Tempelhof heute: Himmel, Himmel, Himmel, Horizont, soweit das Auge reicht –
der Nazi-Kleiderbügel von Flughafen ist weit weg
Exerzierplatz des Kaiserreichs, Landeplatz der ersten Zeppeline, Luftkreuz des Dritten Reiches, Drehkreuz des Kalten Krieges. Nach vierzig Jahren stellte der Flughafen Tempelhof endgültig seinen Betrieb ein. Das dahinter liegende Tempelhofer Feld, jene riesige urbane Sackgasse zwischen Kreuzberg, Tempelhof und Neukölln, wandelte sich in einen öffentlichen Park, und tausende Berliner strömten im vergangenen Mai zur Eröffnung in den Südosten der Stadt. So viel Mythos bekommt man nicht alle Tage zu sehen.
Dass die anfängliche Begeisterung nicht abebbte, hat seinen Grund. Denn über dem Tempelhofer Feld ist der Himmel über Berlin nicht mehr bloß die sprichwörtliche Metapher. Er ist eine überwältigende Liveerfahrung. Das Tempelhofer Feld wirkt wie eine Installation von James Turrell in der Wüste von Arizona: Himmel, Weite, Firmament. Vergiss den Kiez, den Müll und den Tod. Hier locken 389 Hektar öffentliches Grün, und das mitten in einer Millionenstadt.
Vor allem Himmel
Der monströse Kleiderbügel, den Ernst Sagebiel zu Beginn der dreißiger Jahre den Nazis als Flughafen gebaut hatte, steht weit weg, am Rand. Er wirkt wie die die surreale Fußnote jener megalomanen Urbanität, ohne das Gelände zu dominieren. Am Eingang des Tempelhofer Feldes erinnert ein Gedenkstein an die 75 Männer, die bei der Luftbrücke vor sechzig Jahren umgekommen sind. Statt Rosinenbombern steigen heute Drachen und Modellflugzeuge in den Himmel über Berlin. Das Terrain fungiert jetzt also als Himmelsbrücke. Es ist Symbol der Freiheit, es ist ein unendlich friedlicher Nicht-Ort: Wie nimmt man so etwas an?
Jeder Baum wird von den Besuchern wie ein Geschichtsdenkmal bestaunt. Und die Stahlstreben der alten Flugsicherung stehen wie erratische Zeugen einer prähistorischen Vergangenheit in der Steppe. Immer wieder schlendern die Besucher auf dem bröckelnden Asphalt die Lande-und-Start-Bahnen mit den verblassenden gelben Richtungspfeilen entlang. Jede zementierte Sackgasse verspricht Neuland und Geheimnis.
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Tempelhof ist ein Feld der sozialen Integration
im Zeichen von Absichtslosigkeit und Spiel.
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Viele geben sich auch einer Naturillusion hin: Sie sitzen in der mannshohen Schafgarbe, lauschen den Grillen und beobachten, wie die Sonne hinter den Kirchtürmen von Kreuzberg untergeht. Es wäre perfekt, stünde neben dem Picknickkorb und dem Sand-Vergissmeinnicht nicht ein Hydrant, dessen Farbe abblättert. Die technische Infrastruktur des Flugfeldes verrottet hier leise, sie ist nur noch Erinnerung an Funktion: Wilder Holunder quillt aus dem aufgeschlitzten Rumpf eines Übungsflugzeugs: Der Kalte Krieg als Land-Art, Zeitgeschichte als Verfallsmasse, Kulisse für eine historischen Konversion. An den Zäunen, die den alten Flughafen vom Park trennen, hatten die Modedesigner, die das Flughafengebäude jetzt zwischennutzen, zur letzten Fashion Week programmatisch die bunten Fahnen ihrer Fantasienationen aufgezogen. Die wehenden Stofflappen wirkten wie ein postnationaler Flickenteppich.
Absichtslosigkeit und Spiel
Dass die Berliner nun ein Gelände besitzen, das in etwa so groß ist wie New Yorks Central Park, schmeichelt ihrem Größenwahn. Gegen die städtebauliche Aufgabe, die das Tempelhofer Feld darstellt, wirkt die Planung für den Berliner Schlossplatz wie die Möblierung eines Kinderspielplatzes. Was soll also daraus werden? Die Bezeichnung „Park“ für das Gelände ist ja bloß ein Euphemismus der Stadtverwaltung. Von einem landschaftsplanerischen Konzept ist bis auf 50 Toiletten, 100 Papierkörbe, einen Biergarten und einen Aussichtsturm bislang nichts zu erkennen.
Aber das gerade ist das Schöne. Für Städter ist diese Art der Undefiniertheit geradezu unfassbar entspannend. Nichts und niemand gibt auf diesem Gelände eine Nutzung explizit vor. Einzige Ausnahme sind bislang freundliche Männer auf blauen Dienstfahrrädern, die Abweichler diskret darauf hinweisen, dass das Grillen nur auf den dafür vorgesehenen „Freiflächen“ gestattet ist. Ansonsten darf jeder machen, was er will: skaten, Rad fahren, spazieren gehen, Tai-Chi, in die Luft starren. Auch wenn es in Tempelhof inzwischen so etwas wie einen routinierten Feierabendbierbetrieb in einem einzigen Biergarten gibt, das surreale Bewegungstheater auf der historischen Flachwiese ist die performative Aneignung eines mythischen Raumes und die Wiederentdeckung der individuellen Bewegungsfreiheit. In so einem undefinierten Gelände lassen sich eigene Zeichen setzen: von der Meditationsskulptur am Landebahnrand bis zu den Rauchzeichen des Barbecue. Berlin hat viele Volksparks. Aber hier kommt das Wort zu seiner vollen Bedeutung. Tempelhof ist ein Feld der sozialen Integration im Zeichen von Absichtslosigkeit und Spiel.
Sieg über die Stadtvillen?
Bis die Bundesgartenschau 2017 auf dem Gelände ihre blühenden Landschaften installiert, dürfen Raumpioniere und Zwischennutzer Vorschläge für die künftige Nutzung einreichen. Berlins Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer erklärte, sie wolle von dem Konzept Zwischennutzung lernen, das Berlin seit fünfzehn Jahren vor allem für Kreative so attraktiv gemacht hat. Ob diese nur die nützlichen Idioten für die Investoren spielen sollen, die sich noch im Hintergrund halten, oder ob es der Senatorin wirklich um „partizipatorische Stadtentwicklung“ geht, ist noch offen. Auf den Infotafeln im Park sind rund um das Feld schon „Stadtareale“ ausgewiesen. Auch den meisten Laubenpiepern in der Gegend wurde bereits gekündigt.
Noch ist das Tempelhofer Feld ein exemplarischer Freiraum. Noch ist es keiner dieser übercodierten Parks, noch sind Freizeit und Muße, kurz das Vergnügen, unabhängig vom Geldausgeben. Wohl deshalb spricht Senatsbaudirektorin Regula Lüscher pathetisch von der „Tempelhofer Freiheit“.
Man sollte die Dame beim Wort nehmen. Es ist eine historische Chance, eine „innerstädtische Reservefläche“ dieser Größenordnung wenigstens ein einziges Mal anderen Prozessen zu unterwerfen als denen von Kapitalisierung, Konsumismus und Verdichtung. Bürger der Stadt, schaut auf dieses Feld! Hier hätte Berlin die einmalige Chance, zu zeigen, dass die Erfahrung mit urbanen Oasen nicht immer wieder nur eines lehrt: Am Ende kommen die Stadtvillen.
Text: Ingo Arend
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