Bitte „keine explizit politische Kunst“
Carolyn Christov-Bakargiev, die Chefin der diesjährigen Documenta, über ihr feministisches Kein-Konzept-Konzept und die Gefahren des Wissenskapitalismus.
sonntaz: Frau Christov-Bakargiev, erinnern Sie sich noch an die Documenta von Jan Hoet?
Carolyn Christov-Bakargiev: Ja, die mochte ich sehr. Ich erinnere mich noch an die wunderschöne Spinne aus Menschenhaar von David Hammons im Fridericianum, die Holzskulptur von Jimmie Durham oder Michelangelo Pistolettos Happy-Turtle-Projekt in einem ausrangierten Laden. Da gab es eine Menge gute Kunst.
Ich frage nicht ohne Hintergedanken. Von Jan Hoet stammte der Satz: Ich habe kein Konzept. Sie sagen das auch ständig. Erwartet uns kommende Woche in Kassel ein ähnlich bunter Jahrmarkt wie 1992?
Hoets Documenta war vielleicht nicht so sensibel für die politischen Fragen der damaligen Zeit: den Fall der Mauer, die Krise Europas. Ich versuche mich mehr mit den Problemen der Welt im Großen auseinanderzusetzen. Trotzdem mochte ich, dass sie kein so strenges Konzept hatte. Dann kommen die Kunstwerke besser zur Geltung.
Das wird auch bei Ihnen so?
Es gibt eine Analogie. Aber der Verzicht auf ein theoretisch ausgefeiltes Konzept ist bei mir mehr eine Form des Widerstands gegen den Wissenskapitalismus. Der genau damit arbeitet. Eine Form des Widerstands gegen die Art und Weise, in der in unserer digitalen Welt Macht durch die Beherrschung des Wissens ausgeübt wird.
Was meinen Sie damit?
Die Produkte kognitiver Arbeit, ob Sie nun Genetiker sind und DNA-Codes kodieren, ob Sie Mathematiker sind und für eine Softwarefirma arbeiten oder ob Sie Künstler sind, werden oft genug sofort in ein System der Macht kooptiert. Diese Übernahme findet in allen Bereich der sogenannten Kreativität statt. Das ist die Basis von Macht und Profit im 21. Jahrhundert. Fragen wie die des Intellektuellen-Streiks, den die italienischen Operaisten bis hin zu Negri und Hardt dann entwickelt haben, also so etwas wie Wissensverweigerung, das war zu Jan Hoets Zeiten noch kein Thema. Deshalb hat er den Satz: „Ich habe kein Konzept“ aus anderen Gründen gesagt.
Welche Documenta mochten Sie?
Ich bewundere Catherine David sehr. Sie brachte 1997 das Diskursive zurück. Sie brach mit der Dominanz des Neoexpressiven, einer extrem marktorientierten und konservativen Kunst am Ende der 80er und zu Beginn der 90er Jahre. Sie bezog sich wieder auf die Avantgarde und auf die Idee von Kunst als einer entwickelten Forschung. Damit will ich nicht brechen. Aber ich bin mehr an Formen des intuitiven Wissens interessiert. Das steckt hinter der Formel von dem Konzept, kein Konzept zu haben.
Was noch?
Es gibt etwas Feministisches in diesem no-concept-concept. Eine Art Widerstand gegen eine intellektuelle Tradition, die meistens die Tradition von Männern ist: Sich mit sehr klaren Thesen und Konzepten zu identifizieren. Dagegen wehren sich Frauen. Sie kreieren Momente des Zögerns und Zweifelns.
Sie sprechen auch von einem „state of mind“ …
Ich bin an Einstellungen interessiert, die Menschen, aber auch nichtmenschliche Lebewesen zu bestimmten Handlungen treiben. Mehr jedenfalls als an dem, was rein rationales Denken motivieren kann. Ein Geisteszustand, aus dem heraus beispielsweise ein Kunstwerk entsteht. Mich interessiert, was noch vor der Idee kommt. Deshalb gibt es bei dieser Documenta diese Notizbücher. In den Büchern soll man nachvollziehen können, wie eine Idee entsteht, wie Denken entsteht.
Um welche Geisteszustände soll es gehen?
Zum Beispiel um diesen Zustand ständiger Performativität. Auch die Documenta ist eine Bühne. Spätestens seit Joseph Beuys. Ganz Kassel wird eine Bühne. Ich stehe auf dieser Bühne. Deshalb gebe ich Ihnen dieses Interview. Oder die Frage: Was tut man, wenn man sich entscheidet, sich zurückzuziehen? Araya Rasdjarmrearnsook, eine thailändische Künstlerin wird das demonstrieren, wenn sie während der Dauer der Documenta mit einem adoptierten Straßenhund in einem abgeschirmten Haus in der Karlsaue lebt. Eine Art Allianz unterprivilegierten Menschen und anderer unterprivilegierter Gattungen in den großen postkolonialen Städten.
Sie sprechen von vier Geisteszuständen. Welche noch?
Wie verhalten sich Menschen unter Druck, im Belagerungszustand? Max Beckmann malte seine Triptychen, Giorgio Morandi seine Flaschen. Und kreierte damit eine Form der Zurücknahme seiner selbst, die Machtverhältnisse durcheinanderbringt, obwohl man sich machtlos fühlt. Um ihn herum herrschte Faschismus. Wir zeigen Objekte aus Morandis Atelier.
Wo bleibt das Positive?
Natürlich geht es auch um Hoffnung. Es ist ein unglaublicher Aktivismus im Gange auf der ganzen Welt. All diese Bewegungen hoffen, dass sie etwas verändern können. Deshalb haben wir schon im Vorfeld die Künstler-Gruppe AND AND AND unterstützt. Aber wir bringen keine Kollektive nach Kassel. AND AND AND werden ihr eigenes Projekt auf der Documenta machen und andere Kollektive in ihre Agentur einladen, die sich innerhalb der Documenta befindet.
Ihre Documenta soll von einer „ganzheitlichen und nichtlogozentrischen Vision angetrieben“ sein. Das klingt esoterisch.
Was soll daran esoterisch sein, wenn man an einer Welt interessiert ist, wo das Wissen der Menschen, ob nun Handwerk oder Philosophie, mit dem Wissen des Apfelbaums ausbalanciert ist, einen Apfel hervorzubringen, oder mit dem Gedächtnis eines Hundes. Ich glaube, wir Menschen müssen lernen, weniger das Zentrum von allem zu sein. Wir teilen den Planeten mit Steinen, Tieren und Pflanzen. Unser Ökosystem ist aus den Fugen, weil der Mensch den ganzen Planten zerstören kann. Uns erschreckt die Vorstellung, dass die Bienen vor der Ausrottung stehen. Die australische Wissenschaftlerin Jill Bennett spricht deshalb vom Anthropozän.
Es scheint mir eher eine philosophische Frage als eine der Kunst zu sein …
Auf jeden Fall haben wir mehr Verantwortung als vorher. Weil unsere Entscheidungen Auswirkungen haben. Wir müssen unsere Autorität zurückfahren. Wie ist eine Demokratie vorstellbar, in der die anderen Gattungen eine Stimme haben? Das hat nichts mit Tierschutz zu tun. Es geht um das Ermächtigen der Bienen. Und das hat wieder mit dem Feminismus zu tun. Denn die Geschichte des Feminismus war immer die Geschichte des Anderen.
Nach der postmodernen Documenta von Jan Hoet 1992 und der postkolonialen von Okwui Enwezor 2002 soll es 2012 also eine posthumane Documenta geben?
Ich würde dieses Wort nie benutzen. Es wird von Postmodernisten wie Jeffrey Deitch benutzt , der 1992 eine Ausstellung mit diesem Titel gemacht hat. Und von reaktionären Zirkeln und rechten Anarchisten im Internet. Ich würde es vielleicht Deanthropoisierung nennen.
Machen Sie nicht Kunst samt ihren alternativen Potenzen, genau dadurch, dass Sie sie öffentlich zeigen, dem kognitiven Kapitalismus verfügbar?
Man begibt sich immer in Gefahr, wenn man sich engagiert. In diesem Fall ist das, was man erreichen kann, mehr als das, was man verlieren kann. Ich habe keine spektakuläre Inszenierung vor dem Fridericianum. Dort wird nur ein Buchladen stehen. Im Auegarten wird es einen Do-Nothing-Garten geben und keine große Skulptur. Den können sie noch nicht mal fotografieren oder auf ein Magazin-Cover heben, weil er nur grün ist, keinen Zweck hat. Ich mag auch keine allzu direkte, explizit inhaltliche politische Kunst. Manchmal laufen dann all diese reichen Leute durch und sagen sich: Was bin ich cool! Und sie predigt oft nur zu den Bekehrten. Also: Es ist eine große Herausforderung, den Kampf mit der Bestie aufzunehmen und ihre Mechanismen zu brechen, indem man radikale Formen von „bêtise“ benutzt, wie Avita Ronnell oder Donna Haraway es nennen würden.
Interview: Ingo Arend (taz 01.06.2012)
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