Koch-Shows im Fernsehen, Gammelfleisch im Kühlfach
Die Dialektik der kulinarischen Katastrophe
Wie geht das zusammen? Einerseits: Da jagt ein Lebensmittelskandal den anderen, die „Systemgastronomie“ zaubert aus den immer gleichen vorgefertigten Zutaten ihre Einheitsgerichte, von den Krankmachern im Fast Food und den Kühlregal-Fertiggerichten warnen die Ärzte seit geraumer Zeit und in einem Film wie Supersize me kann man einem mutigen Regisseur zusehen, wie er sich mit Hamburgern an den Rand des psychischen und physischen Zusammenbruchs „ernährt“. Es ist, sagt der schwäbische Koch-Philosoph Vincent Klink, eine Art „Selbsthass“, der sich in der kulinarischen Katastrophe offenbart. Ein Teil der Gesellschaft begeht kulturellen und körperlichen Selbstmord mit Tüten, Dosen und Plastikbechern, und ein unbarmherziger Markt tut alles, um diesen Vorgang zu beschleunigen.
Anders als man meinen mag, ist das nicht wirklich ein Problem des Geldbeutels: Es ist vor allem eine Frage des (Selbst-)Bewusstseins. Dass man eine schlechte Fertigmahlzeit mit Phantasienamen und Geschmacksverstärkern einer guten Kartoffel mit Kräutern vorzieht, hat kulturpsychologische Gründe. Mit Geschmack hat es jedenfalls nichts zu tun. Das Essen als „Sprache“ ist verwahrlost; Image und Werbung, Konvention und Alltagstrott sind offenbar weit wichtiger geworden als Geschmack, Lust und Interesse am kulinarischen Diskurs. Die Produzenten und die Konsumenten schieben sich dabei gegenseitig die Schuld zu. Die wollen das doch so! Wir kriegen ja nichts anderes! Andererseits: Kochshows auf allen Kanälen, Prominente und Leute wie du und ich, Drei-Sterne-Köche und Freaks, Gruppen und Einzelkämpfer, Familien und Cliquen, Schauspieler und Philosophen – alles kocht um die Wette, solange eine Kamera in der Nähe ist. Es scheint die netteste Art, sich wichtig zu machen und dummes Zeug zu reden. Und ist es nicht ein Akt der Selbstzivilisierung in unseren Medien, wenn man kocht, statt sich zu beschimpfen oder in Dschungelcamps von Spinnen bekrabbeln zu lassen? Vielleicht geht es ja gar nicht mehr so sehr um Traditionen und Geschmäcker als vielmehr um einen verzweifelten Versuch der Selbstzivilisierung. Die Kochshows pflegen in den populärsten Beispielen wie Tim Mälzers Schmeckt nicht, gibt´s nicht einen bewussten „Proll-Appeal“; Bild und Begriff im kulinarischen Diskurs haben sich dem allgemeinen Trend zur Regression unterworfen. Kindisch ist nicht nur die Show und der imaginäre Adressat, kindisch ist das Verhältnis von Subjekt, Objekt und Bearbeitung.
Die meisten Stars und Gäste solcher Shows haben von gutem Essen und seiner Geschichte keine Ahnung. Was sie demonstrieren, das ist nichts anderes als eine biedermeierliche Rückführung dessen, was auch in Schmuddel-Talkshows, Containern und Quizspielen geschieht: Das Herabstufen, Entkomplizieren, Verkindlichen und Verbreiten. Aus den Fernsehshows werden Bücher und Zeitschriften, die Rezeptflut setzt sich im Internet fort, man redet scheint´s in den Mediennetzen über nichts anderes so gern und ausgiebig wie übers Essen. Vielleicht weil Sex schon weiter entwertet ist als Essen.
Es ist ein durchaus populärer Diskurs geworden. Am erfolgreichsten sind jene Inszenierungen, die dem normalen Menschen die Scheu vor Luxus und Sitten nehmen wollen: Gutes Essen soll nicht den Feinschmecker-Zirkeln mit den snobistischen Manieren und der Bereitschaft, ein Vermögen zu investieren, überlassen werden. Und eine Wissenschaft muss man aus dem kulinarischen Diskurs auch nicht machen. Man kann auf eine Demokratisierung von kulinarischem Wissen hoffen, bei aller Reduktion, immerhin. Schön für uns.
Einer anderen kulinarischen Szene aber geht dieser mediale Koch- Populismus ebenso auf den Geist wie die kulinarischen Sünden von Fast Food, Conveniance und Essen aus dem Genlabor. Man kann, sagt sie, den Genuss von Essen und Trinken so wenig durch eine Fernsehshow erlernen wie das trickreiche Adagio in Brahms´ erstem Klavierkonzert oder die Zeit-Ironie in Thomas Manns Zauberberg. Genuss, so sagen sie, gerne Oscar Wilde zitierend, ist auch an der Tafel ohne Arbeit und Erkenntnis nicht zu haben. Und eine Kochshow im Fernsehen ist so etwas wie die geklaute Schubert-Melodie im Musikantenstadel.
Für andere Szenen ist „bewusstes“ Essen zuallererst mit der ökologischen und politischen Schuld verbunden, mit der sich unsere Nahrungsketten aufgeladen haben. Wir fressen ja, und da hört das genüssliche Schmatzen auf, die Welt kaputt und den Hungernden ihre letzten Hoffnungen weg: Der globale Nahrungsmitteltransfer ist eine Art struktureller Kannibalismus. Beim Essen geht es nicht nur um Lust und Ästhetik, sondern auch um Ethik. Schmeckt nicht, gibt´s spätestens, wenn man daran denkt, dass der Fisch auf meinem Teller die Lebensgrundlagen einer Region in Afrika zerstört.
So sieht es also auf den ersten Blick ganz danach aus, als sei die himmelschreiende Ungleichheit der kulinarischen Praxis (und Kommunikation) nichts anderes als ein genaues Spiegelbild der neuen Klassenlage: Eine „Unterschicht“, die noch in ihrer Armut ausgebeutet und krank gemacht wird, verblendet von unerlöstem Alltag und wehrlos gegenüber den Werbeversprechungen; ein zunehmend prekärer Mittelstand, der alle Selbstverständlichkeit verloren hat und sich daher unentwegt beschwätzen lassen muss, indem man neugierig und misstrauisch auch in die Kochtöpfe der anderen schaut, auf der verzweifelten Suche nach verlässlichen Codes, gleichsam ein defensives Unternehmen zur Sicherung und Neubewertung kultureller Standards. Ein Mittelstand eben, der sich seines Abstiegs durchaus bewusst ist, aber darauf immer wieder mit Elementen der Selbstbegrenzung reagiert. Und eine Oberschicht, in deren Genuss jede Rücksicht auf den Rest verloren ist und die am liebsten in geschlossenen und exklusiven Zirkeln bleibt: Sie fressen eigentlich nichts anderes als Geld. Und unter alledem eine Linke, die in ihrem Schwanken zwischen Hedonismus und Askese, Dogma und Erfahrung keine vernünftige Theorie zum kulinarischen Diskurs zustande bringt.
Ganz so einfach aber ist die Sache doch nicht. Eine italienische Familie gibt von ihrem Geld nicht nur mehr für das Essen aus als eine deutsche mit etwa gleichem Einkommen, sie tut es auch mit größerer Lust. Der merkwürdige kulinarische Geiz treibt hierzulande auch Menschen in die Discountläden und zu unwertiger oder denaturierter Nahrung, die sich ohne weiteres das Bessere leisten können. Unermüdlich weisen Gastrosophen wie Vincent Klink darauf hin, dass Geschmack weniger mit Geld und mehr mit Selbstachtung zu tun hat.
Die Gesellschaft hat ihre kulinarischen Kulturen verloren, ohne neue entwickeln zu können, deshalb zerfällt sie in kulinarische „Szenen“ (die regionalen, die kreolischen, die politischen usw.) und in kulinarische Gesten (es hilft nur Dosenbier, wo kulinarische Wanderprediger und narzisstische Besseresser herrschen). Wir können gar nicht anders, als den Rest den Medien zu überlassen. Wenn die da oben in Wahrheit Geld fressen, dann fressen wir in Wahrheit Bilder. Kleine Glücksbilder, kleine Machtbilder, kleine Geborgenheitsbilder. Auf den Geschmack, wie gesagt, kommt es nicht an, und auch nicht auf die realen Kosten. Die Kochshow des Fernsehens ist die fröhlich-dumme Schnittstelle von Klassenkampf und kulinarischer Katastrophe.
Kochshows sind die idealen Programmfüller: Sie sind preiswert in der Herstellung, es gibt niemanden, der sich ernsthaft über sie aufregt, sie erzeugen das im Medium geschätzte „Daheim“-Gefühl, sie lassen sich gar „pädagogisch“ aufladen. Schleichwerbungen und andere kleinere mediale Korruptionsanfälle versenden sich schnell, das Format passt sich jeder Programmstruktur an, es eignet sich perfekt fürs Merchandising, erzeugt seine eigenen Stars und hält umgekehrt die Stars der Gastronomie ökonomisch am Leben (aus einem Koch ohne Koch-Show wird nichts mehr, egal wie gut er sein Handwerk oder gar seine Kunst beherrscht) und kaum etwas findet sich so leicht, wie ein kleiner neuer Dreh für das Altbekannte. Und wer käme schon auf die Idee, ausgerechnet Koch-Shows auf eine kulturelle und soziologische Tiefenschicht hin zu befragen?
Wenn man´s trotzdem tut, kommt einem abwechselnd das Lachen und das Grausen. Denn wie jeder andere so ist auch der kulinarische Diskurs nicht dagegen gefeit, in unseren Leitmedien schwer zu erkranken. Die Kochshow scheint zunächst vor allem ein Signal: Mach es nach! Schmeckt nicht gibt´s nicht! Kochen für Freunde! Als wäre da ein endloser Prozess der gastronomischen Aufklärung und Humanisierung am Werk. Sogar das Gesunde kommt immer wieder ins Spiel. Aber sie wird keine Praxis, im Gegenteil: Wenn sich früher „Feinschmecker“-Magazine zum Essen ungefähr so verhalten haben wie der Playboy zur Sexualität, so verhalten sich die neuen Proll- und Alltags-Kochshows zum Essen wie die yellow press. Es geht nicht einmal mehr um das Begehren, es geht nur noch um Klatsch, Konkurrenz und Kitsch.
Noch genauer besehen sind Kochshows viel eher Symptome. So wie jede Krise im Gesundheitswesen mit neuen Arzt- und Krankenhausserien beantwortet wird, so wie auf jedes Zupflastern von Alpentälern mit Subventionsruinen ein neuer „Musikantenstadl“ folgt, so wie auf das Zusammenbrechen der Familienstruktur mit Daily Soaps und Rosamunde Pilcher reagiert wird, so wie die Abschaffung von politischem Bewusstsein als Sabine Christiansen daherredet, so begleiten Kochshows unseren Weg in die kulinarische Katastrophe.
Indes, vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte des Mediums ist auch das Unzeitgemäße und Widersprüchliche nicht nur in den Kritikerstuben auffällig. Das Unbehagen will auch im Mainstream nicht ganz schwinden. Wie zum Teufel kommt das, dass sich ein Nahrungsmittelskandal an die andere kulinarische Katastrophe reiht, Genmais, Geflügelpest, Gammelfleisch, BSE, Sägemehl-Joghurt und gleich das ganze wieder von vorn: Die verlässliche Langeweile der Kochshow und die Aufreger des Lebensmittelskandals gehören zusammen. Es ist jedem Insassen der Hartz IV-Gesellschaft klar, dass in der Welt von Lidl, Penny und Plus das Nahrungsmittel nicht unbelastet sein kann. Es ist aufgeladen mit Schuld, es erzählt in all seiner Vielfalt von der Ausbeutung der Menschen, die daran beteiligt sind, von den primären Erzeugern, die sich oft genug nicht einmal diese Nahrung von ihrem Lohn leisten können bis zur Frau an der Kasse, die sich und ihre Familie in die neue Armut schuftet, über die Natur, die hier und vor allem anderswo durch Monokulturen und unsinnige Transportwege belastet und zerstört wird, bis hin zu dem, was man mit solcher Nahrung seinen Liebsten und schließlich dem eigenen Körper antut.
Die Kochshow erzählt ja nicht vom „anderen Essen“. Allenfalls am Rande ist das eine Mal von „Frische“ die Rede, das andere Mal vielleicht sogar vom „bewussten Essen“. In der Hauptsache aber geht es darum, über das Schlimmste an dieser Art von Nahrung hinweg zu trösten: über die schreckliche Einsamkeit des Fressers. In den Zeiten, als Kochen noch eine Kunst sein sollte, oder ein gutes Stück Lebensfreude, da kochten vor unseren Fernsehaugen Helden der Gastrosophie, solitär und selbstbewusst, Herr Wilmenrod, Herr Klever und wie sie alle hießen. In den Kochshows unserer Tage geht es stattdessen hauptsächlich um eine soziale Praxis, das Kochen für Freunde, das perfekte Dinner, das Kochduell, die Gemeinschaft im Innenraum. Kaum noch ist der Mittelpunkt einer Kochshow ein „Tempel“ des Kulinarischen, im Gegenteil, Alfred Biolek etwa lässt sich im Studio detailgetreu die eigene Küche von zuhause nachbauen. Der Diskurs des Essens ist aus der mehr oder weniger kultivierten Öffentlichkeit hereingeholt in einen familiären Innenraum, in eine merkwürdig steife „Nachbarlichkeit“. Weshalb in Das perfekte Dinner jedes Gastmahl mit einer Wohnungsbesichtigung verbunden ist, die in ihrer Mischung aus Voyeurismus und Missgunst ungefähr hundertmal ehrlicher ist als die Zubereitung des Mahls selber.
Das „Verprollen“ der Kochshows, in denen unentwegt davon die Rede ist, dass man es hier nicht so genau nehmen soll, da keinen unnötigen Aufwand betreiben und sich schon gar nicht mit Etiketten und Ritualen aufhalten soll, hat einen großen Versöhnungsaspekt. Bei Bioleks alfredissimo steht ja nicht nur die Speiseölflasche prominent auf dem Tisch, die ich in jedem Supermarkt bekomme, immer wieder wird betont, wie ich das Frische mit dem Vorgefertigten verknüpfen kann. Dieser kulinarische Diskurs trifft sich irgendwo in der Mitte zwischen dem Beutezug durch die Lidls, Aldis, Reals und Plus´ und den kleinen Glücksbildern vom Einkaufen auf Märkten und bei echten Lebensmittelhändlern („beim Türken“ zum Beispiel).
Der ökonomische Druck, die kulturelle Ignoranz und die mediale Beeinflussung bilden also eine Einheit. Eine Art neues kulinarisches Dreieck, welches das einst von Claude Lévy-Strauss aufgestellte im Negativ abbildet: Aus der Beziehung des Rohen, des Gekochten und des Verdorbenen ist das Dreieck des Künstlichen, des Frischen und des Medialen geworden. Die Kochshow begleitet uns ins Zeitalter des Verdorbenen. Und zwar indem sie nicht etwa das kulinarische Bewusstsein erweitert, sondern indem sie vielmehr Kochen und Essen intimisiert.
Einst hat uns Clemens Wilmenrod mit dem Toast Hawaii alles zugleich vermitteln können: die Öffnung des deutschen kulinarischen Codes zur Welt, die Entwicklung von Fast und Conveniance Food und die technologische Aufrüstung der Küche. Im Nachhinein ist es leicht, diese Beziehung zwischen Medium und Kulturgeschichte herzustellen: Die Kochshow der sechziger Jahre begleitete die „Fresswelle“ nicht nur, sie versuchte sie auch halbwegs kontrollierbar zu machen. Dementsprechend ist die inflationäre Ausbreitung der Kochshows im deutschen Fernsehen, seit dem Erfolg von Tim Mälzer, der bekanntlich ja vor allem ein Konzept seines englischen Kollegen Jamie Oliver für deutsche Verhältnisse herunterdimmte, nichts anderes als ein Versuch, die entsetzliche Kluft zwischen Begierde und Furcht zu füllen.
Was ich nicht darf, nämlich einerseits im Discounter-Fraß zu verwahrlosen und andererseits „über meine Verhältnisse leben“ (meine ökonomischen wie meine politischen), das wird in der Kochshow zusammen gebracht. Dabei geht die Reduzierung im kulinarischen Code („einfach aber genial“ heißt das im Mälzer-Deutsch) mit einer Komplizierung im sozialen Code einher: Im Grunde geht es allerhöchstens in zweiter Linie darum, was gekocht wird, in erster Linie geht es darum, wer mit wem und für wen kocht. Was offensichtlich am Allerwenigsten vorkommt, sind gemeinsam kochende Paare. Das kulinarische Kommunikationsangebot trifft nicht den nächsten, sondern höchstens den übernächsten, und oft genug hat das einen Beigeschmack: Das eine Mal bewerfen sich, zum Beispiel, Star-Koch und Schauspieler zugleich mit Buddie-Sprüchen (Intimisierung!) und gegenseitigen Komplimenten (Valutierung!), das andere Mal kocht man in der Tat in Duellen und Konkurrenzkämpfen (und spannender als das Gericht ist dann bei Das perfekte Dinner ob es zu der einen oder anderen Entgleisung kommt).
Der Ideologie „Kochen verbindet uns“ steht die Praxis gegenüber: „Kochen ist ein Distinktionskampf“. Dabei verändert sich die Kochshow von einem konzentrierten Ritual, sozusagen der Medien-Parodie auf kulinarisches Lernen, und verwandelt sich immer mehr zu einer Art Küchen-Soap Opera, in der das Essen vor allem symbolische Bedeutungen in Sex- und Machtspielen hat.
Der Star der Koch-Show ist daher immer weniger ein ausgewiesener kulinarischer Fachmann (und eine Fachfrau noch weniger), er ist vielmehr Darsteller in einem Drama der Neujustierung der Beziehung zwischen kulinarischen und sozialen Codes. Die Frage also, ob jemand, der zum Kochen einen Tim Mälzer braucht, kulinarisch noch zu retten ist, ist falsch gestellt. Denn es geht um etwas ganz anderes. Zum einen um eine Form der Absolution der Sünden der Küche wie der der Sprache: Wenn etwas einfach, aber Geniales wieder einmal „schweinelecker“ ist, dann heißt das nicht nur, dass wir Insassen der arbeitslosen Mediengesellschaft uns ohnehin tunlichst nicht mehr über das Sprachniveau von 10-Jährigen entwickeln sollen, das heißt auch: Dieser Tim Mälzer (als Beispiel) ist eigentlich ein kochendes Kind, eine Art Heintje am Herd. So einer weiß von nichts, der will nur spielen, der hat alles ja gerade erst kennen gelernt und ausprobiert, der ist nicht Teil der medizinischen und politischen Vergiftung des kulinarischen Diskurses.
Das kulinarische Dreieck muss seit geraumer Zeit erweitert werden: An die Seite des Rohen, des Gekochten und des Verdorbenen (nicht nur im Sinne das Abzulehnenden, sondern auch in dem des kontrolliert Veränderten: Joghurt, Käse, Wurst oder Marmelade sind Formen des „guten“ Verdorbenen) tritt nun das Künstliche. Nahrung, beziehungsweise Bestandteile davon, die nicht mehr aus der Natur, sondern aus dem Labor kommen. Nicht immer galt diese „unnatürliche“ Nahrung als böse; es wäre eine schöne Science Fiction, satt werden zu können, ohne andere Lebewesen dafür töten oder denaturieren zu müssen. „Verdorben“ im neuen kulinarischen Diskurs sind vielmehr jene Nahrungsmittel, die mit den Bildern der sozialen Orte nicht kompatibel sind. Noch schneller als den Geschmack an Musik, Literatur, Malerei, Wissenschaft, Philosophie und so weiter scheint der Geschmack der Nahrung verloren zu gehen (oder, wie man es nimmt, zerstört werden zu können). Was wiederum in unserer Gesellschaft mit einer traditionellen Herabsetzung zu tun haben mag.
Die materialistische Vorstellung beklagt ja zunächst eine groteske kulinarische Reduktion; Geschmack, behauptet sie, sei der primitivste aller Sinne, und diese Vorstellung zieht sich ganz besonders durch die deutsche Geistesgeschichte. Man könne nichts Anderes schmecken als die vier Grundarten: salzig, süß, bitter und sauer. Vorsichtige Erweiterungen wie „frisch“ oder „pikant“ haben an dieser Reduktion nichts geändert. Dazu kommen Empfindungen wie heiß und kalt, glatt und rau, flüssig und fest, und fertig sei ein kulinarischer Code, der erst in Verbindung mit anderen Sinnen, dem Geruch und vor allem dem Blick (Das Auge isst mit!) eine halbwegs kultivierte „Sprache“ ergebe.
Schlimmer noch: Der einzige Geschmack, der offensichtlich angeboren scheint, ist der „süße“: Alle Kinder auf der Welt lieben das Süße (materielle Erklärung: Im Gegensatz zu den anderen Geschmacksrichtungen ist der süße Geschmack keine kulinarische Gefahr: In der Natur kommt nichts vor, was zugleich süß und giftig ist). Alle anderen Entwicklungen des Geschmacks müssen gelernt werden, in der üblichen Weise der Distinktion: Im Bild, im Namen und schließlich in der Erzählung. Nicht nur das Essbare, sondern auch die Unterscheidungen zwischen dem Guten und dem Nicht-so-guten müssen erzählt und zugeordnet werden: der Region, der Heimat, der Familie, der Nation, der Klasse, dem Geschlecht, der Generation, sogar der „Rasse“. Weil jede Erzählung ein Subjekt braucht, entwickelte sich die kulinarische Sprache als Erzählung im weiblichen Teil der ansonsten patriarchalen Kultur.
Der kulinarische Code wird in unserer Kultur auf einer mütterlichen Linie weitergegeben. Was „gut schmeckt“, aber auch was eklig ist, das hat mit der mütterlichen und großmütterlichen Wärme zu tun. Ein weiterer Anlass für unsere großen Denker, das Kulinarische gering zu achten, ja, bis zu einem gewissen Grad sogar zu verachten: Es ist in seiner vorgeblichen Reduktion kindlich, ganz davon abgesehen, dass man essen muss, wie Kinder eben etwas müssen, und es ist in seiner Tradition weiblich. Im Entscheidenden Moment des bürgerlichen Entwicklungsstandes wird es daher auch in gewisser Weise unheimlich wie alles weibliche. Folglich reagiert das gewöhnliche Patriarchat mit seinen klassischen drei Mitteln: Erstens: mit kultureller Abwertung. Zweitens: mit strenger Reglementierung und Ritualisierung. Schon die Versprachlichung, das Niederlegen in Büchern und Rezepten unterbricht die weiblichen Traditionslinien, die immer auch etwas Geheimes haben (Hexen sind ja vielleicht nichts anderes als Frauen, die zu viel vom Essen verstehen). Und Drittens: Durch eine Form der Enteignung. Der „Meisterkoch“ als Gegenbild zum weiblichen Diskurs des Kulinarischen entstand im Luxussegment. Dort, wo die Nahrungsbereitung zur „Kunst“ wird, ist sie wieder Männersache.
Mit alledem sind wir wieder bei unseren Kochshows angelangt. Auch hier scheint der Diskurs vorwiegend in Männerhand. Meisterköchinnen sind entschieden in der Minderzahl, und zu den neuen Kochclowns oder, netter gesagt, den kulinarischen Performern haben sie, so scheint es, noch weniger Zugang. Die Vermännlichung des kulinarischen Codes mag ja auf den ersten Blick auch einen Aspekt der Emanzipation haben. In den neueren Koch-Shows kommt der kochende Mann nicht mehr allein in seinen zwei ursprünglichen Formen, nämlich als „Meisterkoch“ oder als Hobby-Gastrosoph vor, sondern auch als Mann am alltäglichen Herd. Ja, vielleicht ist es durchaus utopisch wenn in einem Programm auf eine Kochshow mit dem Alltagsmann am Herd eine Sex-Phantasie à la Sex and the City folgt. Aber wie gesagt: Die kochende Normalfrau und der kochende Normalmann begegnen sich in deutschen Kochshows nicht.
In den amerikanischen Vorbildern der deutschen Kochshows in den fünfziger Jahren war der kulinarische Diskurs zum größeren Teil noch in weiblicher Hand. Gute amerikanische Küche wurde von Großmüttern oder „Tanten“ präsentiert, wohingegen der eher exotische Teil von „fremden“ Männern beigesteuert wurde, von Südeuropäern vorwiegend (der chinesische Koch, bei Bonanza und anderswo, aber ist eher ein Sattmacherkoch). Höhe und Endpunkt ist der schwedische Koch in der Muppet Show, der nicht einmal selber zu wissen scheint, was der Unterschied zwischen schwedisch und dänisch ist, vom Genießbaren und Ungenießbaren ganz zu schweigen.
Auch in den frühen bundesdeutschen Kochshows gab es den Hausfrauen-Anteil, die ersten wirklichen Stars indes waren Männer. Vielleicht war dies auch dem inneren Motor dieses Mediums geschuldet. Denn während man Frauen mit kulinarischen Traditionen verbindet, die Familienrezepte und regionale Küchengeheimnisse weitergeben – und dabei möglicherweise auch schon einen Geheimnisverrat begehen, der nie wirklich verziehen wird – wird der Meisterkoch und mehr noch der engagierte Hobby-Gastrosoph auch und vor allem mit Innovation verbunden. Mit der technologischen Innovation in der Küche sowieso, aber auch mit der des kulinarischen Codes.
Hier wird aus dem weiblichen Geheimwissen ein männliches Technologie-System. Daher musste es ein „stattlicher“ Mann mit einem Namen von konkreter Poesie sein, ein gewisser Clemens Wilmenrod (er hieß in Wahrheit Carl Clemens Hahn und stammte aus dem Dorf Wilmenrod im Westerwald), der sein eigenes Konterfei auf der Kochschürze trug, welcher die deutsche Familie mit dem Hawaii-Toast bekannt machte. Er sprach die Zuschauer mit „Ihr lieben, goldigen Menschen“ an und kochte (insgesamt übrigens 200 Mal) unter dem Motto „Was mir schmeckt, schmeckt auch anderen“. Das kommt uns bekannt vor. Seine Sendung Bitte in zehn Minuten zu Tisch verband die altertümliche Ausdrucksweise mit dem neuen Tempo. Schon immer waren Kochshows vor allem auch Sprach-Shows.
Die „Fresswelle“, die sich in den sechziger Jahren in Deutschland in besonderem Maße, aber auch im anderen Europa entwickelte, war eine Reaktion auf Entbehrungen und Verlust in den Kriegs- und Nachkriegsjahren. Man kann sie aber auch noch einmal ganz anders betrachten, nämlich als einigermaßen heftige Veränderung des kulinarischen Diskurses. Die Wiederauferstehung der bürgerlichen deutschen Küche glich einer Revolte: An die Stelle des Küchenpersonals trat die technologische Aufrüstung. Und in Verbindung damit kam etwas in den bürgerlichen Fresscode, was vordem als proletarisch verachtet worden war: industriell hergestellte, haltbare Sattmacher mit Einheitsgeschmack: die Erbswurst, die Tütensuppe, das Dosengericht.
Die technologische, kulturelle, geschmackliche und im Inneren eben auch sexuelle Veränderung des kulinarischen Diskurses setzte an die Stelle eines klar gegliederten Systems von Klassen-Küche, proletarischer Küche, gutbürgerlicher Küche, Luxusküche eine individuell gegliederte, ansonsten allgemeingültige Kleinbürgerküche. Sie benötigte eine mediale Begleitung, die die Modernisierung nicht nur beschreiben und befördern, sondern zugleich auch auf eine bestimmte Weise verschleiern oder wenigstens erzählerisch aufbereiten musste.
Wie Kochbücher, Rezepte in Frauenzeitschriften, Kücheneinrichtungen und Werbekampagnen haben also auch die Kochshows eine deutlich formulierte Aufgabe, die ein doppeltes Gesicht benötigt: Es geht um eine kulinarische Praxis, einerseits, es geht andererseits aber auch um eine kulinarische Erzählung – also um eine Fiktion. In den Kochshows der fünfziger und sechziger Jahre, die zunächst männlich dominiert waren, weil es ja um den Überfluss und nicht um den Alltag zu gehen schien, um Technologisierung und Rationalisierung, wurde in beide Richtungen gleichzeitig erzählt: In die Richtung der Modernisierung, es ging vor allem darum, die „alten“, „natürlichen“ Zutaten mit den neuen konservierten und industrialisierten Zutaten zu versöhnen. Und es ging darum, die entschiedene Trennung zwischen dem weiblichen Bereich (der Küche) und dem männlichen Bereich (der Erwerbsarbeit) vorsichtig aufzuheben. Der kochende Mann durfte irgendwie sexy sein (was der klassische Meisterkoch nicht sein durfte), und dieser zweite, der sexuelle Diskurs begleitete in den nächsten Jahrzehnten die Programmgeschichte der Kochshow im Fernsehen.
In den achtziger Jahren kehrte sich das Verhältnis allmählich um. An die Stelle der kulinarischen Lernbegier trat zunehmend eine Art von kulinarischem Voyeurismus. So wie ins Schlafzimmer wollte man nun den Promis auch in die Küchen sehen. Das Wesen dieses Medientraums war die kulinarische Reise. Nicht nur, weil da gleich zwei Glücksmomente in einem geboten werden, sondern vor allem, weil die Erweiterung des kulinarischen Codes (genauer gesagt: die Erweiterung der „Produktpalette“ im deutschen Supermarkt) auf diese Weise als „Erfahrung“ verkauft wurde. Die kulinarische Reise (mittlerweile aus dem Mittelschicht-Code verdrängt) war der letzte große „Beutezug“. Kulinarische Reisen füllten, wenn auch etwas unauffälliger, in dieser Zeit das deutsche Fernsehprogramm so sehr wie es jetzt die Kochshows tun. Und da erkennen wir etwas nachgerade Grauenhaftes: Die neuen Kochshows handeln nicht nur von der Reduktion des kulinarischen Codes und von der Versöhnung des (mehr oder weniger) Verdorbenen, des Künstlichen und des Frischen mit dem Mahl-Ritual; die neuen Kochshows handeln vor allem vom Zuhausebleiben. Vom Nicht-mehr-ausgehen, einerseits, vom Nicht-mehr-neugierig-sein andererseits. Wenn man ein paar Folgen von Das perfekte Dinner ansieht, bemerkt man diesen eklatanten Mangel an kulinarischer Neugier: Gewinner wird nicht etwa, wer seine Gäste am meisten überraschen kann, Gewinner wird, wer am besten „die Erwartungen erfüllt“. In dieser Serie, noch mehr als bei Tim Mälzer, kann man der Konventionalisierungsmaschine bei der Arbeit zusehen. Schmeckt nicht, gibt´s nicht, das bedeutet am Ende das semantische Schließen eines „mittelständischen“ Fress-Codes, der nicht mehr erbeutet und nicht mehr integriert, sondern der nur noch die eigene Vereinfachung und Absicherung zum Ziel hat.
Die Metaphysik der aktuellen Kochshow also liegt offensichtlich darin, einen kulinarischen Diskurs, den man weder retten kann gegen seine offenkundige Verwahrlosung noch in einem sinnvollen Prozess modernisieren, als „prekären“ festzuschreiben. Selbst für eine defensive Inszenierung der „guten“ Küche gegen Junk Food und Industrie ist das Format längst schon viel zu korrupt: Es gibt keine Kochshow, die nicht früher oder später als Vehikel für Massenware wirken muss. Niemand glaubt ernsthaft, dass sie etwas anderes als ihre Auftraggeber, die Lebensmittelkonzerne, wollen kann.
So konnte auch die Serialisierung und Fiktionalisierung nicht ausbleiben. Zwei Männer am Herd, 1999 für das ZDF produziert, schwärmt im Pressetext: „Kochen, das ist Verführung, ist vielleicht einer der letzten Berufe, die Träume wahr machen“. Der Parade-Bayer Wolfgang Fierek als Starkoch Walter und der hanseatische Bürgersohn Florian Fitz, der, haha, bis dahin sich nur von „Dosensuppen, Spaghetti und Spiegeleiern“ ernährte, die ein „Häuchelchen“ Orangenschale zur Estragonsoße geben. Eine schwule Liebesgeschichte im kulinarischen Code wird beim ZDF natürlich nicht daraus, sondern vielmehr eine gastronomische Erfolgsgeschichte. Was übrigens eine deutsche Erzähltradition aufgreift, in der Krisen und Erneuerungen gern in den Geschichten von Gasthäusern und Hotels gespiegelt werden. Zur gleichen Zeit entwickelte sich die Kochshow, wie wir das gewöhnt sind, zu einem selbstreflexiven System in dem nicht nur die immer gleichen Namen, sondern, bei genauerem Hinsehen sogar die immer gleichen kulinarischen Ideen kreisen. Jamie Oliver und Tim Mälzer sind zu Gast bei Johannes B. Kerner, aber auch Politiker zeigen sich natürlich gern in Kochshows, besser und ungefährlicherer kann man sich medial nicht „vermenschlichen“.
Der Erfolg ist umwerfend. Schmeckt nicht, gibt´s nicht (Vox) hat werktäglich 1,56 Millionen Zuschauer, Bioleks alfreddissimo (ARD) bringt es immer noch auf 1,4 Millionen Zuschauer. Andere Kochshow- Stars, Alexander Herrmann (BR) mit 860.000, Johann Lafer (ZDF) mit 520.000 und der originale Jamie Oliver in einer Übernahme von RTL II mit 370.000 teilen sich den Rest des, sagt man so: „Kuchens“.
Besonders wichtig ist den Sendern dabei, dass die Kochshow vor allem in der begehrten Zuschauergruppe der 14- bis 49-Jährigen gut ankommt. Das führt im übrigen auf eine weitere Fährte: Die Reduzierung und „Verprollung“ der deutschen Kochshow ist Symptom nicht nur für eine Konfliktlinie der Klassen und Geschlechter, sondern auch der Generationen. Diese Kochshows machen das Kochen nicht nur single-kompatibel sondern auch „jung“. Wir haben es geahnt: Tim Mälzer ist nichts anderes als Ödipus mit Bratpfanne. Er heiratet die deutschen Muttis und verbruzzelt die Väter der Wilmenrod-Generation.
Nein, im Ernst. In der Kochshow des deutschen Fernsehens wird das kulinarische Subjekt neu erfunden. Nach einer Generation, für die der eigene Körper eine schwierige Aufstiegs- und Karrieremaschine war, kann der Mittelstand ihn in der Kochshow wieder als träges Lusttier entdecken. Daheimbleiben, sich füttern, rund werden. Die todgeweihte Kleinbürgerklasse im Jahre zwei der Großen Koalition zieht sich zum großen Fressen in die Küche, nein in den Koch-show-room zurück.
Die Kochshow ist eine Anleitung zur sozialen Entschleunigung des Körpers. „Wie man sich füttert, so wiegt man“, verkündet froh der korpulente Showkoch Michael Thürnau, der, bekannt aus Funk und Fernsehen, gerne auch ihr Betriebsfest oder ihre Hochzeitsfeier mit einer Kochshow bereichert. Bei Rainers Freunde behandelt Rainer Sass Themen für die Motivküche und reist mit einem „knallroten Kochmobil“ durch die Lande. Es ist passiert: Die Kochshow hat das Fernsehen verlassen, sie ist immer und überall. Schmeckt nicht, gibt´s nicht. Das ist eine Drohung.
Autor: Georg Seesslen
- MISCHPOKE II - 4. März 2024
- Bruno Jasieński: Die Nase - 27. Juli 2021
- Manifest für ein Kino nach Corona | Brauchen wir andere Filme? - 27. Juli 2021
Schreibe einen Kommentar