„Ach, Harald …“
Roter Salon. Eigentlich ist das ein Widerspruch in sich. Rot ist die Farbe der Revolution. Und der Salon ist die Streichelkammer der bürgerlichen Seele, die den Aufruhr fürchtet. Aber vielleicht ist das gleichnamige Etablissement im Oberstübchen der Berliner Volksbühne genau deswegen so beliebt, weil es als Oxymoron lockt: ein intimer Ort in bourgeoisem Plüsch, in dem einem ständig das Morgenrot dämmert.
Der richtige Ort also für die Begegnung einer Revolutionärin und eines paradigmatischen Bürgers: der Berliner Avantgardekünstlerin Monika Bonvicini und des schwerreichen Hamburger Unternehmers und Kunstsammlers Harald Falckenberg. Am Wochenende trafen sich die beiden dort, um über „Kunst und Leben“ zu reden.
„Aus dem Maschinenraum der Kunst“ nannte sich die erste Ausgabe dieses diskursiven Testballons. Doch nicht die Klopfzeichen der Produktionsästhetik vernahmen die Besucher, sondern die Schalmeienklänge einer Freundschaft. „Ich bewundere deine Kunst“, gestand der Förderer der Künste Falckenberg, Jahrgang 1943, der sich auf ihrem roten Sessel räkelnden und vage antwortenden 47-jährigen Deutschitalienerin, anstatt ihr ein paar Geheimnisse ihres Schaffens zu entlocken. So wusste man von einer der gefeiertsten Figuren der Kunstwelt, die Berlin 2005 auf die Palme gebracht hatte, als sie im Hamburger Bahnhof eine Installation aufgebaut hatte, die an einen Swingerclub erinnerte, schließlich nicht viel mehr, als dass sie „nicht sehr nett“ ist, wenn sie genervt ist. Dass es dunkel und die Stadt „so hässlich“ war, als sie 1986 nach Berlin zog. Und als Falckenberg zu einem verqueren Feminismus-Exkurs anhob, winkte sie müde ab: „Ach, Harald …“
Nichts dagegen, dass die profilneurotische Volksbühne ihr Non-Drama-Angebot mit einer Gesprächsreihe komplettiert, die dem No-Concept-Concept von Documenta-Chefin Carolyn Christov-Bakargiev gefährlich nahe kam. Wenn sie denn zu einem zeitgemäßen Gespräch über die profane Andacht geführt hätte, die hierzulande die Religion zu ersetzen beginnt. Stattdessen tauschten die beiden Anekdoten à la „Erzähl doch mal was über Mike Kelley!“ aus. Spätestens da schrumpfte der Maschinenraum der Kunst zu ihrem Nähkästchen.
„Wir haben jetzt schon genug dazu gesagt, übernimm du mal die Regie“, forderte Falckenberg am Ende sein Gegenüber auf, das gerade die Weingläser nachfüllte, als ihm zum globalisierten Kunstsystem nicht mehr einfiel als ein schlechter Witz zur New Yorker Blue-Chip-Galerie Gagosian. Dass da die Bourgeoisie so friedlich das diskursive Zepter abgab, konnte einen nicht mit der Misslichkeit versöhnen, dass die Kunst an diesem milden Berliner Herbstabend das schillernde Mysterium einer Avantgardesphinx blieb, die eine Hildegard-Knef-Brille trug.
Ingo Arend, taz 01.10.2012
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