Magischer Materialismus
Die 1. Bergen Triennale „Bergen Assembly“ geht einen dritten Weg zwischen White Cube-Formalismus und Polit-Aktivismus
Ist Norwegen die UdSSR Westeuropas? Wer in diesen Tagen das Land im Norden besucht, sieht weit und breit nichts, was an Leonid Breshnews Reich erinnert. Sondern alle Ingredienzien des skandinavischen Klischees. Rot, weiß oder blau gestrichene Holzhäuser ducken sich an die Hänge des Byfjord, an dem Bergen liegt. Und im historischen Hafen der Westcoast-Metropole kauen freundliche Menschen in Windjacken Fischbrötchen.
Wenn man den Umfragen für die bevorstehende Parlamentswahl glaubt, wird der sozialdemokratische Premier Jens Stoltenberg, seine Mehrheit verlieren. Es gehört also schon einige Chuzpe dazu, diese egalitäre Idylle mit siebziger Jahre-Touch als „das letzte sozialistische Land“ zu bezeichnen.
Das kuriose Motto ist ein geheimes Leitmotiv der Bergen Assembly. Und die erste nordische Kunsttriennale ist ein Musterbeispiel für die widerstrebenden Interessen, die zur Gründung dieser Events führen. Als Trude Drevland, Bergens Bürgermeisterin von der konservativen Høyre-Partei, zur Eröffnung der Schau vergangenes Wochenende in der Bergener Kunsthalle ausrief, ihre Stadt wolle mit Hilfe der Kunst bis zum Jahr 2017 die „wagemutigste, offenste und kreativste Stadt“ in Nordeuropa werden, meinte man alle Glocken des kulturellen Standortmarketing läuten zu hören.
Auf der anderen Seite stehen dann immer die ambitionierten Kuratoren. Die mit ausgeklügelten Konzepten ihren Platz im globalen Wanderzirkus der Biennalen markieren wollen und auf temporäre Jobs hoffen. Für ihre Schau haben sich Ekaterina Degot und David Riff Monday begins on Saturday ausgedacht. Literarische Referenzen stehen bei Biennale-Titeln derzeit hoch im Kurs. „Mom, am I a barbarian“ hat beispielsweise Fulya Erdemci ihre 13. Istanbul-Biennale nach einem Roman der berühmten türkischen Poetin Lale Müldür genannt, die Mitte September am Bosporus beginnt.
Das mysteriöse „Naturwissenschaftliche Forschungsinstitut für Zauberei und Magie“!, in das es den jungen Programmierer Alexander Priwalow in Boris und Arkady Strugatzkys gleichnamigen Science-Fiction-Klassiker von 1965 verschlägt, erinnerte nun die frisch berufenen Degot und Riff, beide Dozenten der Moskauer Rodtschenko-Schule für Fotografie und neue Medien an das, auf das sie bei ihrer Recherche in Bergen stießen: Reiche öffentliche Kunstinstitute, alle gesteuert von der unsichtbaren, aber starken Hand des Staates. Plötzlich fühlten sie sich – um es mit den Beatles zu sagen – back in the ussr.
Der Roman der Strugatzkys war eine Satire auf die sowjetische Bürokratie und das Ideal vom neuen Menschen. In der verrückten Geschichte wird der „vollständig befriedete Mensch“ gezüchtet. Das Institut unter der Knute eines diktatorischen Professors besteht aus unzähligen Unterinstituten wie das für „das absolute Wissen“ oder „lineares Glück“.
Bei zwei Kuratoren aus Moskau ist es kein Wunder, dass die Bergen Assembly sich noch einmal an naheliegenden Traumata abarbeiten. Etwa wenn in Josef Dabernigs Film Hypercrisis die Angestellten eines ehemaligen Erholungsheims für verdiente Filmschaffende im Südkaukasus in einem Endlos-Loop in dem verfallenden Gebäude ihren Dienst tun, als ob nichts passiert sei.
Oder wenn in Wong Men Hois Dokumentation The east is red die grauhaarigen Kämpen der norwegischen Kommunisten darüber reflektieren, warum sie von 1970 bis 1980 eine starke maoistische Partei waren, aber trotzdem nie Einfluss auf die norwegische Politik hatten. Und der Erzähler des Films, ein junger Chinese, mit einer roten Flagge durch eine menschenleere Steppe irrt.
Was nicht heißen soll, dass die Bergen Assembly einmal mehr die Utopie verabschieden wollte. Der polnische Künstler Markusz Tarkawian beispielsweise kennt jetzt schon die Artworks of the future. Im Institut für die „Disappearing Future” macht er sich in den nächsten Wochen in unzähligen Bleistift-Zeichnungen Gedanken, welche Kunst bekannte und erfundene Stars der Szene von heute morgen produzieren werden. Maurizio Cattelan traut er für 2030 statt durch die Wand springender Pferde einen aufgehängten Menschen zu.
Insgesamt geht es aber um mehr als um eine neuerliche Demonstration postsozialistischer Ernüchterung, wenn Degot und Riff die elf, an dem Triennale-Parcours beteiligten, Bergener Kunstinstitute nach dem Vorbild des Romans umbenannt haben. Wenn sie die Arbeiten der 44 eingeladenen Künstler in einem „Institut für die verschwindende Zukunft“, für „Politische Halluzinationen“ oder „Lyrische Soziologie“ präsentieren, wollen sie das Sinnbild des sowjetischen Systems aus Bürokratie und Zwang, so wie es in dem Roman beschrieben wird, positiv wenden. Ihnen geht es um ein Plädoyer für eine andere Form von Wissenschaft und eine andere Form von Kunst.
Ihr provozierender Vergleich Norwegens mit der UdSSR ist übrigens gar nicht so weit hergeholt. Erstaunlich viele Arbeiten in Bergen nehmen das norwegische Selbstbild als Friedensnation und „Wohlfahrts“-Staat aufs Korn.
Etwa wenn Jumana Manna und Sille Storihle in ihrem Film „The Goodness Regime“ die Realität hinter dem Osloer Abkommen von 1993 zwischen Israelis und Palästinensern untersuchen, das die norwegische Regierung vermittelte. Degot und Riff haben ihn sinnigerweise im „Institute of Imaginary States“ platziert. Während der Blick über die Landschaft Palästinas geht, hört man die Stimme des damaligen norwegischen Premiers Kjell Magne Bondevik, der die „nation of benevolence and solidarity“ lobt.
Oder wenn das russische Kollektiv Chto Delat mit seinem Border Musical die norwegische Kinderfürsorge in die Erziehungsdiktatur umschlagen lässt: Eine russische Immigrantin muss ihren scheinbar ungeratenen Sohn plötzlich in einer anderen Familie erziehen lassen. Und während des Triennale-Symposions ventilierte die norwegische Künstlerin Ane Hjort Gutto die Erkenntnis, dass die Rundumversorgung der Künstler im Norden es diesen „schwer mache, visionär zu werden“.
So wie der Roman der Strugatzkys mit seinen Dschinnen, Golems und Wissenschaftlern, denen beim Lügen Haare auf den Ohren wachsen, auf die Leerstellen des historischen Materialismus zielte: Zufall, Intuition und etwas, das selbst Hannah Arendt „Wunder“ nannte. So zielen Degot und Riff mit ihrer historisch fundierten Schau auf die blinden Flecken der „Research Art“, die lingua franca der globalen Biennalen-Kunst derzeit. Deshalb sieht man in Bergen so viele Arbeiten, in denen Fantasie und Wissenschaft eine unnachahmliche Mischung eingehen.
Pelin Tan und Anton Vidokle rufen die Arbeit der „Cosmisten“ auf, auf, einer fantastischen Vorläufergruppe der russischen Avantgarde. Im „Institut für Anti-Formalismus“ hängen Arbeiten des materialistischen Visionärs Wladimir Strzeminski aus Polen. Die cineastischen Exponate reichen von russischen Science-Fiction-Filmen der 20er-Jahre bis hin zu Christian von Borries SF-Doku I’m M. In dem der Berliner Musiker und Filmemacher während der mexikanischen Unabhängigkeitsfeiern aufgenommene Szenen zu einer halluzinatorischen Melange verschmilzt.
Im „Institute of Zoopolitics“ ist ein Dokumentarfilm des deutschen Künstlers Jan Peter Hammers zu sehen. In „Tilikum“ erzählt er die Geschichte der Delphin-Parks in Florida seit den 30-erJahren. Am Ende des Geflechts aus der Raumfahrtwissenschaft des Kalten Krieges, Verhaltenstheorie und weiß man nicht mehr, was Dokumentation und surrealistische Fantasie ist.
Trotzdem ist die Bergener Rationalismuskritik kein Plädoyer für das Okkulte oder ein romantischer Backlash. Auf politische Analyse und Kritik wird in dieser Triennale nicht verzichtet. Wie man an Andreas Siekmanns und Alice Creischers Arbeit „In the stomach oft he predator“ sehen kann. In dem die beiden deutschen Künstler Probleme des „grünen Kapitalismus“ demonstrieren. Am Beispiel des Svalbard Global Seed Vault gehen sie dem Widerspruch nach, dass eine internationale Firma Samen aller bekannten Anbaupflanzen der Agrikultur sammelt, die mit ihrem Engagement im Bereich von Biosprit oder Soya Geschäfts- und Anbaupraktiken anwendet, die dieser Artenvielfalt entgegenläuft.
In Bergen wollen Degot und Riff der ästhetischen Kritik nur unterschätzte Größen zurückgewinnen. Spätestens als der Berliner Kunstkritiker und Kulturtheoretiker Jan Verwoert während des Symposiums in einer großartigen Lecture-Performance eine fiktive Forschungslandschaft mit einem „Miracle-“, „Plausability-“, „Quality-“ und einem „Social Organ Instiute“ Institute“ skizzierte und eine fröhliche Wissenschaft nach nietzschianischem Vorbild beschwor, in dem es um „Schweigen“ und „Verschwinden“ gehen sollte, dürfte auch dem letzten Degot und Riffs Anliegen klargeworden sein: Wahre Dialektik, so ihre Botschaft, funktioniert nicht ohne Magie, Imagination und verrückte Einfälle.
Womit sie wie nebenbei ganz raffiniert das Anliegen der Triennale unterlaufen haben. Denn die hatte sich ja, quasi als globales Alleinstellungsmerkmal, den Untertitel „Initiative for Art and Research“ gegeben. Eine Tendenz auf den Biennalen der Welt, der Kuratorin Ekaterina Degot äußert skeptisch gegenübersteht. Ihr sei aufgefallen, ließ sie sich auf dem Symposion vernehmen, dass früher kritische Kunst hieß, was sich heute „Art and Research“ nennt. Und vermutet dahinter eine Art der ästhetischen Entpolitisierung.
Das ändert nichts daran, dass ihr und ihrem Partner mit ihrer Triennale ein überzeugender Dritter Weg zwischen steriler White Cube-Analytik und aufgeregter Aktivisten-Kunst gelungen ist. Auch wenn man sich wundern kann, dass die Stadt Bergen nach dem Symposium des Jahres 2009, als in der Bergener Kunsthalle so grundsätzlich über die Frage „To biennial or not biennial“ diskutiert worden war, sich in ihrem Bemühen und Stadt- und Kunstpromotion dann doch wieder für eine – abgesehen von der originellen Fragestellung und der dreijährigen Laufzeit – recht konventionelle Ausstellungsform entschied.
Jedenfalls: Der Zone für die „imaginativ-militante Untersuchungen“ die den Kuratoren vorschwebt, kommt vielleicht die Arbeit der spanischen Künstlerin Dora Garcia am nächsten. In einer Performance versammelt sie während der Triennale Besucher und Künstler regelmäßig zu einem Lesekreis.
Wenn die Runde zusammensitzt, gemeinsam James Joyces Finnegans Wake liest, diskutiert und sich gegenseitig Textstellen auslegen, entsteht ein Bild von der positiven Utopie, die der Roman der Gebrüder Strugatzky eben auch enthält: Für immer forschen! Womit wir bei der Arbeitsethik wären, der sich ihr Romantitel verdankt. Grenzenlose Erkenntnis kennt nämlich kein Wochenende.
Text: Ingo Arend
Monday begins on Saturday
Noch bis zum 27.10.2013 in Bergen
Katalog, Sternberg Press, Berlin, 35 Euro.
Das gleichnamige Buch von Boris und Viktor Strugatzky erscheint im Herbst in deutscher Übersetzung im Heyne-Verlag, München.
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7. September 2013 um 23:19 Uhr
Hallo, IA; ist diese „Ausstellung“ wirklich so beknackt, wie es nach diesem Text den Anschein hat? Ein Trost: die Gaukler müssen immer weiter fahren, um ihren Unfug abgekauft zu bekommen. Armes Norwegen, alles Touri-Kommerz oder?