Besonders interessant sind überall und immer die Unterhaltungen mit Stadtplanern und die mit Menschen, die für die Automobilindustrie arbeiten. Wer für die Automobilindustrie an pfiffigen Ideen für eine bessere Zukunft schmiedet, beispielsweise an Katalysatoren oder neuen Sicherheitssystemen, scheint offenbar vor dem Problem zu stehen, dass die jedes halbe Jahr wieder völlig für die Katz sind, denn neue Autos sind schon wieder auf neuem Niveau; größer, böser und gefährlicher. Und angeblich wünschen sich die Autofirmen nichts mehr, als strenge neue bundesweite Gesetze, vor allem zum Tempolimit, die sie aus diesem Teufelskreis erlösen, und die sie vor ihren Shareholdern als Argument benutzen können, kleinere, bessere und ungefährlichere Autos zu bauen.

Und die Stadtplaner? Die würden angeblich nichts lieber tun, als der Allgemeinheit ganz viel öffentlichen Raum zurück zu schenken, aber müssen sich im Alltag damit herumschlagen, dass Menschen sich über Bushaltestellen vor ihrer Haustür und zu viele Bänke in ihrer Straße beschweren.

Ein äußerst idealistischer Stadtplaner kann aber auch von einem Park in einer mittelgroßen deutschen Stadt erzählen. Dieser Park, das übliche verwilderte Stück Grün, mit verwilderten Hecken, morschen Rutschen und Spritzen im Gras, wurde vor einigen Jahren relauncht. Das Rennen machte dabei lange Zeit ein Entwurf, der eine Art Englischen Garten vorsah, ein Flanierparadies mit gepflegten Heckenschnecken, die verschlungene Paare versonnen an erlesenen Blumen vorbeiführen sollten. Aber einige Stadtverordnete äußersten Bedenken und setzten sich durch: es wurde ein Bolz- und Krabbelpark, und die einzige (entscheidende) Konzession vor dem Erlesenen waren hübsch designte, sauteure und völlig unbrauchbare modernistische Rutschen und Klettergerüste. Bei auch nur normalen schlechtem Wetter verirrt sich kaum jemand in diesen Park, ein paar tapfere Eltern vielleicht, mit grimmigen Gesichtern und Nachwuchs, und erst recht keine Paare, allerdings anlässlich von Rekordtemperaturen (und das kommt immer öfters vor), ist das Ding proppenvoll. Ihr werdet das aus anderen Parks kennen. Picknickdecken, Bongos, Slacklines, Tai-Chi, Wikingerklötzchen und Headis. Ein Paar Menschen mit Büchern, die sich bei dem Lärm ganz sicher nicht gut lesen lassen. Lachend toben Kinder durch das pralle und friedliche Leben, und man schluckt heiße Rührungstränen herunter, oder will zumindest nachsehen, ob man sich nicht doch in ein wirklich gutes Bilderbuch verirrt hat. Natürlich kauern auch ein paar gescheiterte Gestalten in den Ecken und brüllen ihre Einkaufstüten an, und natürlich werden sie von Tag zu Tag mehr. Aber der Rest ist Idylle. Bis auf die fehlenden Paare, die im krassen Kontrast zu Englischen Gärten keine Ecken und Winkel finden, in denen sie mit Drogen handeln könnten. Die Präsenz von Polizei, Ordnungsamt und privaten Sicherheitsdiensten wird außerordentlich diskret verstärkt. Es scheint sich eine neue Kultur des Parklebens herauszubilden, die Erfüllung vom Traum des „gelingenden Lebens“, wie es Funny van Dannen ironisch besingt. Und an sich ist dagegen, und das ohne jede Ironie, gar nichts zu sagen.

Der kleine Haken an der Sache liegt darin, dass diese Parks keine Nachbarschaftsparks sind, sondern Treffpunkte für informelle soziale Events. Und dass sie für die alltägliche Nutzung innerstädtischer Grünflächen – Hund ausführen, sich unter Bäumen küssen, etwas in frischer Luft lesen, unbeobachtet und gedankenverloren einen Spaziergang machen, der nicht in den nächsten Kleinwagen führt, und – in speziellen Fällen – selbst dafür, kleine Kinder rutschen zu lassen, völlig ungeeignet sind. Und dass sie beinahe die letzten verbliebenen öffentlichen Plätze darstellen, in deren Pflege investiert wird.

Nun sind oder waren öffentliche Plätze ein moderner Traum mit viel kürzerer Tradition, als wir manchmal denken. Selbst die öffentlichsten Plätze waren früher alles andere als wild und frei – Marktfrieden, Burgfrieden und der Kirchplatz waren gesichert. Geschäftsleute verfügten meist über den Platz vor ihren Geschäften, ob er zum Grundstück zählte oder nicht, solange der ihr begründetes Interesse tangierte. Die gesetzlose Straße galt als der Alptraum wie der belebte Hinterhof und beiden wollten ihre Anwohner gerne entkommen. Unsere Vorstellung vom Park ist, wie das Museum, das allgemein zugängliche Schwimmbad (das mehr und mehr verschwindet), und die von allen zu nutzende Bücherei (der es relativ gut geht, die aber um ihre Mittel kämpfen und bangen muss). Moderne Utopien, die von einem Bürgertum propagiert wurden, das von urbanem Leben ohne Seuchen träumte. In vielen unserer Nachbarländer waren die Parks trotzdem immer eingezäunt und abschließbar, und in Kalifornien ließ sich von aufrechten Kämpfern für die Allgemeinheit nicht einmal der allgemeine Zugang zum Meer durchsetzen. Heute ist dieser Traum verschwunden und hält sich am Hartnäckigsten noch in Ferienorten (in denen trotzdem das Pack ohne Kurtaxe von der Promenade gejagt wird). Das gehobene Bürgertum ist in die Grüngürtel ausgewandert und fährt Samstags zum Wochenmarkt in die Innenstadt. Und wo es, wie in den deutschen Großstädten, nach und nach, und sogar mit Nachwuchs, wieder die Innenstadt für sich entdeckt. Dabei geht es um die hippen Viertel, deren Hauptattraktion früher darin bestand, dass dort Privatleben, Arbeit und Freizeit auf eine bestimmte Art gelebt wurden, während die Sensation heute darin besteht, dass diese Bereiche dort überhaupt und vereinzelt zusammen gelebt werden. Das ist ein bisschen so, wie einen Baum im Museum zu beobachten. Die Innenstädte füllen sich wieder, der Begriff der Urbanität gewinnt wieder etwas von dem Glanz, den er in den frühen 80ern hatte. Doch die bunten Viertel sind heiß umkämpfte Reservate. Nicht mehr für spezifische Lebensstile, sondern für städtisches Leben an sich. Die oft zitierten Dörfer und Kleinstädte in den Großstädten werden zu den letzten Orten in Deutschland mit städtischer Infrastruktur. Und die dort aufgeführten scheinbar zwangsläufigen Grabenkämpfe und Entwicklungen, Arm gegen Reich, von Arm zu Reich, zeigen, dass es kein allgemeinverständliches Modell von Nebeneinanderleben mehr zu geben scheint.

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Wir alle verslummen im Privaten, das dadurch, gerade auch im Netz,

seine Qualität des Selbstgewählten und Bestimmten, kurz Persönlichen, verliert

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Die grausige Pointe dabei ist, dass zumindest manche Firmen und Kommunen alles andere wollen, außer uns zu Pizzadienstkunden hinter vergitterten Rollläden zu machen.

Viele Firmen und außerordentlich viele Stadtplaner träumen und schwärmen von bunten Städten.

Die Deutsche Bahn ist darum, wieder einmal, ein dankbares Hassobjekt für uns restliche Heuchler. Die Bahn hat tatsächlich seit sie die Bahn AG ist, gerne den erst einmal reichlich absurden Standpunkt vertreten, Bahnhofsvorplätze seien kein öffentlicher Raum, sondern quasi ihr Schaufenster, und diesen aggressiv gegenüber den Kommunen vertreten. Das hat, bei immer gleichem Ziel, die unterschiedlichsten Auswirkungen gehabt: in Frankfurt lässt es sich beinahe ohne mulmiges Gefühl durch die Kaiserstraße gehen, in Köln wurden die Obdachlosen polizeilich von der Domplatte geprügelt, Ludwigshafen will mit einem neuen Bahnhof schöner werden. Mit der Unterstützung der Städte zerfallen die Bahnhöfe mehr und mehr in zwei große Gruppen, in die gehobenen Marktplätze des neuen Jahrtausends einerseits, und in modernisierte S-Bahn-Gleise, auf denen nur noch in Ausnahmefällen ein Zug hält, andererseits. Und Ziel jedes ordentlichen Bahnhofs ist es, in der ersten Gruppe zu landen, und deswegen wird auch permanent umgebaut und vergrößert, obwohl das Schienennetz immer kleiner wird. Ob die neuen Bahnhöfe den Städten tatsächlich nutzen, und wie, bleibt umstritten, denn auch das Bahnfahren ist von einer alltäglichen Reisemöglichkeit zu einer Sonderveranstaltung mit großer sozialer Schere geworden, und den neuen Shoppingbahnhöfen erwachsen durch noch neuere städtische Einkaufszentren in der Regel schnell Konkurrenz. Bahn soll derjenige fahren, anders lassen sich die regelmäßigen Neuerungen bei Verbindungen und Preisen nicht auslegen, der vor dem wichtigen Meeting zu ungeduldig für die Wartezeiten am Flughafen ist, zu fünft in einem betrunkenen Kegelclub unterwegs, oder der nicht das Geld für ein Auto hat. Für den Einen wird aus den überlasteten Zügen noch die letzte einsparbare Minute herausgeholt, für die Anderen gibt es Abteile mit der Privatsphäre von Gemeinschaftsduschen, die Dritten zockeln in ländlicheren Gebieten sieben Stunden eine Strecke entlang, die mit dem Auto in zweien zu bewältigen ist. Den Bahnfahrer als behaupteten Normalbürger gibt es nicht mehr. Genau so wenig wie den Warenhauskunden.

Ludwig Erhard, nicht gerade ein Feind der Wirtschaft und der Automobilindustrie, vertrat in den 50er Jahren noch die Auffassung, Deutschland eigne sich nicht für den amerikanischen Lebensstil mit PKWs. Alles voll, überall kleine, durch öffentliche Verkehrsmittel verknüpfte Städte mit fußläufigen, gewachsenen Innenstädten. Wozu ein Auto? Gewerbegebiete und Autowahn entstanden in den USA ja nicht zum Vergnügen, sondern waren die missmutige Antwort auf ein großes, leeres Land voll wilder Tiere. Nordamerikanische Städte, die etwas auf sich hielten, versuchten, europäisch anmutende Stadtkerne aus dem Boden zu stampfen.

Der eine große positive Nebeneffekt des Lebens mit Karre und Mall bleibt die weitgehende Vermeidung öffentlichen Raums. Was nach sich zieht, dass der verbleibende öffentliche Raum sowohl dubioser, als auch leichter kontrollierbar wird. Die Bücher von Mike Davis bleiben da nach wie vor, und immer mehr, eine interessante Lektüre.

Öffentlicher Raum light, handverlesener öffentlicher Raum, das ist es, wovon Städteplaner und viele Stadtbewohner und Stadtbesucher auch, träumen. Und das ist vielleicht ein zwiespältiges, aber kein dummes Ziel: Parks, Museen, öffentliche Schwimmbäder, und auch Bahnhöfe (erinnern wir uns an die früher übliche Bahnsteigkarte, die zum Aufenthalt berechtigte) waren gesiebter, überwachter öffentlicher Raum mit einer speziellen Bestimmung. Das Problem ist nur, dass es diese humanistisch nützlichen Varianten von öffentlichem Raum immer schwerer haben, und dass der wirklich öffentliche städtische Raum verschwindet.

Wenn ein Museumsbesuch ein teures Event ist, Schwimmen nur noch mit der Mitgliedskarte im Spaßbad möglich, und die Bänke auf allgemeinen Wunsch abgeschraubt werden, wo sollen wir dann hin, wenn wir nicht gerade auf dem geradesten Weg von einer anonymen Einkaufsmöglichkeit zur nächsten sind? Uns ins Kämmerlein verkriechen und auf die nächsten Blödsinnsmassenveranstaltungen warten, die mittlerweile mehr oder weniger alle Kommunen ein paar Mal im Jahr zelebrieren? Oder uns in den verbliebenen öffentlichen Raum wagen, in dem wir uns ganz unkorrekt, häufig auch unwohl und bedrängt, fühlen? Wo kaufen Menschen eigentlich ihre Entlüftungsschlüssel, wenn Warenhäuser wegbrechen und die guten, alten Nachbarschaftsläden nur noch Handyverschalungen anbieten? Im Baumarkt? In öffentlichen Toiletten?

Ein Minimum an urbaner Lebensqualität, eine Simulation des früher üblichen viertelstündigen Gangs durch die Stadt, ist nur noch dem garantiert, der sich Auto, Zug und Flugzeug gleichzeitig leisten kann, oder wer es sich leisten kann, in einem schicken Viertel in der Großstadt zu leben. In Dutzenden von Kleinstädten ist dieser Gang noch mit Ach, Krach und etwas Phantasie möglich, doch auch sie stehen stärker und stärker unter Beschuss der Gewerbegebiete auf der grünen Wiese.

Gewinner gibt es dabei keine, die Sehnsucht nach dem urbanen Leben bleibt offensichtlich ungebrochen und bringt immer noch jeden Tag neue Themenparks, Malls mit Springbrunnen, und aufgehübschte alte Stadtkerne für Touristen hervor.

Das Netz, dieser einstmals verheißungsvolle öffentliche Raum, zerfällt ebenfalls mehr und mehr in exklusive Läden, Remmidemmi mit viel Geld im Rücken, Stammkneipen, Privatclubs und verlassene Parks mit predigenden Gestalten auf Pappkisten. Noch gibt es Oasen wie diese.

Begegnungen, beiläufige, absichtslose, ungewollte, werden immer weniger möglich. Wir alle verslummen im Privaten, das dadurch, gerade auch im Netz, seine Qualität des Selbstgewählten und Bestimmten, kurz Persönlichen, verliert.

Zur Tröstung bleiben uns die Träume von Fantasyreichen, in denen Oger und Elfen beschwingt die Humpen gegeneinander stoßen. Und sollte uns ein Betrunkener auf der Bank in der Straße bei diesen Träumen stören, dann lassen wir sie abschrauben, die Bank.

Text: Florian Schwebel

Fotos und Bildmontage: Bodo Müller