Provokateur
Mit der 13. Architektur-Biennale will der britische Architekt David Chipperfield seiner Zunft mehr Gemeinschaftssinn antrainieren
Der italienische Architekt Franco Stella errichtet derzeit im Herzen der deutschen Hauptstadt einen hässlichen Kasten unter dem Tarnnamen Humboldt-Forum. Würde diese seltsame Kreuzung aus Möbelhaus und Hohenzollernburg attraktiver, wenn sich statt seines Urhebers vier weitere Architekten an dem Bau beteiligen würden? Schwer zu sagen. An der rhetorischen Frage ließe sich aber der Wert der „Provokation“ ermessen, mit der David Chipperfield in diesem Sommer die 13. Architektur-Biennale erschüttern will. Ende August soll es nach seinem Willen in Venedig um den „Common Ground“ gehen.
Die bestechende Idee hat der Ende Dezember zum Kommissar der Schau ernannte britische Star-Architekt bewusst doppeldeutig formuliert. Gemeint ist tatsächlich der reale Gemeinschaftsgrund. So wie man ihn von dem deutschen Wort „Allmende“ kennt. Gemeint ist aber auch die Bereitschaft seiner KollegInnen zum kollektiven Arbeiten. „Architektur bedarf der Zusammenarbeit“ mahnte Chipperfield diese Woche bei Auftritten in Berlin, London und Rom, wo er für seine Biennale warb. Die Architektur kreiere nicht nur Objekte, sondern „einen Teil der Gesellschaft“.
Nach dem Willen des 58-Jährige sollen die Auserkorenen diesmal nicht mit Einzelpräsentationen nach Venedig kommen, sondern Gemeinschaftsprojekte zu entwickeln. Jahrzehntelang sei die Architektur vom Individualismus geprägt gewesen, stöhnte Chipperfield: „Alles was zählte, war der Erfolg des Einzelnen“. Nicht ganz zu Unrecht verspricht er sich eine echte „Provokation“ nicht nur der Ausstellungsgewohnheiten davon, wenigstens einmal das „Gemeinsame in der Architektur“ aus- beziehungsweise herzustellen.
Einen Versuch wert ist die ungewöhnliche Idee allemal. Ob es dem Berliner Neue Galerie-Sanierer aber tatsächlich gelingen wird, nicht gänzlich uneitle Kollegen wie Peter Eisenman, Norman Foster, Zaha Hadid, Hans Kollhoff oder gar einen Künstler wie Thomas Demand binnen drei Monaten auf ein neues, kollektives (Arbeits)-Ethos zu verpflichten, muss sich erst noch zeigen. Auf Dauer bessere Architektur dürfte daraus natürlich erst erwachsen, wenn die Biennale längst vorbei ist.
Vielleicht sollte Chipperfield, um wirklich Nägel mit Köpfen zu machen, direkt einer der eingeladenen Gruppen animieren, eine Alternative für das Berliner Schloss des Grauens zu entwerfen. Es steht schließlich auf gemeinsamem Grund und Boden. Und der Bundesverdienstkreuzträger hatte seine Abneigung gegen den hybriden Bunker in vielen Interviews zu Protokoll gegeben.
Auf jeden Fall ist Chipperfields Slogan ein weiteres Indiz für die Renaissance des Kommunitären, die sich überall beobachten lässt. Ob nun zur Rekommunalisierung städtischer Versorgungsbetriebe aufgerufen wird. Ob die gerade zu Ende gegangene Rotterdamer Architektur-Biennale nach der „sozial-integrativen Stadt“ fragt. Oder ob die amerikanische Theoretikerin Naomi Klein schon länger die Commons beschwört – die gemeinschaftlichen Güter eben.
Ihn interessierten Architekten, hatte Chipperfield kürzlich zu Protokoll gegeben, die sich auf Projekte einließen, „die der Vereinzelung entgegenwirken“. Zusammen mit dem Motto: „Reduce, Reuse, Recycle – Vermeiden, Weiterverwenden, Wiederaufbereiten“, das der Münchener Architekt Muck Petzet als Kommissar für den deutschen Pavillon ausgegeben hat, könnte Architektur-Venedig in diesem Jahr die intellektuellen Umrisse einer rot-grünen Zeitenwende liefern, an der die Politik seit Jahr und Tag erfolglos herumdoktort.
Schade nur, dass die 58 Projekte von 100 Künstlern, die Chipperfield bislang zum großen Work-Together nach Venedig eingeladen hat, sich aus genau dem weißen, westlichen, überwiegend männlichen Club rekrutieren, der die Welt beständig mit seinen Architektur-Solitären und stargerechtem Auftreten beglückt. Zwar stellen sich in diesem Jahr erstmals Angola, Kosovo, Kuwait, Peru und die Türkei mit eigenen Pavillons in den Giardini an der Lagune vor. Doch dass es Chipperfield für seinen Teil der Schau nicht gelungen oder eingefallen ist, Architekten aus China, Indien, Afrika oder Arabien einzuladen, mag man kaum glauben.
Gegen dieses Manko hilft auch die Nominierung des chinesischen „Architekten“ Ai Weiwei nicht. Der zwar ein großer Stifter gemeinschaftlicher Kunstaktionen ist. Aber längst nicht mehr als Architekt arbeitet. Bei aller Liebe zur architektonischen Gemeinschaft à la Chipperfield: Eine postkolonialistische Provokation, wie sie 2002 der Nigerianer Okwui Enwezor der Documenta in Kassel verordnete, täte ihrem venezianischen Ableger vielleicht auch mal ganz gut.
Ingo Arend (taz 10.05.2012)
Bilder: www.labiennale.org
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