Ein Mann macht dicht
Der Lockenschopf. Das war früher das Erkennungszeichen von Olaf Scholz. Wann immer der freche Juso aus Hamburg im Bundesvorstand der Jusos oder auf ihren chaotischen Bundesdelegiertenversammlungen auftauchte, war er schnell zu erkennen an seiner charakteristisch verwuschelten Haartracht. Die irgendwie auch ein Symbol für seine politische Unberechenbarkeit war. Und für die verschlungenen Wege, die zu gehen er bereit war, um an sein politisches Ziel zu kommen. Kaum tauchte er auf, verbreitete sich rasch nervöse Unruhe im Saal. Entweder wegen der Intrigen und Bündnisse, die dann geschmiedet wurden oder schon längst geschmiedet waren. Wegen der ironischen Bemerkungen, die er um sich herum verspritze wie feinste Dosen unmerklich wirkenden Gifts. Oder wegen der Debatten, die er backstage anzettelte, während sich vorne am Rednerpult die Gralsritter der Doppelstrategie noch dabei abwechselten, graues Recyclingpapier durch den Floskelkopierer zu schieben.
Dass Olaf Scholz keine Locken mehr hat, wird man ihm nicht vorwerfen können. Irgendwann werden bei jedem Mann mittleren Alters die Haare weniger, dünner, grau. Oft sieht es dann wirklich besser aus, wenn sie sie so stark zurückschneiden, wie Scholz es seit ein paar Jahren tut und trotzdem als neuer Hoffnungsträger der SPD gilt. Wenn der damit nicht einen fatalen Rollenwechsel signalisierte. Wo Ole von Beust, der flamboyant gelockte Großbürger sich und seine konservativen Stammwähler so sehr öffnete, dass sie Schwarz-Grün feierten und ihm am Ende selbst die Liebe zu einem 19-jährigen, aus der Boss-Werbung gefallenen Jüngling nicht mehr übelnahmen, versteinerte der libertinäre Stamokap-Linke Scholz zu einem bedauernswerten Opfer des somatischen Disziplinarregimes, als das Politik eben auch immer wirkt: Streng, glattgeschliffen, floskelbewehrt. Auch dieses politische Urgestein schrumpfte nach dreißig finessenreichen Jahren auf das für den sozialistischen Nachwuchs vorgesehene Format: Ein Kiesel im Malstrom der Demokratie.
Der berüchtigte „Scholzomat“ eben, zu dem ihn Die Zeit machte. Was neben der rhetorischen Stanze auch meinte: Ein Mann, der sich selbst unter totaler Kontrolle und alle juristischen Regularien sofort bei der Hand hat. Höchstens noch bei Hintergrundgesprächen “unter vier” ironisch gluckst. Ein Mann, für den Fantasie offenbar ein Fremdwort ist. Der es in Sachen Elefantenhaut und Imprägnierwirkung durchaus mit dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Stefan Mappus aufnehmen kann. Dem man den Satz: “In Hamburg habe ich mich unsterblich in meine Frau verliebt” ungefähr so abnimmt, wie das schusssichere Seitenfenster, das er vor allzu neugierigen Reportern herauf dreht. Kurzum: Ein Mann wie sein eigener Dienstwagen.
Warum der umtriebig-kreative Olaf im Laufe seiner politischen Karriere immer mehr zu- statt aufgemacht hat, wissen wir nicht genau zu sagen. Die Pathologie der politischen Kultur hierzulande reicht eben doch tiefer als man denkt. Auch dass sein Wahlkampf so schmuck- und glanzlos daher kommt, ist nicht das Problem. Die tendenzielle Graumäusigkeit ist nämlich der ästhetische Wesenskern der Demokratie. Und dürfte die Stimmungslage der kleinen Leute im Norden derzeit eher treffen als die Wiederaufnahme der bizarren Dramen, mit denen sich das (un-)bürgerliche Duo Beust&Schill lange genug inszenierte. Wenn sich mit der autoritären Gradlinigkeit, mit der sich der verschlankte Scholz unaufhaltsam seinen Weg durch die Fußgängerzonen und Seniorenheime bahnt, nicht zugleich die Friedhofsruhe der innersten Sicherheit über die Hansestadt machen würde. Schon freuen sich das bürgerliche Lager an der Elbe wieder, dass Olaf die Partei so schön „stramm stehen“ lässt.
Hamburg im Februar, das heißt eben auch: Kein Diskurs, nirgends. Und diese hermetische Mischung aus Befrieden und Führen wird uns nun als Erfolgsmodell verkauft. Gegen den „denkenden Redner“ Willy Brandt, den der Verleger Klaus Wagenbach einst bewunderte, wirkt sein Ur-Enkel Olaf Scholz, der auf den tiefblauen SPD-Plakaten die Hände in die Hosentaschen steckt und nichts als „Klarheit“ verspricht, wie ein wortkarger Buddha. Um die Parteilinken zu zügeln und allzu viel Unruhe zu vermeiden, hat sich die Ein-Mann-SPD-Spitze ein paar soziale Wohltaten ausgedacht, um die Stammwähler nicht zu verlieren. Den mutmaßlichen Koalitionspartnern von den Grünen hat er knapp bedeutet: Kapitalistische Essentials wie die Elbvertiefung stehen nicht zur Debatte. So sprechen Sheriffs, die im Erlebensfall dann doch nur wieder als die Hilfssheriffs des kapitalistischen Reparaturbetriebs abgeben dürfen. Derweil kommt der neue, alte Chef der Sozialdemokraten an der Elbe wie eine Mischung aus hanseatischem Pfeffersack und fürsorglichem Belagerer aus dem Job-Center daher. Habituell gesehen sieht Scholz aus wie das fleischgewordene Adenauer-Motto: Keine Experimente. Der Aufbruch zur unabgegoltenen „Utopie einer gerechten und friedlichen Gesellschaft“ (Klaus Wagenbach) drückt sich hoffentlich bald in einem anderen Körper aus.
Text: Ingo Arend für getidan.de
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