An der Ausstellung „Verführung Freiheit“ hat sich ein Streit entzündet, ob Kunst politische Thematiken sinnvoll illustriert. Darüber diskutierten Kunsthistoriker in Berlin
Ein sterbender Krieger, eine aufschreiende Mutter mit totem Kind, sieben symbolische Flammen. Als Picasso 1937 sein berühmtes Bild „Guernica“ malte, gelang ihm etwas Einzigartiges. Er bannte in ihm eine sehr genau datierbare historische Schrecksekunde. Sein Werk wurde aber auch zu einer allgemeingültigen Metapher. Und zwar nicht nur für Grauen des Krieges. Mit dem Hinweis auf diese Ikone ließe sich schnell und abschließend die Frage entscheiden, ob Kunst etwas in Geschichtsmuseen zu suchen hat. Und ob sie Geschichte erklären kann.
Genau darum tobt in Berlin eine mittelschwere Debatte. Entzündet hat sie sich an der Ausstellung „Verführung Freiheit. Kunst in Europa seit 1945“. Unter diesem Titel hat die Kunsthistorikerin Monika Flacke, Sammlungsleiterin des Deutschen Historischen Museums (DHM), 113 Kunstwerke von Künstlern aus 28 europäischen Ländern zur 30. Europaratsausstellung in dem renommierten Haus versammelt.
Picassos „Guernica“ zählt nicht dazu. Aber Werke wie René Magrittes Ölbild der blutbesudelten Büste der französischen Marianne bis zu Sylvie Fleuries Installation aus Einkaufstüten von Luxusboutiquen. Die Schau soll die Ideen der europäischen Aufklärung im Spiegel der Kunst zeigen (siehe taz vom 22. 10. 2012). Und zu denen zählt nun mal die Freiheit. Natürlich ist immer zu fragen, ob es der Kunst schadet, wenn sie benutzt wird, um historisch-politische Streitfragen zu illustrieren.
Doch Emilio Vedovas Holzcollage „Berliner Tagebuch“ aus dem Jahr 1964 zielt so klar auf die Absurdität der geteilten Frontstadt von einst. Ist aber auch sonst so assoziationsreich, dass es albern wäre, seine Bedeutung auf die Werkbiografie oder auf das Entstehungsjahr zu reduzieren.
Konservativer Reflex
So gesehen verschaffte sich in der Abneigung gegen politische Themenausstellungen mit Hilfe der Kunst, wie sie auf der Podiumsdiskussion „Kunst, Geschichte, Museum – geht das?“ am Mittwochabend im Zeughaus Unter den Linden formuliert wurde, ein konservativer Reflex Luft: Nur weil es inzwischen so viele schludrig, effekthascherisch oder ideologisch zusammengeschusterte Themenausstellungen zu allen möglichen Zeitfragen gibt, ist das noch kein Grund, bei der Welt- und Geschichtsdeutung auf einen Rohstoff zu verzichten, der Kunst und Geschichte gleichermaßen antreibt: die Fantasie. Besonders skeptisch: Der Kunstkritiker Sebastian Preuss, früher Berliner Zeitung, inzwischen beim Magazin Weltkunst, monierte, Flacke habe die Kunstwerke aus ihrem historischen Entstehungskontext gelöst, um eine abstrakte Ideengeschichte zu bebildern. Und wurde darin teils von dem Kunsthistoriker Eckart Gillen unterstützt. Dieser hat selbst viel beachtete Themenausstellungen zur DDR-Kunst und zu Kunst im Kalten Krieg kuratiert.
Doch auch wenn Kunst das „Echo der Schmerzen“ gewesen sein mag, wie es Gillen am Mittwoch poetisch formulierte, oft sogar sehr persönlicher und es bei jedem Bild auf das Entstehungsjahr ankommt, gehört es nun mal zur Freiheit des Betrachters, in der Kunst etwas zu sehen, was der Künstler selbst vielleicht nie intendiert hat und es in einem weiteren Kontext zur Diskussion zu stellen.
Kunst beleuchtet auch die Dinge aus einem anderen Blickwinkel und legt mentale Strukturen frei, für die Wissenschaftlern, Journalisten oder Dokumentarfilmern das Format oder das Sensorium fehlt. Bei denen Preuss die Reflexion der großen Menschheitsfragen von der Finanzkrise bis zum Klimawandel seltsamerweise besser aufgehoben sieht als bei der Kunst.
Charlotte Klonk, Professorin für Kunst und Neue Medien an der Berliner Humboldt-Universität, erinnerte an die Ausstellung „1789. Aufklärung, Verklärung, Verfall“, die Werner Hofmann 1989 in der Hamburger Kunsthalle kuratierte, wo sich der Wandel von der religiösen zur säkularen Ikonografie besser erschlossen habe als in wissenschaftlichen Studien. Oder Harun Farockis Film „Videogramme einer Revolution“ von 1992 über den Sturz des rumänischen Diktators Nicolae Ceaucescu. Die Kunsthistorikerin wunderte sich mit den Worten über die Bilderskepsis ihrer allgemeinen Historikerkollegen: „Das ist so eine No-go-Area.“ Dabei gäbe es „ohne Bilder keine Geschichte“, wie Monika Flacke in ihrem Schlussplädoyer zusammenfasste. „Die Historischen Museen sind geradezu aufgerufen, solche Ausstellungen zu machen“, rief sie aus. Recht hat sie. Wir warten auf das nächste Experiment im DHM.
Ingo Arend (taz, 11.01.2013)
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