Terror bleibt Terror, aber ein Blick in seine jüngere Geschichte zeigt: Rechte Gewalt à la NSU greift Pop-Elemente in einer neuen Weise auf

Ursprünglich mochte Terror eine lineare Kommunikation, oder deren Vernichtung gewesen sein: die „unberechenbare“ Gewalt, die nicht nur einen Gegner vernichtet, sondern als Schauspiel oder Nachricht auch eine Botschaft enthält: Ich bin da, sagt das terroristische Subjekt, kann jederzeit zuschlagen, ihr seid nirgendwo sicher, und: Ich kenne keine Grenzen, möglicherweise auch keine der Moral und der Menschlichkeit.

Angst und Abschreckung können das Motiv für Terror sein, die verrückte Wiederherstellung von Gleichheit in einem asymmetrischen Krieg, die Kränkung des Gegners, ebenso gut aber kann auch die Provokation eines Gegenschlages das Ziel sein, ein grausame Aufforderung, das wahre Gesicht zu zeigen. Aber tief drinnen lauert noch eine dritte Möglichkeit. Das Subjekt will sich durch den Terrorakt erneut erzeugen und, je nach Kultur, in ein Paradies eingehen oder in die Öffentlichkeit der Medien oder in die Geschichte. Und eine vierte, böse und triviale Erklärung gibt es noch: Es gibt Menschen, die Lust auf Terror haben, denen Religion, Ideologie oder Auftrag nur willkommenes Beiwerk sind.

Mörder, die ein äußeres System für ihre Mordlust benötigen. Terror gibt es, weil es Menschen gibt, die ihn ausführen, weil es die Mittel zu dieser Ausführung gibt, weil es die Medien zur Übertragung der Ausführung gibt. Das heißt nicht etwa, dass linker Terror gleich rechter Terror ist, dass politischer gleich religiöser Terror ist, dass der inversive Terror einer Selbstverbrennung gleich dem explosiven Terror eines Massenmordes wäre. Im Gegenteil: Jeder Terrorakt hat seine Geschichte, seine Bilder, auf eine verquere Art eben auch seine „Moral“. Das Wort „menschenverachtend“ ist zum Reflex verkommen. Und doch beschreibt es das Geschehen des radikalen Bruchs: Terror ist eine blitzartige Entwertung des Menschen und seiner Diskurse. Unnütz zu sagen, dass er gedeiht, wo diese Entwertung schon „schleichend“ vorbereitet ist. In Bildern, Erzählungen und Begriffen. Und in einer politischen, ökonomischen und kulturellen Praxis.

So wie eine Naturkatastrophe einmal den Glauben an eine göttliche Ordnung in der Natur zutiefst erschütterte, so erschüttert der Terrorakt zutiefst den Glauben an eine menschliche Ordnung in Geschichte und Gesellschaft. Man nennt daher den terroristischen Akt auch einen Zivilisationsbruch. Was uns überrascht ist nicht allein, dass Terror so sehr der Normalfall der Konflikte wird wie die Krise der Normalfall der Ökonomie. Vielmehr erstaunt uns bei jedem neuerlichen terroristischen Großereignis, dass es in der populären Kultur so vorgeformt, so erwartet ist. Jedes Mal, und jedes Mal neu, wird dann rasch die eine oder andere Verbindungslinie gezogen, als würde hierzulande Pop so viel erklären wie anderswo eine Religion.

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Nicht die Tat, sondern Raster und Serie,

Wiederholung und Ausschluss sind das Ziel.

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Noch vor dem Terrorismus in Europa kamen die Weathermen aus einem Song von Bob Dylan und wurde ihnen auf Plakaten gehuldigt, die in der Sprache der Marvel-Comics mit einem Hauch der Rauschenberg-Verfremdung die Gewalt zeigten. Der islamistische Terror hat eine eigene, in unseren Augen naive Bildsprache, und in Palästina tragen stolze Väter ihre Kinder mit Plastik-Maschinenpistolen und Bannern, die die Bereitschaft zum Märtyrertod bekunden. Bei der RAF durchdrangen sich politische und popkulturelle Mythologeme so sehr, dass manche den Unterschied nicht mehr bemerken konnten, aber auch die „Jagd“ auf die verlorenen Kinder wurde nach den Gesetzen der Unterhaltungsindustrie aufgepept. Carlos, „der Schakal“, wurde zu einer Thriller-Figur. 9/11 sah man in verblüffender Analogie zur Katastrophenphantasie von Hollywood, und Anders Breivik war das kranke Kind von Computergames, Internet und Mittelalter-Pop, ein Kreuzritter nicht aus der Geschichte sondern der Rollenspiel-Simulation.

Es gibt Methoden, alle diese Bilder und Selbstbilder in der Pop-Kultur übereinander zu legen, etwa die trist-freudianische, eine phallische Wiedergeburt, die perfekte Darstellung des „Todestriebs“, eine andere die heroische Geste, in der sich Einsamkeit und Entfremdung zur Ikone adeln, so, möchte man hinzufügen, wie man es aus dem Kino und den Comics gewöhnt ist.

Jedes Mal tut man überrascht, sucht man nach einem ursächlichen Zusammenhang zwischen der globalen Bilderschleuder, den scheinbar so unverbindlichen Gesten des Pop und der konkreten Geste des Terrors. Die Frage ist, ob es sich um eine Art Ursache/Wirkung-Beziehung handelt, um eine Beziehung von Abbildungen, um eine Art von „Sprache“, oder gar um das, was man einen Diskurs nennen könnte: die Ordnung von möglicherweise chaotischen Elementen zu einer linearen Anordnung der Erklärbarkeiten. Alles, was der Fall ist, setzt sich zusammen aus Bild, Erzählung und Begriff. Wen sollte es wundern, dass sich diese Zusammensetzung in jener Form vollzieht, die universal, reduziert und dynamisch genug ist, um in Echtzeit um die Medienwelt zu wandern. Am Ende wissen wir nicht ob die Medien für den Terror oder der Terror für die Medien bestimmt ist; das eine jedenfalls ist nicht ohne das andere zu denken.

Der Terror der NSU unterscheidet sich von anderen Formen auch des Rechtsterrors, insofern er kein öffentliches Bild abgeben wollte, sondern sich in Form eines „Bilderrätsels“ offenbarte, „lesbar“ für bestimmte Szenen und bestimmte Codierungen, unlesbar für die Mainstream-Gesellschaft und ihre Medien. In der Sprache der populären Mythologie handelt es sich also weniger um Terror als um eine terroristisch grundierte Form des Serienmordes, der sein Muster zu erkennen geben möchte und seine Praxis zugleich verschleiert. Die Abbildung dieses Bilderrätsels der Serienmorde aus Mordlust und Rassismus ist daher eine besonders gefühl- und gewissenlose Aneignung von Elementen der Popkultur.

Diese Form des Terrors will offenbar nicht auf die Produktion eines heroischen Bildes hinaus, der Mord ist hier schon keine symbolische Tat mehr, sondern eine, wenn man so will, bürokratische, und die Organisation schon wichtiger als das blutige Spektakel. Daher benötigt man nicht einmal mehr eine klassische Bekennergeste. Stattdessen entstehen, mit den Mitteln der Pop-Kultur, Filmcollagen, die nur mehr auf der Entwertung des anderen, des Menschen basieren, nicht mehr auf der Selbsterhöhung. Besonders deutlich wird dies in der Aneignung des Monopoly-Spiels für die Selbstdarstellung des rechten Terrors: Es geht eben nicht mehr um den Bruch eines Regelsystems, es geht darum, Spielregeln nach eigenem Sinne zu diktieren. Nicht die Tat, sondern Raster und Serie, Wiederholung und Ausschluss sind das Ziel. Eine von vielen Ableitungen daraus ist: Der Terrorist als Subjekt ist austauschbar, es bedarf keiner heroischen, aber auch keiner so widersprüchlichen Persönlichkeit mehr wie etwa beim „Berufsterroristen“ Carlos, es bedarf nicht mehr der Übertragung der Pop-Mythen in den Untergrund. Stattdessen benutzt man offenbar gezielt „infantile“ Elemente, den Pink Panther, den wir in seinen Animationsfilmen wegen seiner „Ungerührtheit“ schätzen, das „kapitalistische“ Brettspiel, das hinter seinem akkumulatorischen schon immer einen eliminatorischen Impuls offenbarte.

Die Beziehung zwischen Terrorismus und Pop-Kultur ist stets zugleich strategisch, mythisch und (wechselseitig) „entlarvend“. Das Repertoire und die Form der wechselseitigen Bedienung hat sich auch deswegen erweitert, weil die Ordnung innerhalb der Sprache der populären Kultur ihre Reste von Verlässlichkeit verloren hat. Pop als „Avantgarde“ der populären Kultur (und Schnittstelle zu Kunst und Politik) ist längst nicht mehr verlässlich links, liberal und offen; ob im Turbofolk in Ex-Jugoslawien, im Hate Radio in Afrika oder im Nazi-Rock hierzulande, überall haben nationalistische, rassistische und faschistische Gruppierungen ihre Sprachen im Pop gefunden und dabei auch die Phantasmen für den nächsten Terrorismus geschaffen. Die Beziehung zum Mainstream wird dabei umso wichtiger, je mehr der Terrorismus nach rechts geht.

Die Rechte träumt nicht vom Terror als heroischer Tat gegen das System, sondern vom Terror als System. Deshalb verbinden seine Protagonisten ihn auch in ihrer Bildsprache so gern mit dem „Gewöhnlichen“. Rechter Terror sucht sich das offensichtlich schwache Opfer. So wird eine Überlegenheit ohne eigenes Opfer konstruiert, und in der Verwendung der Popkultur-Elemente ist zu erkennen, dass das Ziel ein kalter Terror ist. Einer, in dem die Gefühle nicht in blutigem Wahn ausbrechen, sondern im Gegenteil einer, indem sie vollkommen zum Verschwinden gebracht werden.

Georg Seeßlen in Freitag  15.12.2011