I (Theoretisches Vorspiel)
Nehmen wir als Voraussetzung: Die Menschen werden von Menschen ausgebeutet, unter vielem anderen weil es eine Dialektik zwischen Macht und Herrschaft gibt. Wir denken uns Macht als die Fähigkeit, das eigene Interesse anderen Menschen als Arbeits-, Kampf- oder Duldungsverhalten aufzuzwingen, wobei es in erster Linie um die Zwecke geht: Jemand hat was davon, manchmal sogar mehrere, der eine mehr, die andere weniger vielleicht. Macht ist umso wirkungsvoller, als sie selbstverständlich, unsichtbar und konstant wirken kann. Und wir denken uns Herrschaft als den Ausdruck einer hierarchischen Ordnung, die Sexualität und Gewalt in Riten, Symbolen und Inszenierungen aufhebt, wobei es in erster Linie um die Sichtbarkeit selber geht. Herrschaft ist eine Form, Macht zu zeigen, die mit der Erhebung der einen und der Erniedrigung der anderen Seite einher geht. So direkt hat niemand was von Herrschaft; sie ist zugleich Transzendenz und Trivialisierung von Macht. So wenig es einen unsichtbaren König gibt, so wenig besteht seine Macht aus seiner Sichtbarkeit. Der unsichtbarste König (sollten wir sagen: das Kapital?) ist am mächtigsten, und die sichtbarsten Herrscher bei uns zur Zeit haben gewiss nicht sehr weit oder tief reichende Macht. Aber sie bieten kräftige Schauspiele: inszenierte Würde, und mehr noch inszenierte Würdelosigkeit. Davon handeln die dutzende und aberdutzende von bunten Blätter, die es in Zeitschriftenläden und Supermärkten zu kaufen gibt, und die, wie Anschauung, Werbebegleitung und Marktanalyse belegen, vornehmlich von Frauen gekauft werden.
Die Ausbeutung des Menschen geschieht auf dem Gebiet der Produktion, des Krieges und der Sexualität. Sie will nicht nur den Körper des Ausgebeuteten bezwingen, sondern auch sein Innenleben. Herrschaft erzwingt Distanz; Macht will alles durchdringen. So werden wir Impulse am Werke sehen, entweder Herrschaft oder Macht zu erringen, und wir scheuen uns kein bisschen, das Funktionieren der Demokratie von flexiblen Machtmenschen abhängig zu denken. Wir bewundern, nur zum Beispiel, Angela Merkel für ihren Umgang mit der Macht, der im Übrigen beinahe ohne Herrschaft auszukommen scheint (aber doch noch genug, um sie durchschaubar zu machen). In den besagten bunten Blättern indes kommt auf den ersten Blick viel mehr eine Herrschaft ohne Macht vor.
Jede Regierung zum einen, und jede Form der organisierten Ausbeutung zum anderen, benötigt Elemente der Macht und Elemente der Herrschaft. Dabei ist die Gewalt (die dann zu einem Ordnungssystem werden kann, gar zu „Recht“), nur das direkteste und sichtbarste Mittel der Durchsetzung, keineswegs aber das effizienteste oder nachhaltigste. Macht sucht im Gegenteil stets neue Vermittlungen bis hin zu ihrer Vollendung: der unsichtbaren, selbstverständlichen und „natürlichen“ Macht. Wir denken uns dagegen Herrschaft als Selbstgenuss der Macht; ein Herrscher ist einer, der beständig seine Macht vor Augen geführt haben will; aber ebenso als Genuss der Beherrschten: erst in der Distanz liegt die Möglichkeit, zugleich Identität und Ordnung zu generieren. Der Herrscher macht die Macht nicht nur erhaben, er entlastet auch, und man darf ihn lieben wie man ihn fürchten muss. Systeme, die nur aus Macht bestehen, brechen so schnell zusammen wie solche, die nur aus Herrschaft bestehen. Aufregender und womöglich für jedes politische Modell gefährlicher ist die Frage nach dem Bedürfnis nach Macht und Herrschaft. Macht lässt die Dinge funktionieren; Herrschaft gibt ihnen Bedeutung. Wir vermuten daher, was unsere vielen bunten Blätter anbelangt, dass in ihnen die Herrschaft so sichtbar werden soll, damit die Macht unsichtbar bleiben kann.
Während die Macht immer unsichtbarer und so weit vermittelt wird, dass Ausgangspunkt, Vermittlungspraxis und Adressat mehr und mehr aufgelöst werden – die Macht fließt durch Produktion und Alltag in größeren und kleineren Strömen, als wäre sie das Leben selbst und als müssten wir verdorren, wenn sie versiegen – entsteht Herrschaft aus den Bilder, Riten, Begriffen und Symbolen. Sie ist immer Inszenierung, Körper, Blut, Spektakel. Man könnte es auch anders formulieren: Herrschaft ist immer „Unterhaltung“. Und nun die tückische Umkehrung: Unterhaltung ist immer zugleich Medium von Macht und von Herrschaft.
Macht und Herrschaft sind zugleich Verbündete und Konkurrenten. Macht ohne Herrschaft ist unheimlich; Herrschaft ohne Macht erscheint dekadent. Herrschaft kann das Schauspiel einer Macht sein, die ihr wirkliches Funktionieren in eben diesem zugleich verbirgt. Herrschaft kann sich aber offensichtlich auch von der „realen Macht“ abkoppeln; gespielte Herrschaft und reale Macht, dem schließlich verdanken wir die bei näherem Hinsehen doch so bizarre Dopplung von „Bundespräsident“ und „Bundeskanzler“. Eine konstitutionelle Monarchie scheint dies auf vernünftige und demokratische Weise vorzunehmen, ein „repräsentatives“ Amt, sei es das eines Königs oder das eines Präsidenten, veranschaulicht die Doppelgestalt von Regierung bis an den Rand der Belastbarkeit (ist nicht den einen das Amt eines zivilen Präsidenten überflüssiges Relikt einer abgeschafften Herrschaft und den anderen zu wenig an halb zivilisiertem alten Glanz?); eine Herrschaft wird gespielt, auf die alle positiven und einige negative Aspekte des Beherrschtwerdens gespiegelt werden kann, während sich die Macht im Sinne einer bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft rationalisiert. Am Ende all dessen steht der Markt als gestaltlos-organische Machtentfaltung, während sich Herrschaft in einem mehr oder weniger fiktiven Inszenierungsraum, auf einem offenen Theater abspielt. So ist Herrschaft Unterhaltung und Macht Markt geworden. (Und in beidem rumoren Ausbeutung und Gewalt.)
Die Macht verteilt Angst und Lust, die Herrschaft bündelt sie; was der Macht nicht unterworfen werden kann, kann der Herrschaft unterworfen werden, und umgekehrt. Es ist Macht, die der Herrschaft die Opfer wie die Diener zutreibt, und es ist die Herrschaft, die eine Sprache schafft. Die Sprache der Herrschaft ist so markant wie komisch, sie wird als erste Ziel des Spotts (im Kasperle-Theater zum Beispiel, wo Euer Durchlaucht zu Eurem Schnittlauch wird). Eine indirekte Gegenrede zur Herrschaft, zur Sprache der Aufwertung, ist der Klatsch, eine Mischung aus übler Nachrede über einen Nicht-Anwesenden und hämischer Abwertung des ungeliebten Herrschers (und sei’s der Lehrer oder die Hausmeisterin), dem „unmoralisches“ oder „unherrscherliches“ Verhalten unterstellt werden, sie enthält aber auch jene heimliche Bewunderung, die den Herrscher nicht trotz, sondern wegen seiner Skrupellosigkeit, Ausschweifung und Anmaßung bewundert und begehrt. So wird aus dem Tratsch ein feines Instrument der Konstruktion und Dekonstruktion von Herrschaft; man muss da nicht einmal die Bild-Zeitung, das Zentralorgan der Niedertracht, studieren, um festzustellen, dass es dabei immer um das Errichten und das Zerstören des Herrschafts- und Götzenbildes geht, um das Ritual von Anbetung und das des Opfers.
Solche „Bösrede“ wird vom Talmud gewiss nicht zu Unrecht auf eine Stufe gestellt mit Götzendienst, Unzucht und Blutvergießen, denn offensichtlich enthält Laschon Hara („die böse Zunge“) Impulse von alledem. Es ist der Tratsch (den wir nun als „journalistisches Genre“ zu behandeln haben), eine semantische Entsprechung zu einer politischen, sexuellen und schließlich körperlichen Entwürdigung, Herabstufung und Entweihung. Freilich kann nur so drastisch herabgestuft werden, was zuvor heraufgestuft worden ist: Die bösen Zungen nehmen daher fiktive, „hässliche“ und tückische Auf- und Abwertungen vor, sie simulieren Macht über einen Abwesenden, und zugleich simulieren sie die Macht des Abwesenden selbst. Unsere bunten Blätter holen den Herrscher in den Raum des Alltäglichen und werfen das grelle Licht der Alltäglichkeit in den Raum des Herrschers. Wer betrügt da wen, und wer ist wessen Opfer? Das Spiel ist abgekartet, und dennoch im einzelnen Fall offen. Nur die Macht im Hintergrund, die gewinnt immer.
Tratsch, im Mikro- wie im Makrobereich, im Alltag wie in den symbolischen Überhöhungen, bearbeitet offensichtlich den Widerspruch zwischen Macht und Herrschaft. Zum Beispiel erzeugt sie Macht durch die Abwertung der Herrschaft. In der Bösrede über den Herrscher verspürt der Tratschende Macht. Und in einer gewissen Entwicklungsstufe der Organisation können wir das auch als „Mobbing“ bezeichnen. Denn so wie der Tratsch an die Stelle des Mitredens in der Politik getreten ist, so das Mobbing an die Stelle von logischen Hierarchien; „flache Hierarchien“ sind weder menschlicher noch demokratischer als andere, sie verlagern indes die Machtkämpfe ins Horizontale: Auch davon, wenn auch in einem „weiblichen“ Sektor (eine Konstruktion und Fiktion natürlich auch dies), handeln unsere bunten Blätter. Sie haben die Machtkämpfe im Theater der abstrusen Herrschaften von der Intrige zum Mobbing verschoben. In dieser Welt ist der Name für Verschwörer „beste Freundin“.
Nehmen wir weiter folgendes als Voraussetzung: Die Welt des Adels, der Schönen und Reichen, der Promis und Stars ist ein „Olymp“; die dort leben, in entsprechenden Architekturen und unterwegs in entsprechenden Gefährten, haben Züge der Götter, Züge der Helden, Züge der Herrscher (von einst). Sie sind real nicht wirklich berührbar, womöglich nicht einmal wirklich wirklich. Sie repräsentieren eine vielleicht untergegangene, zumindest nicht mehr allzu zeitgemäße Form von symbolischer Herrschaft, die nicht die Effizienz, vielleicht überhaupt nicht mehr Praxis der Macht zeigen, sondern aus klassischen, vor-modernen oder vor-aufklärerischen Elementen zusammengesetzt ist: Repräsentation, Differenz, Ritual und Zeichen. Was in der Logik des Kapitals unvernünftig, lästig oder bedeutungslos ist, aus den Herzen, Köpfen und Sprachen der Menschen aber nicht verschwinden will, das wird in diesen Olymp gesteckt. Dass der Olymp Züge des Schmierentheaters angenommen hat, tut nichts zur Sache, es ist da nur der Schweiß und die Schminke sichtbar geworden, beständig meint man hinter die Kulissen schauen zu können, dabei ist der Titel des Stücks, das gegeben wird: „Hinter den Kulissen“. Man mag jene Adeligen, Schönen und Reichen, Prominente und Stars, um die sich die Phantasien der bunten Unterhaltung ranken, eine „karnevalisierte“ Form der Herrschaft (und der Herrschaften) nennen – und bisweilen nimmt sie die Hanswurst-Form plebejischer Anmaßung an. Das ändert aber nichts daran, dass eine solche Projektion von Herrschaft offensichtlich wesentlich bedeutsamer ist für die Mehrzahl der Menschen in dieser Gesellschaft als eine Auseinandersetzung mit der realen Macht, die gerade dadurch wirkt, dass sie weitgehend unauffällig, ja unsichtbar wirkt. Es mag sich, wer weiß, um eine Sehnsucht nach Herrschaft auf der Flucht vor der Macht handeln. Oder um eine kannibalische Feier um den Körper des toten Königs und der toten Königin.
Die Welt dieser imaginären Herrschaft ist weitgehend fiktiv, auch wenn zumindest das untere Drittel – wir begegnen ihnen als „Promis der C- bis F-Klasse“ im Dschungelcamp – und alle Scheiternden darin auf die Rituale und Repräsentationen selber hereinfallen. Im Schmierentheater-Olymp ist die Darstellung der Differenz ein Beruf, unter anderem, und eine Daniela Katzenberger als eine obszöne Parodie des Darsteller-Berufes oder auch nur des „Entertainers“ anzusehen, ist das eine. Das andere ist der durchaus schwere Beruf, Prozesse der Auf- wie der Abwertung (kannibalistische Riten, wohlgemerkt) auf den eigenen Körper und seine Erscheinung im Medien-Raum zu bündeln: Laschon Hara geht also nicht nur von Menschen mit bösen Zungen und ihren medialen Stellvertretern aus, sondern es entstand die öffentliche Figur, die ein allgemeines, scheinbar unverbindliches, scheinbar ironisch gebrochenes Laschon Hara erzeugt: Die Mediengestalt, deren Wesen Laschon Hara ist.
Offensichtlich treten alle Menschen, die in diesen bizarren Olymp aufgenommen wurden, in die Rolle von öffentlichen Körpern. An ihnen wird verhandelt, was von Geburt, Sexualität, Verwandtschaft, Familie, Krankheit, Kontrolle, Alter, Bekleidung, Gewalt, Strafe, Tod zu halten ist. Diese karnevalisierten Herrscher bilden die Biographien ihrer Leser und Zuschauer ab, ihre Familien, ihre Wünsche, ihre Ängste; sie sind, und das erfahren wir in den Wendungen fast einer jeden Story, stets „ganz normale Menschen“ und überhöhte, erhabene, entzogene Repräsentanten zugleich: große andere, entrückte Bilder. (Viel zu „angezogen“ und viel zu „nackt“ zugleich.) Meine böse Zunge und der mit ihr verbundene noch bösere Blick wollen den Unterschied nicht sehen zwischen dem Herrscher und dem Nachbarn; und die erste Schändung des Herrschers betrifft stets den sexuellen und familiären Echo-Raum des „menschlichen“ Teils seines verdoppelten Körpers. (Haben wir dies als Demokratie zu verstehen gelernt? Nicht die Wahl zwischen Ideen, sondern das Recht, allen, die Herrschaft ausdrücken, das Bösreden entgegenzuhalten, scheint uns so: Demokratie ist so zum Recht auf üble Nachrede verkommen.)
Wie es sich für einen Olymp gehört ist diese Welt, anders als der christliche Himmel, extrem löchrig und durchsichtig: dauernd fallen die Götter auf die Erde, dauernd geraten Menschen in den Olymp, und es wimmelt von Mischwesen, Halbgöttern, nicht zu Ende gedachten Helden. Die Götter sind zwar hierarchisch organisiert aber wie wir wissen, ein streitsüchtiger, eifersüchtiger und undisziplinierter Haufe. Und diese karnevalisierten Herrscher werfen sich als doppelte Körper vor ihre Untertanen, damit sie ihre kannibalische und semantische Gier befriedigen können. Man könnte wohl sagen: In der Klatsch- und Tratschpresse ist laschon hara selber zum politischen und religiösen System geworden.
Der doppelte Körper des Herrschers bzw. des Promis als eine seiner Abspaltungen, besagt, dass eine Unterscheidung gemacht wird zwischen dem unsterblichen und repräsentativen Körper des Königs und dem Körper des Menschen, der mit der Königswürde bekleidet wurde. (Wodurch? Einmal mehr argwöhnen wir einen Inaugurationsstreit zwischen Herrschaft und Macht.) So haben wir im journalistischen Genre der Bösrede und des Klatsches den erhabenen wie den geschändeten Körper vor uns: Das Volk hat die Macht über den Körper des Herrschers, und es unterwirft sich zugleich unter sein anderes. Wir entblößen und fressen den Herrscher (und sei’s in der Zeit, in der wir auf den freien Friseurplatz warten), und wir sind zugleich vollständig unter seinem/ihrem Bann.
Die Unterhaltung, die scheinbar nur den Tratsch und Klatsch, den man aus der Nachbarschaft kennt, projiziert in eine halbfiktionale Welt der Reichen und Schönen, nimmt letztlich diese Teilung wieder auf. Sie erzählt scheinbar den Körper des Herrschers von seiner menschlichen Seite her, und erklärt damit gleichsam aus der Negativität heraus, dass dieser Körper des (realen oder fiktiven) Herrschers, und noch mehr: der seiner Frau (im Patriarchat), der des „privateren Partners“ (im Post-Patriarchat) – ist diese andere Verdoppelung selber als HerrscherIn anerkannt, wird noch ein weiteres Stück gespielt – in gewisser Weise auch Angst machen muss.
In all den Adels- und Promi-Schmonzes geht es ja nicht in erster Linie um den Prozess der Vermenschlichung von Herrschaft, sondern vor allem um den der Verherrschaftlichung der Macht. Der Körper des Herrschers wird in seiner Schändung wiedergeboren aus der üblen Nachrede. Mein meint, durch das Bösreden die Macht zu ihrem Selbstausdruck zu zwingen, um einerseits ihr das Sonderbare und Effiziente zu nehmen, um Teil von ihr werden zu können andererseits. Die Bilder von Erfolg, Sitte, Gebrauch, Konvention und Ästhetik, die man daraus gewinnt (so, wie man sein möchte oder so wie man niemals sein sollte) spiegeln dieses Interesse wieder. Nur wer sich um diesen Olymp nicht schert, könnte auf die Idee kommen, es handele sich um „das Immergleiche“ (ein Triviales oder völlig Unverständliches, das dem kultivierten Menschen die Haare zu Berge stehen ließe). Es handelt sich indes eben um ein Herrschafts-System, vermutlich das perfekteste bislang, da es sich mit dem Erscheinen von jedem neuen bunten Blatt (bei Abwerfen eines prächtigen Profits) seine Sprache und seine Absichten neu definiert.
Wesen aller Unterhaltung ist es, etwas „Verbotenes“ zu tun, das auf die eine oder andere Weise trotzdem erlaubt wird, und sei es in der Form der Empörung über das Verbotene (die „calvinistische“ Art der Sünde, die schlimmste mithin). Das Verbotene meint dabei nicht allein das Übertreten eines Tabus oder gar die Formulierung eines klammheimlichen Gesetzesverstoßes, wenigstens als Traum (mitmorden oder wenigsten mitmachen bei einer barbarischen Art, den Täter zu bestrafen), sondern es meint auch das Verstoßen gegen die Gesetze der Effizienz, der Unterwerfung und der willigen Ausbeutung.
Auch in den Adelsschmonzetten steckt also nicht bloß diese heimliche Sehnsucht nach feudalen und monarchischen Verhältnissen, sondern ebenso auch ein rebellischer Impuls, ein barbarisches „Mahl“, in dem die Körper der Herrscher gefressen und gedemütigt werden (gut genug im Freudianischen Kontext als „Vater“ und „Mutter“ identifiziert zu werden). Es ist mithin eine doppelte Sehnsucht nach der Entblößung. Der Mensch im Körper des Herrschers (oder seines rituellen Darstellers) wird gezwungen, hervorzutreten, entweder durch die körperliche Entblößung – die Paparazzi, die an den Luxusstränden darauf lauern, dass die Frauen dieser seltsamen Herrscher wenigstens das Bikini-Oberteil fallen lassen (und die scheinen den Wunsch nur zu gern zu erfüllen) – oder, möglicherweise doch bedeutsamer, durch eine seelische Entblößung (eine Schuld, eine Scham, eine Peinlichkeit). Im Kern aller Tratsch-Geschichten geht es um die Entblößung des „Kaisers“, dem der Adressat oder die Adressatin nach Belieben und, nun ja, nach Moral, das eine oder andere Kleidungsstück überziehen.
Die Tragödie, die den Herrscher betrifft, lädt also einerseits zur Identifizierung ein. Wenn wir mit ihm weinen, trauern, verängstigt sind, so sind wir Teil eines Kollektives, das seine Ordnung nie so genau begreift wie in der Feier des Verlustes. (Daher freilich wird die psychotische Gier nach dem Opfer oft auch zu deutlich, wie im Tod der Prinzessin Diana, die bestraft wurde für – ja, für was? Für ihre Rebellion im Olymp? Für die abgeschmackten Begierden ihres Gemahls? Oder für unsere Sünden?) Und andrerseits darf sich die Lust an ihrem Leid relativieren: Denen geht es auch nicht besser als mir, vielleicht sogar schlechter. Aber immer ist da dieses Dritte, eben jenes, was das Leid des Herrschers so sehr von meinem Leid unterscheidet: Die Bedeutung. Daher werden Begehren und Verachtung gegenüber dem öffentlich geschlachteten oder vor dem Schlachten (noch) bewahrten Herrscher nie wirklich aufgelöst. Vielmehr als Liebesgeschichten sind dies Hassgeschichten.
Der einzige Ausweg aus der doppelten Feier am Körper der Herrscher, an ihrer Erhebung und an ihrer Schändung, ist die wachsende Menge, die Beschleunigung und die Hysterisierung. Und natürlich die Heuchelei. Die Schändung des Körpers des (fiktiven) Herrschers wird als Fürsorglichkeit getarnt. Als wären nicht wir die größte Gefahr dieses öffentlichen Körpers, sondern er selber. Und als ginge es uns darum, ihn vor sich selbst zu bewahren. Vor der Endgültigkeit seiner Spaltung. So sind wir, in endloser, geduldiger Arbeit, Woche für Woche in der Grubenmine der bunten Blätter, in der Lage unsere Herrscher zu sehen, und uns als ihr Teil. Denn dies ist das Ziel des rituellen Verspeisens des Körpers der Herrscher. Man macht das nicht, weil man will. Man macht es, weil man es muss.
II (Panische Passage)
Ein flüchtiger Blick auf die Auslage einer deutschen Zeitschriftenabteilung legt den Verdacht nahe: Das ist doch alles das gleiche, mal ein wenig edler aufgemacht, mal ein wenig billiger, hier mit anderen Elementen des Interesses der Leserinnen verbunden (Gesundheitsfürsorge, Küchenrezepte, Fernsehprogramm), dort in reinster Form. Dieser Eindruck aber entsteht nur durch die Gleichförmigkeit der Oberfläche und durch eine besondere Zeichensprache. Es sind die selben Personen, die selben Geschichten, die selben Bilder – und doch begegnet uns in diesem „Blätterwald“ auch entscheidende Differenz. Wir sehen das, im Supermarkt, schon am gezielten Griff der Kundinnen in dieses nur scheinbar so überquellend unordentliche Regal mit den immer gleichen Grinsegesichtern auf den Titeln.
Und so beginnt das. Eine simple Grundunterscheidung: Wir unterscheiden zwischen den Menschen, die in eine Kamera grinsen, und denen, die es nicht tun. Von ersteren wissen wir, dass sie die Guten sind. (Gute Herrscher grinsen, oder wie es bei Karl Kraus, in den „Letzten Tagen der Menschheit“, heisst: „Die Leut’ wollen ein joviales G’sicht sehn. Sonst werns’ selber grantig – jawohl, wer nicht grüßen kann, g’hört nicht an die Spitze!“) Wer nicht grinst, steht vor der Entblößung, ist ein Problemfall, will sich unserem fürsorglichen Kannibalismus entziehen. Will kein Herrscher mit doppeltem Körper sein. Je billiger eine Zeitschrift ist, desto mehr muss gegrinst werden. Und je (post-)moderner, desto mehr wird die Sprache des Grinsens zu einem Meta-Text.
Deswegen erfahren wir in Grazia auch, dass 85 Prozent der Deutschen finden, dass Attraktivität „unbedingt“ etwas mit den Zähnen zu tun hat. Und dass man mittlerweile die Zahnfarbe dem Outfit anpassen muss, das perfekte Grinsen mit „Power Plate“ trainieren und sich Hyaluronsäure ins Gebiss spritzen kann. (Übrigens: Man kann durch dieses aus Hahnenkämmen gewonnene Mittel den Mund wieder in der Grinsenorm aufmachen, wenn der Kiefer verschlissen ist. Aber das Unappetitlich an der Sache erspart uns Grazia zum Glück.)
Das Dauergrinsen in dieser Welt ist ein Problem für sich. In dieser Grinsehölle möchte doch kein normaler Mensch wirklich leben. Aber das Grinsen ist nichts anderes als die Verbindung von Olymp und realer Welt; das Grinsen ist Ein- und Auslass der beiden Parallelwelten; im Grinsen begegnen sich die beiden Hälften des Herrschers, der entwürdigte und der geheiligte. (Kulturhistoriker mögen sich an Zeiten erinnern, in der eine symbolische Schändung seines Körpers zum Abschied von einem gestorbenen Papst gehörten.) Im Grinsen allein offenbart der doppelte Körper des Promis seine und unsere Souveränität; er ist Unterwerfender und Unterworfener in einem. Und vor allem: Er oder sie können damit umgehen. Dies ist die neue Form von Souveränität.
Das Grinsen als Zeichen der Entwaffnung und der Akzeptanz spielt seine Rolle in den Konfliktfeldern der Macht: Klasse, Geschlecht, Rasse und Generation. Ein älterer, weißer Mann in gutem Zwirn steht ganz oben in der Grinseskala: Bei ihm tut es eine Andeutung von einem herablassenden Lächeln. In der Skala von Frau, Dunkelhäutig, Kind nimmt der Grinsezwang beharrlich zu: Schwarze Kinder in dieser Welt, die nicht sehr breit grinsen (es sei denn, sie spielen gerade Fußball oder lernen fleißig) sind totgeweiht. Wer direkt in die Kamera grinst, hat seinen Platz in dieser Welt erkannt, sei er ganz oben oder ganz unten.
Nach diesem Einlass erst folgt der Wust der Geschichten. Eine Geschichte in der laschon hara wird entwickelt um eine Situation entweder der Feierlichkeit, des Glücks (Hochzeit, Geburt, Reise, „Jubel“) der Prunkentfaltung und der symbolischen Ordnung, oder um eine der Entblößung, der Peinlichkeit, des Verrats, der Unschicklichkeit oder der Demütigung. Die beiden Grund-Stories verhalten sich wie Innen und Außen. Doch immer wird man zu einer imaginären Geste von Zustimmung, Missbilligung, Entrüstung oder Mitgefühl aufgefordert. Der Leser/Zuschauer der medialen Klatschwelt ist natürlich bei alledem auch der strengste Sittenwächter, ein calvinistisches Mega-Arschloch, das genau darüber wacht, was man darf und was nicht, was man macht und was nicht. Auf Nachsicht ist hier für jene nicht zu rechnen, denen die Entblößung zugeschrieben wurde. Sehr einfach ist dabei die Rolle der Braven auf der einen Seite und die Rolle der Dauer-Abstürzer und Skandalnudeln auf der anderen zu beschreiben; interessanter natürlich sind die Grenzgänger, an denen verhandelt wird, zum Beispiel, was einem Status angemessen ist oder nicht. Die Klatschpresse und ihre elektronischen Spielarten sind eine Sittenlehre als work in progress. Von etlichen Standards abgesehen (Kinder darf man niemals im Stich lassen, der medialen Öffentlichkeit nicht den Rücken drehen, einen Partner nicht verlassen, wenn der sich nichts zuschulden hat kommen lassen und/oder ein nächster bereits parat steht: In dieser Welt, zum Beispiel, soll es keine Frau geben, die einfach Lust darauf hat, ihr eigenes Ding zu machen) wird das ständig neu verhandelt. Natürlich ist, was heute lässlich, ja sogar gefordert ist, in den fünfziger oder sechziger Jahren undenkbar gewesen, doch wird uns bei näherer Betrachtung auffallen, dass sich auch in diesem scheinbar ewigen Brei der Bilder und Geschichten die Verhältnisse in der Zeit von Turbokapitalismus und Krise erheblich gewandelt haben. Die ökonomische Seite der Moral wird wie selbstverständlich behandelt, und auf der Suche nach „dem persönlichen Glück“ soll nicht mehr allzu viel Rücksicht auf andere hemmen. Selber nicht nur Objekt der Bösrede sondern auch Produzent zu sein, über die „beste Freundin“ herzuziehen oder eine Konkurrentin um den Platz im Olymp wegen moralischer oder körperlicher Mängel mit Häme zu übergießen, das ist seit etwa einem Jahrzehnt durchaus akzeptables Verhalten. Ein „Biest“ oder eine „Zicke“ zu sein ist im Mittelfeld des Promi-Daseins Voraussetzung, und darin spiegelt sich noch einmal eine Ordnung, diesmal eine der Geschlechter: Es ist eine mehr oder weniger weibliche Welt, in der sich das alles abspielt, Männer sind hier sexy Vollpfosten oder tragische Irrtümer, oder, nehmen wir Prinz Charles, grotesk-tragische Vollpfosten, aber sie haben mit der inneren Ordnung dieses Olymps nicht wirklich viel zu tun. (Wir dürfen indes ahnen: Dieses Spiel der weiblichen Herrschaft und ihrer Tücken ist eine Maske einer sehr anderen Macht.)
Der Leser und die Leserin sind also auf der einen Seite Unterworfene, die insofern einen erheblichen Teil ihrer Macht (über das eigene Leben) abgeben, indem sie sich einer durchaus als solche zu betrachtenden fiktiven Welt der Bilder, Erzählungen, Begriffe und Diskurse anschließt, um Defizite in der eigenen Wirklichkeit zu übersehen. Ihnen wird auf der anderen Seite aber eine nicht zu unterschätzende Macht über diese Welt übertragen. Man weiß, dass die, denen man sich so lustvoll unterworfen hat, in Wahrheit auch die eigenen Geschöpfe sind. Wir dürfen also von ihnen so viel Gehorsam verlangen wie sie von uns. In einem Hollywood-Antikschinken der jüngsten Zeit, „Clash oft he Titans“, wird dies übrigens ganz direkt verhandelt: Die Götter des Olymps, heißt es da, sind auf die Liebe, die Verehrung und sogar auf die Rituale der Menschen zu ihrem Preisen angewiesen; nur Hades, der Gott der Unterwelt, glaubt auf diese Projektionsenergie der Menschen verzichten zu können. (Er will mit anderen Worten „wirklich“ werden, und wie soll das anders als in Form des Terrors geschehen?)
So ist der Leser unter anderem Geschmacks- und Sittenpolizist. Zu so harmlosen wie nichtssagenden Fotos – man könnte jemanden vermuten, der eine reichlich eingeschlafene Gesellschaft ein bisschen aufmuntern will; bei Müllers im dritten Stock geht’s nach drei Jägermeister wahrlich wilder zu – wird bei in von einem „schlimmen Rückfall“ der Schauspielerin Demi Moore berichtet: „Wie ein Teenager flirtete sie knapp bekleidet und affektiert mit anderen Gästen“. Eine „Dreifachmutter“ tut so etwas nicht. Was aber sagen die Bilder? Sie zeigen einen Menschen, der offenbar Spaß an einer bestimmten Musik hat. Und drei mal sehen wir neben ihr bei dieser furchtbar wilden Party, die eigentlich nur ein „Chanel Beachside BBQ“ ist und eine offensichtlich extrem fade Angelegenheit, Lenny Kravitz. Race, Gender, Generation; ein Exempel wird statuiert.
Wir sind freilich zugleich in der Position (wohlmeinender bis strenger) Begleiter: „Mann, haben wir uns gefreut, als wir erfuhren, dass Demi Moore (50) nach den harten Monaten, die sie durchlebte, jetzt eine neue Liebe gefunden hat“ (Grazia). Wie in der Soap Opera bilden „wir“ einen Kreis um unsere Geschöpfe, und „wir“ verlangen von ihnen ein gewisses Verhalten. Sie dürfen „uns“ nicht enttäuschen. Dann erst gönnen „wir“ ihnen auch hier und dort das kleine Glück (und sind von der eigenen Großmut, wie in Grazia, auch gleich ganz aus dem Häuschen).
Demi Moore bekommt, verbindend zwischen den verschiedenen Angeboten auf dem Markt des Tratsches, die Rolle der unwürdigen Greisin, die zugleich ihre Tochter und ihren 24 Jahre jüngeren (möglichen) Geliebten Vito Schnabel vergrault. „Rumer und Vito kennen sich schon länger und sie ist fassungslos darüber, dass ihre Mum einen ihrer Freunde daten will“. Und wer sagt das in In Touch? Natürlich „ein Bekannter“. Entscheidender aber ist der Gestus: Die junge Frau, die als Leserin wohl angenommen wird (sie spricht indem sie alles, was sich emotional aufladen lässt, ausschließlich in Anglizismen: Es gibt keine Liebe sondern nur das Verhalten von Lovern beim Dating, es gibt nur Mums und Dads, Sis’ und Bros’ als Geschwister) ist offensichtlich eine panische Calvinistin, die die Welt manisch nach den großen Verfehlungen durchforstet, dem unordentlichen Sex zwischen den Generationen und den Rassen, dem entscheidenden Verlust der Kontrolle an der falschen Stelle.
Die ältere Frau und ihr junger Liebhaber, das ist eines dieser Erzählmodelle, die sich perfekt dazu eignen, die heimlichen Sehnsüchte in Missgunst und Bosheit aufzulösen; Demi Moore „spielt mit dem Feuer“, oder noch genauer: mit einem „Milchbubi“ (Grazia).
In der Super Freizeit bekommt das ganze einen weniger aufgedreht-skandalösen Touch: „Die Tatort-Kommissarin Sabine Postel (58) ist frisch verliebt. Christian M. ist Manager und 14 Jahre jünger als sie. ‚Niemals hätte ich damit gerechnet, dass mir das noch einmal passiert’, so Postel.“ In den beschaulicheren Segmenten der laschon hara-Presse wird mehr gegönnt (es kommt allerdings auch der Verstoß moderater daher), in den verschärften Segmenten aber wird man sehr schnell bösartig; das Gönnerhafte bleibt eher im eigenen Land, das Bösartige nimmt an Heftigkeit zu, je mehr man sich der US-amerikanischen Traumfabrikation nähert. Es geht mithin, unter der Oberfläche des Immergleichen, in den „Dialekten“ der laschon hara-Presse nicht nur um die Diskurse Klasse, Rasse und Geschlecht, Generation, sondern auch um die der Nation. Deutsche Frauen benehmen sich prinzipiell besser als andere, werden aber auch schneller für falsches Benehmen getadelt.
Auch der Nachwuchs bekommt das eigene Magazin, zum Beispiel Bravo Girl!, wo der Kurzschluss zwischen der Projektionswelt der Stars und Promis und der Alltagswelt direkt in die Warenwelt führt: „Die Beauty-Pannen der Stars“ – wie Kristen Stewart („Twilight“ Star) oder Ash Tishdale („süß“), sie knabbern zum Beispiel an Nägeln was zum Rat führt, dies lieber nicht zu tun, besser aber gleich den „Kau-Stopper“ stop ‚n grow zu benutzen (7 € in Apotheken: „Dieser Klarlack schmeckt so scheußlich bitter, dass du freiwillig sofort damit aufhörst“.), dazu die „Burt’s Bees Lemon Butter“ Nagelhaut-Creme (ca. 8 €). Sonst geht es durch die Praxis („Hilfe, meine Schamlippen sind so groß“) und süße Tierfotos direkt in den Olymp der Parallelwelt, in der Stars wie Lana Del Rey & Barry James-O’Neill vormachen, wie Partnerlook geht. Das Lebensdesign wird neben der Kosmetik- und Klamottenindustrie ausschließlich von der Parallelwelt bestimmt. Man erkennt, wer man ist, durch die Beantwortung der Frage: „Welcher Serienstar bist du?“ Und hier wird man wählen müssen zwischen „Die Kreative“, „Die Strebsame“, „Die Treue“, „Die Kumpelhafte“, natürlich mit den jeweiligen Besetzungen in den Soaps: „Genau wie Caroline aus ‚2 Broke Girls’ findest du superschnell Freunde. Allerdings hast du auch ein paar Kontakte in deinem großen Freundeskreis, die eher zweckmäßig sind.“ Zweckmäßige Kontakte? (So geraten wir, nebenbei, ins finstere Herz der sozialen Netzwerke.) Das Schicksal schlägt auch hier in der Familie zu: „Misshandelt von der eigenen Mom“, das nämlich war Serien-Star Ariel Winter („Modern Family“): „Ihre Mom nannte Ariel ‚fett’ und zwang sie weniger zu essen“. Wir verstehen: Es geht darum, alte Systeme der Körper-Kontrolle zu ersetzen, und zwar durch neue, bessere. Die heimliche Hoffnung, in etwa einem Drittel der Bravo Girl!-Geschichten angesprochen, nämlich das Gefängnis der Familie im Allgemeinen, die lästige Mutter aber insbesondere, zu verlassen, verlockt stets in die noch viel rigideren Zwangs- und Kontrollmechanismen von Markt und Medien. Der Aufstand gegen die „Königin“ führt zur Herrschaft der besten Freundinnen, die so terroristisch wie virtuell sind.
Offensichtlich gibt es ein ästhetisches Programm in der populären Kultur: Die Rückkehr der Farbe „pink“, eine pink, eine mehr oder weniger geschlossene Weiblichkeits- und Konsumwelt, die vom speziellen, pinken Überraschungsei über die Barbie-Welten und Bravo Girl! in die Parallelwelten eines zweiten Lebens in den bunten Blättern führt. Kein Ausweg, nirgends. Es gibt in Bravo Girl! keine Vorstellung davon, dass die Welt etwas anderes sein könnte als die kosmetische Vorbereitung zu Party, Casting und Dating. Zugleich mit dem Übertritt in die Waren- und Medienwelt wird indes auch eine ewige Kindheit versprochen. Man beginnt zwischen gutem Sex und schlechtem Sex zu unterscheiden, während man noch Eisbärenposter im Schrank hat; man keift gegen „bitches“ während man Kaugummi-Automatentand als Beiwerk bekommt. An eine Berufstätigkeit außerhalb des Fernsehens, wo man zum Star über Nacht zu werden pflegt, ist nicht zu denken. So geht es nahtlos über zu In Touch, wo Alicia Keys (31) ihren zweijährigen Sohn Egypt (auch so ein Spiel dieser Karnevalsgötter: Den Kindern blödsinnige Namen verpassen) auf ein entsprechendes Leben zu briefen schwört: „Demnächst will sie ihn mit auf Tournee nehmen, um ihn ans Jet-Set-Leben zu gewöhnen“. Und die Sex-Ratgeber werden von Bravo Girl! bis Lisa variiert von dem, was man sich gefälligst trauen soll, bis zu dem, was gar nicht geht: „Aus dem Nichts Handschellen und die Lederpeitsche rausholen? Geht gar nicht“. Die „Shades of Grey“ sind, unter anderem, der Konsens, der sich in den letzten Jahren in der Klatschpresse für Frauen zu dem entwickelt hat, was man in der echten Pornographie als Kurzschluss zwischen Sex und Macht serviert bekommt. Nicht aus dem Nichts, sondern aus dem Internet-Sexshop ihres Vertrauens. Auch in diesem Segment der Unterhaltung geht es um das Erlauben des Verbotenen, was zugleich eine Neuordnung der Verbote bedeutet.
Die Old School Gazetten bringen gegen den neuen sexuellen Mythos ihre eigenen Protagonistinnen in Stellung, so lässt Das Neue Blatt Andrea Sawatzki verraten: „Ich interessiere mich grundsätzlich mehr für älterer Männer. Obwohl: Es ist ja gerade schick, dass ältere Frauen sich jüngere Männer suchen (sie lacht).“ Und in Frau im Spiegel erklärt sie (es gibt offensichtlich immer gewisse Referenz-Personen im endlosen Fluss der Stories und Interviews, die für eine Zeit herumgereicht werden), warum es nach 14 Jahren Zusammenleben doch besser war zu heiraten: „Er fängt mich immer sehr gut auf“ sagt sie von ihrem Mann. Und Michelle Hunziker soll schwanger sein, auch die Bunte fragt gierig: „Michelle Hunziker – Auch schwanger?“ (man beachte das „auch“) und „Freunde des Mode-Erben Tomaso Trussardi verraten: ‚Er platzt vor Stolz und möchte unbedingt heiraten, bevor sein erstes Kind zur Welt kommt’. Und Cate Blanchett darf von ihrem Mann schwärmen: „Andrew ist der stärkste Mann, den ich kenne, und er akzeptiert mich, wie ich bin. Für eine Frau gibt es nichts Schöneres, als zu wissen und zu fühlen, dass man geliebt wird, wie man ist“. In Stars im Blick ist die Sängerin Helene Fischer hin und weg von ihrem „Prinzen Florian“: „Florian ist der starke Mann an meiner Seite, bei dem ich mich fallen lassen kann“. Tadel fängt sich ein, wer im Karrierespiel (des Mannes) seine Rolle nicht recht zu spielen weiß: „Mit mehr Zuversicht hätte sie ihrem Mann einen größeren Liebesdienst erwiesen“, so die Bunte Chefredakteurin über Gertrud Steinbrück, die womöglich einfach ganz gern von ihrem Recht aufs eigene Leben Gebrauch machen würde. Milchbubis und „starke Männer“ vs. unwürdige Greisinnen und Zuversichtslieferantinnen, nein, man möchte nicht Mann sein in dieser Parallelwelt. Frau aber erst recht nicht.
Es ist gar nicht so leicht, jemand Richtiges in diesem Olymp zu sein, und mag es stimmen, dass man nichts können muss, um dorthin zu gelangen, so muss man doch etwas sein, nämlich eine selbstverständliche Hülle der Performance, die genau dies dramatisiert, und darin ein Mensch, der sie womöglich lebt, die Entblößung und Karnevalisierung, an der Schnittstelle zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen, ein ständiges Changieren von Abstraktion und intimer Konkretion, von körperlicher Präsenz und Maske. Apropos Maske; wenn man gewisse Promis ansieht, die allgegenwärtig sind, Karl Lagerfeld, Boris Becker, Heidi Klumm, von den Grotesk-Masken neuerer Art ganz zu schweigen, dann kann man sich des Gedankens nicht erwehren, es handele sich in der Tat um eine Art des Maskentanzes, und der Weg dieser Masken wäre für einen heftigeren Ethnologen von den Göttern zu den Dämonen, und von den Herrschern zu den Narren zu beschreiben. Aber welche Gesellschaft kann ihre eigenen Masken verstehen?
Die Suche nach dem idealen Partner fürs Leben, für Sex, vor allem aber für den öffentlichen Auftritt ist ein beinhartes Geschäft, bei dem man nicht zimperlich sein darf. Wichtig scheinen Festigungsrituale, die gar nicht so sehr der Beziehung des Paares als vielmehr seiner Außenwirkung dienen. (Man muss sich offensichtlich nicht „verstehen“, man muss dem selben Dresscode unterworfen sein.) Das Zusammenfinden, noch mehr aber die Trennung der Masken sind die öffentlichen Riten, in denen der Zusammenbruch der sozialen Ordnungen eingeschlossen ist. Die Krawall-Inszenierungen dabei erinnern nur zu sehr an Märchen-Motive, in der, zum Beispiel, die böse Ex zur Nachfolgerin der bösen Stiefmutter wird. „Jennifer Aniston will, dass ihr Ex Brad Pitt samt Angie und Kinderhorde dabei ist, wenn sie Justin Theroux das Ja-Wort gibt. Warum bloß?“ (Grazia). Ja, warum bloß?
Nichts aber ist offenbar so aufregend, wie die Beobachtung kleiner Verfehlungen. Uns entgeht da nichts; die Welt der Promis ist eine Art „Truman Show“ in der unsere Überwachungen so sehr funktionieren wie an Märchen-Motive, in der, zum Beispiel, die böse Ex zur Nachfolgerin der bösen Stiefmutter wird Gavon Rossdale wird hinterrücks fotografiert wie er ebenfalls hinterrücks dem Kindermädchen an die Taille fasst. Erwischt, und das gleich in mehreren der Blätter! Man weiß nicht, welche Frage für jenen wichtiger ist, der in dieser Welt nicht wirklich zu hause ist: ob nicht, erneut, die Fotos vom Geburtstagsausflug von Tante Hedwig doch um einiges skandalöser waren (hat sich aber niemand groß drüber aufgeregt). Und: Wer zum Teufel ist Gavon Rossdale?
Fast dringlicher als die Kontrolle des schicklichen (oder wenigstens des gekonnt „unschicklichen“) Verhaltens ist die Kontrolle des Körpers selbst. Ein besonderes und offensichtlich besonders zeitgemäßes Vergnügen scheint es den LeserInnen zu bereiten, Gewichtszu- und Gewichtsabnahmen der Promis zu beobachten. Schnell ist da einer „aufgedunsen“ wie Brad Pitt, – „Früher sexy, jetzt aufgedunsen“, zum Beispiel in In Touch genau so schnell aber „schockt“ uns einer wie „Rock-Schnuckel Jared Leto“ „mit einem gefährlich abgemagerten Körper“. (Na schön, er musste für eine Rolle abnehmen, aber „Gesund ist das nicht“.) Zur neuen Verfilmung von „Anna Karenina“ fällt Grazia ein, die Hauptdarstellerin Keira Knightley habe für die Russen, ach diese Russen, die unpassende Figur, ihnen „fehlen die Kurven“, „Ein Hungerhaken und deshalb eine glatte Fehlbesetzung“. Wir sind gleichsam alle die Weightwatchers dieser Parallelwelt, wir kontrollieren die Körper unserer Lieblinge: „Manche Promis verändern sich ohne Maskenbildner. Beispiel: Ali Campbell (53). Der Ex-UB40-Frontmann (‚Kingston Town’) erreicht nahezu Bierfass-Ausmaße. Sängerin Hillary Duff (25) ist dagegen nur acht Monate nach der Geburt von Sohn Luca top in Form. Ihr Geheimnis: hartes Training, gesunde Kost. Das ist Mr. Campbell unbekannt“ (Bunte).
Hartes Training, gesunde Kost, so soll es sein. Ist etwas aufgefallen? Den Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Körper betreffend? Oder die Beziehung von, so heißt das in diesem Jargon, „shape“ und Schwangerschaft? Die Schwangerschaft ist das Schlüsselproblem, einer der Punkte, an denen der Körper seine gefährlichen und nützlichen Spaltungen erlebt, eine Heiligung auf Zeit und natürlich: eine Krise. Ein Kotzanfall einer schwangeren Royal, und die Krise ist da. Und sie schwappt hinüber ins richtige Leben. So nimmt es nicht wunder, dass in diesem calvinistischen Endlos-Porno Sexualität in aller politisch-ökonomischen Lüsternheit so verdammt wird wie Geburten brünstig gefeiert werden. Schwangere Frauen sind die Heiligen in dieser Grinse- und Absturz-Mythologie. Allen Männern und Frauen in dieser Welt wird stante pede vergeben, wenn sie nur Kinder produzieren. Und selbst die Hölle des „Dschungelcamp“, in dem „Promis der Güteklasse C bis F“ (in) öffentlich gedemütigt werden, lockt Erlösung in Form der neuen Familienbindung: „Jay Khan (30) und Indira Weis (33) haben es vorgemacht, bei Kim Gloss (20) und Rocco Stark (26) ist sogar ein Dschungelkind unterwegs“ (in).
Grinsen, Paarbildung, Nachwuchs und schließlich: das Haustier. So vollendet sich das Götter-Bild des Glücks. Und so grinsen Thore Schöllermann und Jana Julie Kilka mit einem genervten Husky in die Kamera (gefeiert in Gala und Bild und Promiflash und…). Glücklicherweise weiß ich nicht, wer Thore Schöllermann und Jana Julie Kilka sind, doch Halt, genau das ist ein neues Problem. Denn diese Parallelwelt dient nicht allein der Projektion und dem „Abtauchen“, sondern eben auch der Kommunikation. Wer nicht weiß, wer Thore Schöllermann und Jana Julie Kilka sind, ist einfach out. (Es sind übrigens der „The Voice of Germany“-Moderator und „sein ganz persönlicher Schneehase“.) „Sie hat ein wirklich großes Herz. Sängerin und ‚X-Faktor’-Jurorin Sarah Connor (32) kuschelt nicht nur gern mit ihren Kindern. Auch die lieben Haustiere bekommen Streicheleinheiten. Und das scheinen sie auch sehr zu genießen“. Das Foto dazu ist, sagen wir mal, nass.
Wie aber sieht das Glück aus? In Lisa so: „Viel Zeit mit dem geliebten Partner zu verbringen – davon träumen die meisten Frauen. Nach einer Bremer Uni-Studie würden wir einem idealen 12-Stunden-Tag am liebsten 106 Minuten bei unserem Partner sein. Es folgen 82 Minuten für Treffen mit Freunden, 78 Minuten für Entspannung und 57 Minuten fürs Telefonieren“. Und was machen „wir“ den Rest des Tages? Zum Beispiel Plätzchen backen. Das ist „in“, genau wie die „Liebe zum Auto“: „Jede 8. Frau gibt ihrem einen Namen“. Die Kampfblätter weiblicher Vertüttelung werden nicht müde, zusammen mit Traumpartnern (gespalten in Milchbubis und „starke Männer“) einen Regressionstraum zu vermitteln. Pink Restauration statt Pink Revolution (und warum sollten Frauen erwachsen werden, neben den lustvoll an Bier und Fußball verblödeten Männern?)
Wir nähern uns der Adels-Abteilung. Die Genealogie spielt in der Herrschaft immer noch ihre Rolle; ob Prinz Harry, tatsächlich der Sohn von Charles ist oder doch Frucht eines Fehltritts mit James Hewitt, sollte womöglich ein Gentest belegen, der von der Queen angeordnet sei, denn „Diana war von Prinz Charles auch nur angeheiratet, insofern konnte sie den Status als Adeliger nicht an Harry weitergeben. Hier gilt immer noch die alte Salische Erbfolge, die ganz klar besagt, dass der Adel nur im Mannesstamm und ehelich weitergegeben werden kann“. Wer uns da aufklärt? Claus Heinrich Bill vom Institut Deutsche Adelsforschung. (Das ist eine Webseite, die sich in Frakturschrift präsentiert, und auf der man nach Herzenslust über „Herrensitze“ – bei Näherung: „Herrensitze des Adels im Deutschen Reich“, über „Offiziere“ und „Fideikommisse“ forscht. Anfragen nach Familienname kosten zwischen 5 und 19,90 Euro. Aber das nur nebenbei.)
Das Institut Deutsche Adelsforschung jedenfalls ist eine der kleinen Zulieferer-Traumfabriken, über die uns kein Forschungsprojekt aufklärt: Wir haben keine Ahnung davon, in welcher Kultur wir leben.
In Zeitschriften wie Stars im Blick jedenfalls ist der Titel Programm, hier hat man es weder auf die „heile Welt“ noch auf die Sex and the City-Impulse der neuen Material Girls abgesehen, sondern man versteht sich als Skandalwächter. Die Körper der Herrscher verlieren ihre Kontenance, man ertappt die Adeligen gern beim Rüpeln, beim Saufen, beim Ausziehen und gar beim Pinkeln. Vor allem geht es zu wie in Sodom und Gomorrha. Auch von Angela Merkel erfahren wir so einiges, mein lieber Schwan. „Mit den Jungs, sagt ihr ehemaliger Mathelehrer Hans Ulrich Beeskow aus Templin, war sie eher zurückhaltend, hat sich aber auch nicht in die Ecke gestellt“. Als sie sich nach viereinhalb Jahren von ihrem ersten Ehemann, Ulrich Merkel (einem „bedächtigen Studenten“) trennt, „nimmt sie nur die Waschmaschine mit. Waschmaschinen sind Gold wert in der DDR“. So eine ist die Merkel. Angeblich stand es gar in der Stasi-Akte: „Sie hatte mehrere Liebschaften, die selten länger als ein halbes Jahr dauerten“.
Und jetzt? „Sie singt beim Abwasch, züchtet Tomaten“. Oder hat immer noch eine Obsession für Waschmaschinen. Mit ihrem jetzigen Mann muss das besprochen werden: „Wir treffen Absprachen: wer wann welche Waschmaschine anstellt, die Wäsche aufhängt oder wer wann was einkauft“. Angela Merkel bei Aldi! Und wo andere im Hobbykeller Sex- haben, da hat sie Waschmaschinen stehen, reihenweise. Und noch was, dass das mal vom Tisch ist: „Eine Legende ist die gerne verbreitete Behauptung, sie lasse sich auch beim Baden im nahegelegenen See von Bodyguards begleiten. Nein, zum Schwimmen nimmt Angie nur ihren Joachim mit“. Leider gibt es davon kein Foto, wie es einst vom Reichspräsidenten beim Baden eins gab, womit möglicherweise die erste deutsche Republik begann, oder endete, wie man es nimmt.
Diese fiktive Welt strahlt in die reale durch ein System von Inklusion und Exklusion. Man muss verstehen, was da verhandelt wird, und wie die Körper von Herrschaft zerteilt werden, um die Macht zu verteilen. Calvin hätte einerseits also seine große Freude an dieser Art von Presse gehabt: Denn in ihr werden die selbst erschaffenen Götter zu bürgerlichem Familienglück gezwungen und jede Art von Lebensfreude im Kern verdammt bzw. bestraft. Nach zwei Wochen Lektüre der Tratsch-Presse weiß man einiges: Der Körper ist der Feind. Alle Lust wird bestraft. Nur wer lernt die Codes zu befolgen, wird davor bewahrt, Erfahrungen zu machen. Hartes Training, gesunde Kost, und immer ein Grinsen im Gesicht. Die Verhältnisse sind okay, nur du musst dich ihnen anpassen. Politik ist uncool und unsexy. Der Körper ist der Feind.
Aus der kleinen täglichen Portion Wahnsinn für die Insassinnen der großen Industriezentren ist ein weltweites Bedeutungs- und Zeichensystem geworden; eine der einschneidenden Ereignisse in den sozialistischen Ländern nach dem „Zusammenbruch“ ihrer Regierungen war die Öffnung des Marktes für diese Sprache. Man hat vielleicht nicht gleich eine lupenreine Demokratie bekommen, aber jede Menge laschon hara in gedruckter Form. Zeitschriften wie Grazia gibt es in Russland und Südamerika, in China wie in Griechenland; es ist ein semantischer Schleier, der sich über die gesamte Welt deckt, aus Shopping-Träumen, Style Policen und endlosem Geschwätz über die Beziehungs- und Familienprobleme der Bewohner des karnevalisierten Olymp. Jede Art von Macht, so unterschiedlich sie auch von der anderen sein mag, fährt offensichtlich mit dieser Traumfabrikation gut. Grazia lässt vom Terror wie von der Ausbeutung gleichermaßen absehen.
Aber hinter dieser Oberfläche treibt die materielle Wirklichkeit als böser Trickser ihr Spiel; denn hinter den Modellen verkappt sind Strategeme der sexuellen Ökonomie, in dem Modebekenntnis wie im Promi-Klatsch steckt unbarmherziger Klassenkampf. Dieses Schauspiel der Bösrede verknüpft sich mit nahezu jeder Art von politischer und ökonomischer Macht. Unterschieden sind nicht nur diese Strategien des Überlebens durch Sexualität oder trotz Sexualität, sondern auch die semantischen Ansprüche. Graziahat diesen seltsamen kumpelhaften Ton: „Was für eine Schaufenster-Show! Nichts macht in der Vorweihnachtszeit mehr Spaß, als sich die kalte Nase an den Scheiben platt zu drücken und von Glitzer, Glamour und, och, vielleicht einem Schmuckstückchen zu träumen“. Man hört durch das ganze Heft eine schmierige Männerstimme raunen, in etwa der vergleichbar, die im Fernsehen beim „Perfekten Dinner“ soziale und kulinarische Missgeschicke ins Lustige dreht. Ein weibliches Verlangen wird durch eine männliche Ironie-Maschine lässlich gemacht, pink restauration: Sei schlau, werde ein Dummchen.
In dieser Welt freilich, und da ist sie die getreue Abbildung des ökonomischen Machtsystems, aus der sie entsteht, gibt es weder Natur, noch Schicksal. Die Material Girls von heute brauchen genaue Fahrpläne „Wie Sie mit Verstand (und Herz) den Richtigen finden“ (petra).
In den Zeitschriften für ein männliches Publikum scheint die Welt im allgemeinen, die Frau im besonderen so bedrohlich und zugleich begehrenswert, dass man sich nur darin behelfen kann, die ganze Welt, einschließlich der Frauen in „Dinge“ zu verwandeln: Maschinen, Bilder, Waren, Objekte, Kunststücke. In den Zeitschriften für ein weibliches Publikum scheint die Welt im allgemeinen und der Mann im besonderen so bedrohlich und begehrenswert, dass man sie in Auftritte, Maskenbälle und shopping tours verwandeln muss. In Grazia erzählt eine gewisse Bettina Hennig als „Einsicht der Woche“ zwei vollkommen hirnrissige Geschichten über plastische Chirurgie und Eheschließlungen aus China und Belgien, von denen sie selber kokett zugibt, sie könnten auch, hm, nicht „wirklich wahr“ sein, um auf die „philosophische“ Fragestellung zu kommen: „Sind sie der Beweis für die Dummheit der Männer, erzählen sie von der Raffinesse der Frauen?“ Sie können, machen wir uns nichts vor, nur von der Blödheit des Mediums sprechen. Sprechen sie auch von der Blödheit seiner Konsumentinnen? Nun, die meisten von ihnen nehmen es nicht wirklich ernst, unterhalten sich dabei ein wenig, wundern sich manchmal vielleicht auch über so viel Nonsense, und, klar, es gibt Wichtigeres und Wirklicheres, oder? Wie in anderen Segmenten der Unterhaltung wird man auch hier eine Zone der Ironie zwischen dem Endlos-Geblubber und der eigenen Lebenswirklichkeit errichten (nur Tante Hedwig, ja, die glaubt wohl wirklich an diesen ganzen bunten, niederträchtigen und komischen Blödsinn). Aber auch noch hinter dem Schleier der Ironie wird der Diskurs sichtbar, kommen hinter Hofnarreteien die Ansprüche der Herrschaft zum Vorschein.
Zweifellos sind die meisten Frauenzeitschriften Kampfblätter der Regression und der Anti-Emanzipation. Sie verlangen von ihren Leserinnen eine Rückkehr zu einem Verhalten, das jedem Macho-Alptraum unterworfen scheint: Ja, Frauen sind stohdumm, oberflächlich, bösartig zickig und missgünstig und sie ergreifen jede Gelegenheit, einander im sexuellen Rat Race zu übertreffen. Der Feind der Frau in dieser Welt ist die andere Frau, der Feind der Frau ist der nicht kontrollierte Körper, der Feind der Frau in dieser Welt ist der kritische Blick auf die Korruption und Regression. Und wenn es eine von ihnen geschafft hat, dann sind die anderen nur umso bösartiger: „Was passiert, wenn man nach einer finanziellen Durststrecke plötzlich ’nen Job als Promi-Reporterin ergattert, ein Traumhaus in Südfrankreich besitzt und ein aufregendes Leben führt? Man zieht leider jede Menge Neid auf sich – sogar von seinen besten Freunden, wie Jenny Paul erfahren musste“. Im Grunde erzählt die Autorin freilich, nur notdürftig verkappt durch die eigene Enttäuschung, davon, dass es besser ist, die alten Freunde zu vergessen und seine Kontakte in der eigenen Welt der Reichen und Schönen zu suchen. „Aber durch das Loslassen geht es mir jetzt viel besser. Ich konzentriere mich darauf, das Beste aus mir selbst herauszuholen“. Ja, da muss man schon manchmal ein bisschen bremsen, wie es diepetra tut: „Warum Frauen nicht so fies zu anderen Frauen sein sollten“.
Diese Sprachen der weiblichen Regression haben natürlich ihre Dialekte. In der Super Freizeit zum Beispiel geht es vor allem um die deutsche Volksmusik-Szene und andere sehr deutsche Promis, aber auch um sehr deutsche Fernseh-Stars. Und dabei ist es um die beständige Rekonstruktion des zweiten Biedermeiers zu tun, im Gegensatz zur Weltsprache wird das Materielle in dieser Provinzsprache herunter geerdet. Die Welt ist alles, was das Fernsehen ist, und die Protagonisten dieser Parallelwelt tun alles, um ein kleinbürgerliches Glück zu ermöglichen. Inka Brause („Bauer sucht Frau“): „Für mich zählen nur Dinge, die man nicht bezahlen kann: Gesundheit, Spaß bei der Arbeit, Glück in der Familie, tolle Freunde“. Und wenn Florian Silbereisen plötzlich für eine andere schwärmt, dann wird gleich entwarnt: „Privat schlägt das Herz des erfolgreichen Showmasters natürlich nur für seine Helene“. Natürlich werden in der Freizeit Revue auch die Anglizismen höchst moderat behandelt. Umgekehrt scheint alles, was aus den USA kommt, problembelastet und unglücklich: „Danny DeVitos Ehe nach 30 Jahren kaputt“, aber selbst die „Dallas“-Familie war in Wirklichkeit eine Gruppe enger Freunde. „Die Serien-Helden stehen sich im richtigen Leben in der Not zur Seite“. In In Touchdagegen geht es fast ausschließlich, von ein paar Adelsablegern abgesehen, um US-amerikanische Prominente. Und schon gibt es auch, wenngleich noch sehr speziell, deutsche Star- und Promi-Zeitschriften um die Bollywood oder um die J-Pop-Welt bzw. koreanische Glitzer-Welten. in wiederum scheint vor allem Frauen anzusprechen, die sich in der endlosen Welt der TV-Serien verloren haben und sie um Himmels Willen nicht verlassen wollen.
tDialekte geben sich auch durch die Drastik zu erkennen, offensichtlich sind die amerikanischen Dialekte die Obszönsten und Vulgärsten, dort liest man bange Fragen wie zum Beispiel die nach Ashlee Simpsons Liebesleben: „Ist ihr Ex etwa schwul?“. Übrigens unnütz zu sagen, dass die Welt der Tratsch- und Glamourzeitschriften im großen und ganzen eher homophob funktioniert, alles Homosexuelle muss hier schrill und komisch daher kommen. Sonst erzählen die Stories, direkt oder indirekt, immer wieder die Geschichte von der Angst der Frauen, ihr Milchbubi oder starker Mann könnte als schwul wahrgenommen werden.
Was in den Adels-Dialekten dieser Welt die Hof-Eingeweihten und Adelsexperten sind, die Mittler zwischen dem Olymp und seinem ganz gewöhnlichen Wahnsinn, und dem noch wahnsinnigeren Neugierigen da draußen, das sind in den Hollywood- und Pop- Dialekten die besten oder wenigstens guten Freunde und Freundinnen, zur Not tut’s ein „guter Bekannter“, die nur darauf warten, den Medien etwas aus dem Liebes- und Familienleben der Prominenten zu erzählen (wenn sie nicht von vorneherein eher fiktiver Art sind). Die gute oder beste Freundin sind feste Figuren in dieser Soap Opera d’Arte, wenn sie so etwas zu erzählen hat: „Ashlee ist nach den Homo-Gerüchten um ihren Vater völlig am Ende und traut keinem Mann mehr so richtig über den Weg. Als Vincent eines Nachts zu müde war, um mit ihr zu schlafen, nahm ihre Panik, dass auch er schwul sein könnte, überhand und sie schmiss ihn raus“ (In Touch) Ashlee Simpsons Vater ist übrigens nicht Homer, sie selbst stattdessen hat das Kunststück fertig gebracht, den Freundinnen-Tratsch wieder in die Musik selbst zurück zuspiegeln: „Boyfriend“ erreichte in den USA die Top 20 und auch in Deutschland war die Single wieder etwas höher in den Charts gehandelt. Der Track handelt davon, dass Ashlee bestreitet, ihrer Freundin den Freund ausgespannt zu haben. Bei der Freundin nahm man die Schauspielerin Lindsay Lohan an, bis Ashlee dieses Gerücht dementierte: Sie wolle die Person nicht beim Namen nennen. Aber Ashlee und Lindsay, das blieb ein Dauerdrama von Eifersucht und Freundschaft, von dem beide recht gut lebten. Pop entwickelt sich so zu einem endlosen Echoraum gestörter Beziehungen; die neuen Masken-Herrscher können sich nicht einmal auf ihren Thronen benehmen. Die Angst vor der Homosexualität des mit Verstand (und Herz) gewählten Partners und die doppelte Angst vor der besten Freundin – ist sie etwa selber eine homosexuelle Figur oder doch nur eine potentielle Verräterin? Ist es schlimmer, den Lover oder die Freundin zu verlieren? – verbindet sich miteinander zu einem durchweg homophoben Szenario, das nicht umsonst gleichwohl den öffentlichen lesbischen Kuss als Skandalfigur produziert.
Die heftigeren Formen der Tratsch-Presse liefern, obwohl sie so sehr auf der Höhe der Zeit zu sein versprechen, doch auch unendliche sexuelle und soziale Fallstricke, überdies sind sie wohl so aggressiv homophob wie im „Jugendwahn“. Hier kann man nicht lustvoll mitmachen, ohne an der ständigen Produktion von Verlierern teilzuhaben. Daher mag man sich, gesetzteren Alters, in beruhigtere Zonen der Bösrede zurücksehnen, nur um hier nicht weniger Niedertracht zu begegnen. Der Adels-Dialekt entfaltet sich etwa in Adel aktuell („nur 0,79 €“): der keineswegs vorwiegend von Glamour, alter Herrlichkeit und Pomp träumt, sondern von Missgunst, Verschwörung und Verrat: „Kate – Geheimplan der kranken Queen macht ihr Angst“, „Mette-Marit: Wird sie von ihren Ärzten wirklich falsch behandelt?“, „Letizia: Gemein! Sie darf ihrer traurigen Schwester leider nicht helfen.“ „Charlene: Kann sie ihrer engsten Freundin noch vertrauen?“. Und das ist nur das Titelbild der Zeitschrift, die mit dem schönen Versprechen wirbt: „Jetzt immer mit dem königlichen Fernsehprogramm“. Das geht so weiter in Adel heute, wofür man immerhin das Doppelte hinlegen muss: „Fürstin Charlene: Kein Baby in Sicht. Warum sie zum Mutterglück verdammt ist.“ „Letizia: Küssen verboten: Peinlicher Streit im Königspalast“. „Madeleine: Hochzeitstermin geplatzt? Neue Gerüchte und Ärger ums Geld“. Würden Menschen, die sich nach alter Herrschaft sehnen, so von den Objekten ihrer Träume lesen wollen?
In der Tratsch-Presse gibt es also deutsche, „amerikanische“, globale Dialekte, Pop-, Fernseh- und Volkstums-Dialekte, Altersdialekte und Klassendialekte. Natürlich streift auch der „deutsche Dialekt“ der Tratsch-Presse immer wieder die Grenze zur Obszönität, zugleich aber erschreckt man davor wie jemand, der bemerkt, dass er sich gerade daneben benommen hat. Für die derberen Töne ist hier die unvergleichlich unvermeidliche Christine Neubauer (50) zuständig: „Gegen Schlafprobleme empfehle ich guten Sex und heiße Duschen“, bzw.: „Eine gute Maniküre ist besser als schlechter Sex“. Die Super Freizeit muss das natürlich tadeln: „Das hätte sie gern für sich behalten können – manchmal ist Reden Silber, Schweigen aber Gold“.
Wie die Super Freizeit so ist auch Das Neue Blatt bestrebt, stets das Schlimmste abzuwenden. Maria Furtwängler (46) lässt sich zwar „freizügig fotografieren“, aber das „wilde Liebesleben mit diversen Lovern“ war natürlich nur ein Scherz.
Die Bunte schließlich ist wohl so etwas wie ein Zentralorgan dieser Parallelwelt, und eine Schnittstelle zu anderen Welten; hier findet sich zusammengefasst, was auch ein mehr oder weniger normaler Mensch aus dieser Welt wissen sollte, wenn er nicht den Ausschluss riskieren will: Die Sorgen um Kates Baby, die Affäre des Fußball-Stars, der übliche Kram eben, allerdings mit einem hämischen Unterton. Im allgemeinen aber geht es darum, was Mainstream-fähig aus den verschiedenen Dialekten und Diskursen werden soll. Dazu gibt es eine Personalisierung über die an anderer Stelle erwähnten Promi-Reporter, die gaaanz intim auch bei der Körper-Überwachung der Stars sind: Veronica Ferres, erfahren wir, hat lange Zeit „sogenannte Minimizer getragen, die meinen Busen um eine Größe kleiner gemacht haben“. Dazu der Bunte-Reporter oder die Bunte-Reporterin, (denn trotz allem wichtigen Ich-Sagen erfahren wir den Autor-Namen nicht): „Minimizer? Man meint geradezu, angesichts dieser Offenbarung den Aufschrei Tausender Männer zu hören. In Zukunft will Veronica Ferres darauf verzichten, verspricht sie mir, als ich insistiere und ihr vom verzweifelten Frauen mit kleinen Brüsten und Silikonimplantaten erzähle“.
Wie bekommt man heraus, dass die Brüste von Veronica Ferres eine drängende Frage bilden? „Man nennt das heute ‚newsfeed’, auf Deutsch ‚Nachrichtenfutter’. So wählt die heutige Chefredakteurin von ‚Bunte’, Patricia Riekel, aus einer Fülle von Nachrichten und Informationen die Geschichten aus, die per Twitter, aber auch Path und Pinterest von der Redaktion gesammelt werden – neben den Berichten der noch immer aktiven, exklusiv ans Blatt gebundenen Informanten. Danach legt sie die Interviews fest und den Trend des jeweiligen Artikels, schließlich formuliert sie mit ihren Kollegen die ‚Headlines’ und gestaltet die optische Aufmachung des Blattes“ (Hubert Burda: Die BUNTE Story. Ein People Magazin in Zeiten des Umbruchs, München 2012).
Path ist übrigens jenes soziale Netzwerk mit iPhone-Applikation, das sich dadurch auszeichnete, dass es die Adressbücher seiner Benutzer auf die Server lud, und Pinterest bündelt Bilder und Kommentare und wurde seinerseits berühmt, weil man eine vehemente Propaganda für magersüchtige Models diagnostizierte, und ansonsten sehr stark in die Marketing-Strategien der großen Unternehmen eingebunden ist. Es gibt eine geschmeidige Verbindung zwischen Medium, Ökonomie, Konsumenten und dem Olymp der Parallelwelt. In einem solchen Resonanzraum kann kein Mensch mehr eine „Person“ werden, kein Mensch behaupten, er könne „umgehen“ mit dem, was er in sich aufnimmt und von dem er aufgenommen wird.
Ein gemeinsames Bild, ein gemeinsamer Körper wird da erzeugt, der doppelte Körper des Herrschers und des Beherrschten. Ein „Stil-Check“, wie es ihn in der Bunten, in verschiedenen Formen aber mehr oder weniger in allen Magazinen gibt, erklärt was geht und was nicht: Pippa Middletons Stil zum Beispiel geht gar nicht: „Der Jupe im Metallic-Look trägt auf, die Schuhe zu robust, der Schmuck ist bieder“. Es ist, mit anderen Worten, der Look der Verlierer, der zu vermeiden ist. Der Körper des karnevalisierten Herrschers ist ganz buchstäblich „durchgekaut“ und in dieser Form kulturelle Nahrung für das Volk. Man wird, mit anderen Worten, zum Widerschein des doppelten Körpers.
In der Bunten wird auch der Körper (und die Familie) des Politikers verhandelt: Philipp Rösler zum Beispiel spricht über seine große Liebe: „Manche sagen, ich sei stolz auf meine Frau. Das stimmt. Wiebke ist für mich die wichtigste Person in meinem Leben. Sie gibt mir Kraft und Ruhe“. So ist es recht, so soll es sein. Hier fehlt nicht einmal das dritte K: „Die zierliche Mutter von vierjährigen Zwillingstöchtern“ muss natürlich das Haus besorgen und hat nebenbei den Mann zum rechten Glauben bekehrt. In der Bunten erfahren wir auch, was Philipp Rösler so den ganzen Tag macht: „Unter der Woche arbeitet der FDP-Politiker in Berlin, als Wirtschaftsminister ist er auch oft im Ausland“. Echt jetzt? Aber damit nicht genug mit der politischen Aufklärung: „Die FDP in Niedersachsen wird nicht nur in den Landtag gewählt, sondern wir werden mit der CDU auch die künftige Regierung stellen“. In der Bunten kann man immerhin erfahren, womit auch eine Frau, wenn sie nicht dem KKK angehört, ihr Geld verdienen kann: „Prinzessin auf dem Erze. Odette Krempin handelt mit Träumen, Mineralien und Millionenversprechen“. Da bleiben wir skeptisch: „Lizenzen? Umsatzzahlen? Beweise für den Ertrag der Minen? ‚Streng vertrauliche Informationen’, wehrt sie ab. Odette Maniema Krempin wird wortkarg, wenn sie über Fakten sprechen soll“. Natürlich wird auch hier gerated und gecoacht, dass es eine wahre Pracht ist. Eine „Style Jury“ tritt in Aktion, und man wird aufgeklärt darüber, was man zu einer X-Mas-Party trägt. Und nach dem fünften Prosecco will man mit dem Kollegen über „Shades of Grey“ reden; das ist keine Satire. Das gehört zum gedruckten und gedrückten Leben dieser Welt.
III (Düstere Gedanken)
Obwohl es die selben Bilder, die selben „Ereignisse“, die selben Hauptfiguren, die selben wiederkehrenden Narrative, die selben Traumbilder sind, tobt in dieser Parallelwelt ein heftiger Kampf vor allem um die Rolle der Frau (Männer kommen hier ohnehin nur als Triebtrottel, Trophäen und seltsam eigenschaftslose Halbgötter vor, denen man sich zu Zeiten gern einmal unterwirft): ist sie die Bewahrerin einer alten Ordnung (einer alten Herrschaft); nicht nur in der sozusagen matriarchalen Bewahrung der feudalen Herrschaft, die nicht mehr in die Männerwelt der Börsen und Kriege, wohl aber in die Frauenwelt der Mode und Moderationen hinein bestimmt, mithin absurder Nachklang der „bürgerlichen Gesellschaft“? Oder ist die Frau doch Nutznießerin und Gestalterin im Prozess des Neoliberalismus, in dem sie zur Autorin der sexuellen Ökonomie wird, zur Speerspitze der Entindustrialisierung und Fiktionalisierung des Kapitalismus? Eine Figur wie Angela Merkel hat ihren Nimbus vermutlich daher, dass sie gleichsam beide Seiten der Frau im Diskurs von familiärer Herrschaft verbindet. Das übrigens sehr häufig zitierte Bekenntnis „Mein Mann kocht nicht“, ist daher der Herrscherin Angela Merkels bedeutender Beitrag zur alten Ordnung.
Natürlich gibt es auch einen Jargon, und wenn unsere „Sprachwarte“ mal wieder über Anglizismen klagen wollen, wäre es hilfreich, sie würden einmal in dieser Welt Belege sammeln, in der es keine Tratsch-Geschichten gibt, sondern, neben Fashion und Trends, die „Talk Abouts“. Es ist „Hot!“, was es da an „Party_Stylings“ gibt. Aber zur gleichen Zeit gibt es auch in den eher deutschtümelnden Jargons der traditionalistischen Old School-Gazetten sehr schöne Wortschöpfungen: So heißt es von Daniela Schadt, als sie den Bundespräsidenten Joachim Gauck kennenlernte, sie sei „männertechnisch angekommen“.
Diese Parallelwelten funktionieren weil sie mit anderen Parallelwelten zusammen geschlossen sind und wiederum konstitutiv auf dieselben wirken: Das Fernsehen, die Shopping-Welten und die Familie als vollkommene Konsum- und sehr, sehr unvollkommene Erzählgemeinschaft.
Die Star-, Glamour-, Adels-, Promi- und Klatschwelt ist eine der Parallelwelten, neben dem Sport, neben dem Feuilleton, dem Rock’n’Roll-Nerdismus, dem Computergame, der Börsennachricht, in der man leben kann, weil sie zwar blödsinnig, aber in sich verständlich sind. Aber wie der Tanz der Masken enthüllen die Figuren und Riten hier so viel wie sie verbergen. Hinter der Herrschaft von calvinistisch-niederträchtigem Glamour verbirgt sich die Macht der Ausbeutung. Aber nur bis zu einem gewissen Grad.
Es ist definitiv mehr als „Freizeit“, „Unterhaltung“, „Hobby“ und Das-was-man-halt-so-beim-Zahnarzt-oder-Friseur-durchblättert. Es ist eine Sinnmaschine, die viel „politischer“ ist als es ihre Oberflächenkritik wahrhaben will. Es ist semantisches System, das Macht in Herrschaft verwandelt, und Herrschaft in Macht. Es ist eine Familien-, Sexual- und Sittenlehre als work in progress. Es ist mit einem Wort: Diskurs – also das, was bestimmt, was als richtig, vernünftig, schön, angenehm, akzeptabel gelten soll, und dass sich dieser Diskurs dumm stellt, dass er so harmlos, naiv, manchmal obszön, manchmal zum Lächerlichen regressiv daher kommt, ist eine Tarnung. Dieser Diskurs weiß mehr als er preisgibt, deswegen gibt es keinen Grund zur Verachtung, wohl aber Gründe genug, zu erschrecken.
Interessanterweise geht es auch um ein linguistisches Projekt, das wir zeitgleich auch im Fernsehen erleben: es geht um die Aufhebung der Variationsmöglichkeiten zwischen der geschriebenen und der gesprochenen Sprache, bzw. um die Aufhebung der Variationsmöglichkeiten zwischen Alltags- und Reflexionssprache. So heißt es über George Clooney, der angeblich immer sexier wird je älter er ist in Stars im Blick: „Souveränität mit zunehmenden Jahre macht nun mal sexy. Wie bei gutem Rotwein eben. Dem man noch eine ganze Weile nachlächelt, wenn die Gläser gespült und die Gäste längst gegangen sind…“ Redundanz als organischer Sprechgestus, wie im richtigen Leben, die Aussage steht nicht im Vordergrund, sondern der Sprechgestus, Bild und Text verhalten sich hierarchisch und tautologisch. Man sieht nur, was beschrieben wird, und man liest nur, was gezeigt wurde. Man erlernt in diesen Blättern eine Taktik des Zu- und Wegquatschens, der Gar-nicht-erst-hinsehen-müssens weil man ohnehin schon Bescheid weiß.
Wir müssen uns vielleicht klar machen: Dies ist keine „banale“ Welt, niemand versinkt da im Bedeutungslosen und Unwichtigen, ganz im Gegenteil, es ist ein System, in dem Bedeutungen geschaffen, Sinn erzeugt, in dem Werte verhandelt, Geschmack und Urteil gebildet werden, Politik gemacht wird. Was hier fließt ist ein Diskurs der Macht. Und im Brei des scheinbar Immergleichen toben Richtungskämpfe, die mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln geführt werden und die so sehr, oder vielleicht mehr als eine Präsidenten- oder Bundestagswahl, darüber entscheiden, wie wir später leben werden. Es geht hier nicht nur um die Konstruktion von Weiblichkeit in der Gesellschaft von heute, und dabei um den Kampf zwischen einer aktuellen- neoliberalen und einer vollkommen rückwärts gewandten Weiblichkeitskonstruktion, und nicht nur um eine gestaffelte Weiblichkeitskonstruktion von progressivem und regressivem Mittelstand, Prekariat und neuer Unterschicht, zwischen Generationen und Körper-Konzepten. Es geht immer auch um eine politische Konstruktion der Weiblichkeit. Das Begehren und die Ängste, die in dieser Welt bedient und gefördert werden, bilden eine soziale Topologie aus, ein eigenständiger Diskurs über den richtigen Platz, das richtige Verhalten, das richtige Aussehen, das richtige Empfinden, die richtige Sprache. Es ist ein unermüdliches Narrativ, eine „Erzählung“, die in immer weitere Bereiche des Innenlebens vordringen, immer weitere soziale Bereiche erfassen soll, eine sexuelle, die zugleich eine politische Ökonomie ist. Aber es ist doch nur Unterhaltung. Es ist doch nur lustiger, bunter, obszöner Blödsinn. Hat man kein Recht auf ein wenig kontrollierte Regression?
Wie heißt es so schön am Ende des Adel aktuell-Artikels „Kronprinzessin Victoria: „Heimliche Sorgen! Hält dieses große Glück für immer?“: „Düstere Gedanken, die leider nicht ausbleiben. Aber vielleicht bleiben es ja auch nur ein paar Gedanken…“.
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