8. Berlin-Biennale für zeitgenössische Kunst
29. Mai bis03. August 2014
Die Ausstellung versammelt lokale und internationale künstlerische Positionen, die sich aus heutiger Sicht mit den Überschneidungen von größeren historischen Narrativen und dem individuellen Leben beschäftigen. Damit bildet sie ein Gegengewicht zu empirischen und autoritär auftretenden Geschichtsansätzen und Geschichtswerdungsprozessen.
Die 8. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst wird von Juan A. Gaitán kuratiert und an drei Orten präsentiert: im Haus am Waldsee, im KW Institute for Contemporary Art in Mitte und in den Museen Dahlem – Staatliche Museen zu Berlin.
„Ein Zentrum, das sich immer mehr entleert“
Ein Interview mit Juan A. Gaitán, dem Leiter der diesjährigen Schau für zeitgenössische Kunst. Ein Gespräch über die Last der Geschichte in Berlin, die Kraft der Individuation und den Unterschied zwischen Mexiko und Deutschland
taz: Herr Gaitán, ein Kollege von Ihnen, Kaspar König, sagte vor Kurzem, die Berlin Biennale sei so überflüssig wie ein Loch im Kopf. Ärgert Sie dieser Ausspruch?
Juan A. Gaitán: Ich habe gehört, dass er sagte, sie sei ein Tumor, den man herausoperieren müsse? Wahrscheinlich wollte er nur von den Fragen seiner Manifesta in St. Petersburg ablenken.
Es gibt aber eine Inflation der Biennalen. Über den Wert dieser Veranstaltungsform kann man schon ins Zweifeln kommen, oder?
Biennalen werden gerne verglichen, das ist wahr. Aber die Biennale von Venedig und die in Berlin zum Beispiel haben doch kaum etwas gemeinsam, weder strukturell noch von ihrer Geschichte her. Die Berlin Biennale entstand in einem besonderen Moment der jüngsten Geschichte der Stadt. Deshalb bemühten sich bislang alle Kuratorinnen und Kuratoren, mit der Biennale an die aktuellen Vorgänge und Debatten in der Stadt anzudocken. Was die Situation in Berlin aber wirklich auszeichnet, ist, dass sie eine der wenigen Biennalen mit einer großzügigen Haltung hinsichtlich der Arbeit der KuratorInnen ist. Sofern man das Budget einhält, kann man tun, was man will.
Und was wollen Sie?
Die Ausstellung muss aus sich heraus entstehen. Es geht um eine doppelte Methode. Eine, mit der die Biennale gerahmt und in der Stadt verankert wird, und eine, die die Kunstwerke selbst betrifft. Sie stehen für sich selbst und nicht stellvertretend für ein kuratorisches Thema. Zwar behauptet unsere Gesellschaft, auf der Seite des Individuums zu stehen, aber tatsächlich wird doch erwartet, dass jeder sich auf die gleiche Weise verhält. Dagegen zeigt sich die zeitgenössische Kunst als eine Praxis, die das Individuum wirklich bestätigt und Autonomie anstrebt.
Das Logo der 8. Berlin Biennale zeigt eine leere Klammer. Wofür steht sie?
Die Klammer hat verschiedene Aufgaben. Einerseits soll sie die Kunstwerke zusammenführen, andererseits symbolisiert sie das Zentrum von Berlin und anderen Städten. Ein Zentrum, das sich immer mehr entleert. Die Einwohner gehen und die Touristen kommen. Ich erkenne, wenn ich Unter den Linden vom Dom über das nachgebaute Schloss bis zum Reichstag entlanggehe ein Programm, das nichts mit der Stadt zu tun hat. Ich fühle hier das Gewicht der Bundesrepublik auf der Stadt lasten. Seit Jahrhunderten geht das so: Immer wurde der Stadt ein größeres politisches Programm aufgeladen.
Sie haben gesagt, dass Sie mit der 8. Berlin Biennale den „historischen Elan der Stadt“ einfangen möchten. Wird Ihre Biennale eine historistische Schau?
Ich bin nicht an Geschichte per se interessiert. Mich interessiert Geschichte, wie sie uns überliefert wird. Warum schlägt sich Berlin mit der späten preußischen Architektur herum? Warum wird nichts Neues gebaut? Ich denke an das Schloss oder die Alte Kommandantur der Bertelsmann-Stiftung. Das meine ich mit historischem Elan. Wir recherchieren nicht das 19. Jahrhundert. Wir schauen auf seine heutige Wiederkehr.
Der italienische Philosoph Francesco Masci beklagt in Berlin just das Verschwinden von Geschichte. Für ihn sind die Leute, die hierher kommen, mit der totalen Gegenwart und dem, was er Totale Kultur nennt, beschäftigt, dem Produzieren von Bildern, der Fiktionalisierung von Realität …
Nun ja, wenn Sie in eine asiatische Stadt reisen, dann erleben Sie, dass niemand dort nostalgisch gegenüber der Vergangenheit ist. Ständig ändert sich dort alles sehr schnell, und die Idee, dass eine Stadt Vergangenheit ausschwitzen muss, ist doch eine sehr europäische Idee.
Derzeit ängstigt Berlin die Frage, ob der Hype vorbei ist. Wie sehen Sie das?
Das ist nun eine komplett absurde Diskussion. Nur Leute in Städten, die immer in sind, fragen, ob andere Städte in oder out sind, New Yorker, Londoner und Pariser. Vielleicht denken die New Yorker, eine Stadt sei nur interessant, wenn sie arm und verlassen ist. Jetzt sehen sie Leute in den Cafés von Athen sitzen und gehen dahin.
Sie haben die 8. Berlin Biennale wieder auf verschiedene Ausstellungsorte in der Stadt verteilt. Wir treffen uns hier in Dahlem. Ist das Ethnologische Museum hier Ihre Antwort auf den Schlosskitsch und das Humboldtforum?
Meine Idee war: Wenn die Stadt alle Kultur in die Mitte verfrachten will, sollten wir uns in die entgegengesetzte Richtung bewegen. Es geht auch um die Frage, welche Funktion das Museum heute generell hat. Es scheint so, als ob es sich im Übergang von einer Bildungsinstitution für die Bürgerinnen und Bürger zu einer des Tourismus befindet.
Ist die Entscheidung für Dahlem ein Statement für die Peripherie?
Was heißt hier Peripherie? Wir sind schließlich im Südwesten Berlins. Warum sollte da nicht ein Museum sein?
Die letzte Berlin Biennale war umstritten wegen ihres politaktivistischen Ansatzes. Politik spielt bei Ihnen auch eine Rolle. Das „Crash Pad“ des griechisch-norwegischen Künstlers und Architekten Andreas Angelidakis in den KW Institute for Contemporary Art spielt auf europäische Identitätspolitiken an. Wie sehen Sie das Verhältnis von Kunst und Politik?
Artur Zmijewski hat mehr einen Agitprop-Zugang zur Politik. Er schüttelt gern den Baum. Mir ging es um etwas anderes. Ich habe Angelidakis gebeten, das Crash Pad als Geschenk der Griechen an die Deutschen zu konzipieren. Das kann man als politisch bezeichnen.
Uns gefällt die Atmosphäre dort.
Es sollte sich schon wie ein Geschenk anfühlen. Es sollte aber auch an die Erfindung des Altertums durch die Franzosen, Deutschen und Engländer erinnern. Die Intellektuellenszene, die sie in Griechenland kreierten und die die griechische Unabhängigkeitsbewegung beeinflusste, hat darüber 1.500 Jahre ottomanischer Herrschaft ausgelöscht. Plötzlich waren die Griechen überzeugt davon, der Ursprung der Werte des Westens zu sein: Zivilisation, Demokratie, Politik. Es geht also um beides: die Erfindung des Altertums und das jetzige Verhältnis zwischen Europa und Griechenland, wo das Land von der Landkarte gefallen ist: Niemand will es.
In Ihrem künstlerischen Team sind sehr viel mexikanische Künstlerinnen und Künstler. Wie unterscheiden sich die Kunstszenen in beiden Ländern?
Viele KünstlerInnen gehen nach Mexiko, bleiben aber nicht dort. In den zwei Jahren, als ich dort gelebt habe, kamen immer viele Leute zu Besuch. Aber bleiben tut man doch lieber in einer gut organisierten Stadt wie Berlin.
Heutzutage überbieten sich Städte darin, ihre kulturelle Infrastruktur auszubauen. Wie sieht das in Mexiko aus?
Ich werde Ihnen eine Zahl sagen: Die Nationaluniversität von Mexiko hat allein 24 Museen und 360.000 Studenten. Da sind die kommunalen und staatlichen Museen noch nicht mitgerechnet.
Danke, wir haben verstanden. Noch einmal zurück zur Berlin Biennale. Sie haben die Bedeutung von Individualität so betont. Werden Sie auch so etwas wie Outsider-Art zeigen?
Nein. Alle teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler sehen sich in erster Linie als zeitgenössische KünstlerInnen und arbeiten innerhalb dieses Systems. Was ich übrigens mit Individualität meinte, war Folgendes: Ich wollte mit KünstlerInnen arbeiten, die eine genuin affektive Reaktion auf historische Bezüge in ihrem Leben hatten, und wie sie das in ein Kunstwerk transformiert haben.
Nennen Sie ein Beispiel?
Nehmen Sie Danh Vo. Es geht in seiner Kunst um Arbeit, um Migration. Aber es geht nicht notwendig um seine Biografie. Er benutzt Teile davon, um ein Werk zu machen. Es gibt so etwas wie ein affektives Investment.
Die 8. Berlin Biennale wird sich also auf der Grenze zwischen affektiv und konzeptuell bewegen?
Es geht um Grauzonen. Das ist das Material, mit dem viele KünstlerInnen der 8. Berlin Biennale arbeiten. Wie geht man mit Situationen um, wo es nicht die Klarheit gibt, was richtig und falsch ist.
Das wäre Ihr Statement? Darauf ist man ja gespannt in einer Stadt, die gern über Gegenwartskunst debattiert: The Future of Painting, politische Kunst …
Mir geht es um Vorschläge, nicht um Didaktik. Als BesucherInnen werden Sie aufgefordert, sich mit der Kunst auseinandersetzen und Ihre eigenen Entscheidungen zu treffen, ihre eigenen Schlüsse zu ziehen.
Ingo Arend und Brigitte Werneburg, taz 23-05-2014
Juan A. Gaitán, ein kolumbianischstämmiger kanadischer Kurator, pendelte in den letzten zwei Jahren zwischen Berlin und Mexiko-Stadt, wo er zurzeit lebt. Vor seiner Berufung als Leiter der 8. Berlin Biennale 2012 arbeitete Gaitán zwei Jahre lang in Rotterdam, am Witte de With Center for Contemporary Art. Neben seiner Tätigkeit als Ausstellungsmacher unterrichtet und publiziert der 40-Jährige. Seine Texte erscheinen in Zeitschriften wie Afterall, Canadian Art oder Mousse. Aktuell zeigt er in Bergen in Norwegen die Ausstellung „Material Information“.
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