Ein Apfelbäumchen pflanzen
Carolyn Christov-Bakargievs 13. dOCUMENTA nimmt langsam inhaltliche Konturen an
Eine Hommage an Beuys. Die Documenta-Astrologen waren sich einig, was es zu bedeuten hatte, als Carolyn Christov-Bakargiev im letzten Jahr in der Kasseler Karlsaue einen bronzenen Baum des italienischen Künstlers Giuseppe Penone aufstellte, in dessen Krone ein Stein lag. Schließlich hatte der Übervater der Kunst 1982 in der weltbekannten Provinzstadt in einer Aufsehen erregenden Aktion 7000 Eichen samt dazugehörigen Basaltsteinen aufstellen lassen.
Bei historischen Reminiszenzen wird es die Chefin der 13. Documenta, die am 9. Juni 2012 in Kassel öffnet, nicht belassen. Auch wenn sie sich in den letzten zwei Jahren tief in deren Geschichte vertiefte, „Zusammenbruch und Wiederaufbau“ als deren DNA ausgemacht und Nutzern der Website als Login das Passwort „Bode55“ verpasst hatte – sanfte Erinnerung an den Erfinder und das Geburtsjahr der Superschau.
Wie sehr nämlich auch diese Documenta-Chefin daran arbeitet, mit der 13. Ausgabe des wichtigsten Kunstereignisses der Welt mehr als eine kunsthistorische Fußnote zu hinterlassen, konnte man am Montag dieser Woche sehen, als die 53-jährige Kuratorin vor Leipziger Kunststudenten die ersten Appetithäppchen ihres Konzepts unters Volk streute: Auftakt einer PR-Tournee durch deutsche Kunsthochschulen.
Zwar warf sie die üblichen Nebelkerzen, als sie dem andächtigen Nachwuchs in der Hochschule für Grafik und Buchkunst einschärfte, die Documenta als Prozess zu sehen, nicht als Produkt, „Scepticism“ und „Maybe“ als ihr kuratorisches Credo beschwor und auf die drängenden Fragen, was es denn zu sehen gebe, mit gespielter Verzweiflung „Ich weiß es wirklich noch nicht“ seufzte. Zu viel darf ein Kurator vorher natürlich nie verraten. Denn nur zu einem geheimnisumwitterten Mythos strömen die Massen.
Nur strategische Koketterie war das nicht. Dass die Kuratorin nicht viel anfangen kann mit fertigen Etiketten, fixen Ideen und statischen Einteilungen, weiß man nicht erst seit gestern. Den Hang des Kunstbetriebs zur „Verwaltung der Kreativität“ verabscheut sie. Weshalb sie und ihre Mitstreiterin Chus Martinez kürzlich in einem Gespräch schon mal mit dem Gedanken liebäugelten, einfach „den Dingen ihren Lauf zu lassen“: „In der Documenta“ abzutauchen wäre am besten, besser als sie zu handhaben und sich ihrer somit bemächtigen zu wollen“ überlegten die beiden laut. Was nun wirklich ein Novum in der Documenta-Geschichte wäre. Aber die Öffentlichkeit will Bilder, Skulpturen, Installationen sehen. Deswegen trommelt Christov-Bakargiev nun doch für ihr Projekt.
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Die Kunstakademien tourt die prozessverliebte Italo-Amerikanerin aber nicht ohne Grund. Denn mit ihrer Documenta will die ehemalige Direktorin des Turiner Kunstmuseums Castello di Rivoli und überaus erfolgreiche Chefin der Sydney-Biennale 2008 offenbar eine Allianz schmieden. Dem „kognitiven Kapitalismus“, den sie draußen in der Welt ausgemacht hat, und der sich die frei flottierende Kreativität als neue Produktivkraft unterworfen hat, will Christov-Bakargiev eine Art Sammlungsbewegung alternativer Kreativität gegenüberstellen.
Deshalb sollen unter den über 100 Künstlern aus 50 Ländern, die sie nach Kassel einladen will, auch Physiker und Architekten, Tänzer und Poeten, Ökonomen und Feministinnen sein. „Widerstand ist wichtig“ sagte sie mit Blick auf die weltweiten Demonstrationen gegen den Finanzkapitalismus. Die Documenta sieht sie als „Plattform der transversalen Community“ für eine „alternative Globalisierung“. Bei der künstlerische und wissenschaftliche „Forschung“ zusammengebracht werden sollen.
In diesem Zukunftslabor sollen sogar die Tiere ihren Platz haben. Homo Sapiens kämpft noch mit der unerfüllten Utopie namens Multikultur. Da denkt Christov-Bakargiev schon weiter. „Multispecies coevolution“ heißt eines der Zauberworte ihrer Documenta. Mit dem wunderbaren Begriff will sie den Planeten und all seine Bewohner aus der anthropozentrischen Sackgasse führen. Eine Allianz nur aus Menschen käme ihr wie eine „limitierte Radikalität“ vor, erläuterte Christov-Bakargiev in Leipzig. So kann man die Besucherzahlen natürlich auch steigern: Für Tierfreunde wird die nächste Documenta auf jeden Fall ein Muss.
Wie sich das alles in Kunst niederschlagen wird, niederschlagen soll, bleibt vorerst das Geheimnis der diskussionsfreudigen Hundeliebhaberin. Doch wie um zu demonstrieren, was sie damit meint, dass Kunst ein nachwachsender Rohstoff sei, dass Menschen, Tiere und Pflanzen gleichermaßen „Energie teilen und verwandeln“, will sie zusammen mit dem Künstler Jimmy Durham in der nächsten Woche in der Karlsaue ein Apfelbäumchen pflanzen. Diesmal ein echtes. Ganz ohne Stein.
Text für Getidan: Ingo Arend
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