärungen oder Bildlegenden in die Ausstellungsräume gehängt. Viele Details sind freigestellt. Das Leiden der Opfer wird damit nicht zum freien künstlerischen Spielmaterial. Auch wenn der Fotograf die Bilder des erschossenen Grenzsoldaten so in einem Triptychon präsentiert, dass es die ikonologische Tradition der Grablegung Christi aufruft. Wer den Appendix der Ausstellung durchblättert, kann jede Aufnahme den Fotoabzügen und Negativen aus dem MfS-Archiv, und damit konkreten Menschen, zuordnen.
Wahrscheinlich kann man sich aber auch so vorstellen, was auf die fünfköpfige Familie zukam, die vor ihrem weißen Opel Admiral posieren musste, mit dem sie Ende September 1973 bei einem Fluchtversuch auf einer Transitstrecke gefasst worden waren. Der Vater trägt sein Kind auf dem Arm. Allen steht die nackte Angst ins Gesicht geschrieben.
Gerade weil sie so banal sind: Im Jahr der 25. Wiederkehr des Mauerfalls sind Messmers Bilder ein eindrückliches Bilder der perfiden Selbstinszenierung des Terrors. Doch so dokumentarisch, so echt sie auch scheinen mögen. In einem Gedächtnisjahr, das uns mit einer Kaskade historischen Bildmaterials überschwemmt, halten sie zugleich die beunruhigende Botschaft bereit, niemals dem scheinbar authentischen Bild zu trauen.
Courtesy für alle Bilder: Arwed Mesmer / Haus am Kleistpark, Berlin
Ingo Arend
AUSSTELLUNG
Arwed Messmer: Reenactment MfS
Spurensuche – ein künstlerischer Blick auf die visuelle Hinterlassenschaft des Geheimdienstes der DDR.
Haus am Kleistpark, Berlin
noch bis zum 14.12.2014
Di bis So 10 – 19 Uhr, Eintritt frei
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Zur Ausstellung ist ein gleichnamiger Katalog erschienen.
Arwed Messmer
Reenactment MfS
Gestaltung von Carsten Eisfeld Deutsch, Englisch
Verlag Hatje-Cantz, Ostfildern
256 Seiten, 148 Abb.
17,00 × 24,00 cm
35 Euro
gebunden, mit 32seitigem Begleitheft ISBN 9783775739115
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