Jahrelange prosperierte die Kunstszene von Istanbul, doch jetzt fürchten Künstler und Galeristen die Macht der regierenden Islamisten.
Zerbeulter Fahrstuhl, eine abgetretene Marmortreppe, unter den Briefkästen quellen die Müllsäcke über – der heruntergekommene Prachtbau am Rande von Istanbuls zentralem Taksim-Platz, sieht eigentlich nicht so aus, als ob man von hier auszöge, ein Weltreich zu erobern. Doch auf der Website der Galerie, die im ersten Stock residiert, steht es schwarz auf weiß. Sie zeigt Kunst aus Staaten, die einst „auf den imperialen Platz, den wir heute Istanbul nennen“, ausgerichtet waren. Residieren in dieser Grotte die ästhetischen Sekundanten von Recep Tayyip Erdogans neo-ottomanischen Großmachtfantasien? Danach befragt, welches Weltreich er mit seiner Galerie „The Empire Project“ anstrebt, schmunzelt Kerimcan Güleryüz. „Gar keins“, sagt der schmale Mann mit Halbglatze und silberner Stecknadel im Ohr lachend. Er steht im fensterlosen Keller des Istanbuler Messezentrums Lütfi Kirdar und deutet auf ein kleines Bild an der Kojenwand. „Il Presidente“, die jüngste Tintenzeichnung des türkischen Künstlers Burhan Kum zeigt einen schnurrbartbewehrten Potentaten mit dunklem Fez, verquollenem Gesicht und einem Schnorchel im Mund. Ein Blinder, wer dabei nicht an einen real existierenden Präsidenten in Ankara denkt. Ein Sammlerehepaar beäugt das 3.500 Euro billige Werk fasziniert. Der agile Galerist ist der Sohn von Mehmet Güleryüz. Die türkische Malerlegende karikierte schon 1968 mit der Skulptur eines zwei Meter großen Holzaffen in einem Kastengitter das Einengende der türkischen Gesellschaft. Die Güleryüz‘ betreiben kein klassisches empire-building, sie unterminieren Macht mit Ironie. „Wir haben hier ein Identitätsproblem“, erklärt der 52jährige. „Statt immer Türkiye zu schreien, sollten wir uns fragen, woher wir eigentlich kommen. Deshalb zeige ich Künstler mit mazedonischen, griechischen oder irakischen Wurzeln. Güleryüz‘ Vorfahren wanderten aus Russland und Georgien ein. „Ich bin selbst ein Produkt des ottomanischen Reichs“. Sein multikulturelles Gegen-Imperium versöhnte damit, dass die Kunstmesse „Contemporary Istanbul“ auf der er es vergangene Woche präsentierte, sich mitunter wie ein Wiedergänger der AKP-Regierung gebärdet. Tourismusunternehmer Ali Güreli, der die „CI“ vor acht Jahren gründete, ist vermutlich kein Anhänger des frisch gekürten Staatspräsidenten der Türkei. Aber wenn der 61jährige CI-„Chairmann“ mit bunten Powerpoint-Folien und einem Schwall Marketing-Floskeln skizziert, wie er sein Kind in ein paar Jahren zu einer der zehn führenden Kunstmessen der Welt ausbauen will, klingt das wie Erdogans Lieblingsprojekt. Mit aller Macht will der Staatschef die Türkei zum 100. Jubiläum der Republikgründung 2023 in die Liga der zehn führenden Wirtschaftsnationen hieven.
Wie die Großen der Welt
Die Parallelen zwischen Messe und Land frappieren. Beide begannen als Schmuddelkinder an der Peripherie. Beide wollten endlich aussehen wie die Großen der Welt. Die AKP erfand die „Neue Türkei“ mit Wolkenkratzern à la Dubai. Die Messe legte sich ein cooles Design à la Art Basel mit VIP-Lounge und schicken Sonderschauen zu. Trotzdem ist sie ein ziemlich bunter Jahrmarkt mit stabilem Qualitätstief geblieben. Das gilt für den müde gewordenen Expressionismus, mit dem der Maler Bedri Baykam jedes Jahr am Stand seines Piramid-Kunstzentrums seinen Ruf als Avantgardist der frühen Stunde zu zementieren versucht. Es galt aber auch für Marc Quinns Kate-Moss-Skulptur „Sirene“ aus solid gold, mit der die Krampf-Gallery in diesem Jahr auf den Bling-Bling-Geschmack der neuen Reichen schielte. Kostenpunkt: 175.000 Dollar. Dass die Galerie der Tochter des Architekten I. M. Pei vor zwei Jahren von New York an den Bosporus übersiedelte, ist kein Zufall. Der britische Ökonom Thomas Piketty hat in seinem jüngsten Bestseller „Das Kapital“ in der Türkei mehr Millionäre als in Japan ausgemacht. Luxuriöser Talmi hin, pastoser Tinnef her – stabile 70.000 Besucher für ein B-Event der Kunstwelt zeigen zumindest, dass in der Türkei ästhetische Bedürfnisse gewachsen sind, die die islamische Zwangsjacke, die die AKP-Regierung dem Lande täglich enger schnürt, nur schwer wird unterdrücken können. Die liberale, unverschleierte Bourgeoisie mit Wespentaille und Maßanzug nutzt die Eröffnungsvernissage zum demonstrativen Auftritt. Für die Masse funktioniert der schrille Abend als psychologischer Blitzableiter. Wie on jedem Jahr reichte die Schlange der Schaulustigen bis hinauf zum Stadtteil Teşvikiye.
„Die Menschen brauchen auch mal eine Ablenkung von der Spannung, die seit den Präsidentschaftswahlen und dem Krieg in Syrien auf dem Land liegt“, erklärt Kuratorin Beral Madra den irrwitzigen Magneteffekt des Abends. Die 72jährige Doyenne der türkischen Kunstszene kuratierte 1987 die erste Istanbul-Biennale. Sie sitzt in ihrer Kuad-Galerie, einen Steinwurf vom Messezentrum, und schaut streng durch ihre dicke Brille: „Aber, Sie werden sehen, in ein paar Jahren wird die ganze schnelle Malerei auf den Messen verschwunden sein“. Spektakuläre Events wie die Contemporary Istanbul oder die neue Design-Biennale können freilich nicht überstrahlen, dass sich der Wind am Bosporus dreht. Cool Istanbul war gestern, heute steht die Angst im Raum. „Seit Gezi sind die Anträge für unsere Stipendien rapide gesunken“, beklagt Naz Cuguoğlu, die in Istanbul das kleine Residency-Programm „maumau“ betreibt. „Viele Sammler überlegen sich, ob sie hier überhaupt noch in Kunst investieren sollen“, beschreibt leise Esra Sangedik Öktem, Direktorin der noblen Rampa-Galerie, das bohrende Gefühl hinter dem fröhlichen Messetrubel: Unsicherheit, Depression. Den Satz: „Dieses Land kann man eigentlich nur noch verlassen“ hört man am Bosporus in diesen Tagen mehr als einmal.
Der jähzornige Erziehungsdiktator
Kein Wunder: Das Regime wird repressiver. Und viele Künstler sehen nicht nur das abstrakte Prinzip Kunstfreiheit bedroht. Dass Präsident Erdogan beim Istanbuler Sonntagsspaziergang jüngst höchstpersönlich dafür sorgte, dass die Polizei an einem Cafègast das Rauchverbot ahndete, ist für Galerist Güleryüz „ein Zeichen für die generelle Intoleranz, die da heraufdämmert“. Die Nachricht, dass der jähzornige Erziehungsdiktator sich jetzt einen Beraterstab für Kultur zulegen will, klingt da eher wie eine Drohung, denn als Versprechen. Bekommt die AKP-Regierung ihre Polizeireform durch das Parlament, brechen auch schlechte Zeiten für kritische Künstler an. Die Ordnungshüter dürfen dann „verdächtige Personen“ nach Gutdünken hinter Schloss und Riegel setzen. Die heftig diskutierte Frage, welche Kunstmesse am Bosporus wohl das Rennen macht, wird bei der Aussicht auf einen Polizeistaat fast zweitrangig. Seit zwei Jahren wehrt sich die CI-Messe gegen die „Artinternational“. Mit dem hochklassigen, aber sterilen Luxusprojekt will der Londoner Messeunternehmer Sandy Angus rechtzeitig seine Claims im allseits herbeiimaginierten world-art-hub Istanbul abstecken. Vom Marsch in die Diktatur wie viele Künstler und Kulturschaffende will Ali Akay aber noch nicht sprechen. „Noch haben wir freie Wahlen und mehrere Parteien“ wendet der poststrukturalistische Vorzeige-Intellektuelle der Türkei ein. Akay lehrt Soziologie an der Mimar-Sinan-Kunstuniversität in Istanbul. Für jedes Problem schüttelt der brillante Denker ein Lacan-, Baudrillard oder Foucault-Zitat aus dem Ärmel. Wo immer der 57jährige mit dem schulterlangen Haar und unbewegtem Indianergesicht in Turnschuhen auf der Messe auftaucht, bildet sich sofort eine heftig debattierende Runde. Alle sind sie hier durch seine Seminare gegangen. Islamischer Faschimus à la turquoise oder poppige Atatürk-Nostalgie – in welche Extreme der nachhaltige Stimmungsumschwung Künstler treiben kann, demonstrierten zwei Messefundstücke. In ihrer jüngsten Performance steht Şükran Moral, Jahrgang 1962, mit Hitler-Bart auf dem Balkon einer Einkaufspassage. „Balcony“, der Titel des zwiespältigen Videos, das den Auftritt dokumentiert, spielt unverhohlen auf die Balkon-Reden Erdogans nach seinen Wahlsiegen an. Ardan Özmenoğlu, siebzehn Jahre jünger, hat das ikonische Bild aus dem Jahr 1929, das Staatsgründer Atatürk beim Tanz mit seiner Adoptivtochter Nebile in der Öffentlichkeit zeigt, koloriert und mit Hunderten gelber Post-it-Zetteln überklebt. „I wish I was her“, der sehnsüchtige Titel ihres Werks, ruft das kemalistische Erbe der Republik in Erinnerung.
Nicht mehr sicher in der Heimat
Mit solchen Ängsten stehen die Künstlerinnen nicht allein. „Ich kann mich nicht mehr frei ausdrücken“ versucht die 21jährige Kunststudentin Yağmur Yörük von der Istanbuler Yeditepe-Universität ihr Unbehagen zu erklären. „Es fängt schon damit an, wie mich in der Uni alle anschauen, wenn ich mal im Mini-Rock auftauche“. Mit Freunden betreibt sie Online-Galerie Cep, die junge politische Kunst promotet. Das Gefühl, nicht mehr wirklich sicher zu sein in seiner Heimat, hat Sarp Kerem Yavuz nach Chicago getrieben. Vor einem Jahr kämpfte der 23 Jahre junge Fotograf noch als gay-activist im Gezi-Park. „Mit Zensur könnte ich ja noch umgehen. Aber am Schlimmsten ist die unnötige Selbstzensur“ ereifert sich Kerimcan Güleryüz. Für ihn breitet sich in der türkischen Kulturszene ein schleichendes Gift aus: Der vorauseilende Gehorsam gegenüber der Macht. Widerstand ist kaum irgendwo zu erkennen. Die Generation Gezi leckt sich noch ihre Wunden. Von den legendären Politkünstlern der neunziger Jahre erwartet sich Mahir Namur wenig. „Die produzieren jetzt für den Weltmarkt und die Biennalen“ sagt der Kulturmanager beim Treffen in einem Cafè mit einer abschätzigen Handbewegung. Namur, Jahrgang 1967, setzt eher auf die Zivilgesellschaft. Auf lokale Gruppen wie die, mit denen er in der Kleinstadt Sinop am Schwarzen Meer alle zwei Jahre die winzige, nichtkommerzielle Sinopale veranstaltet. „Die wissen gar nicht, wie man sich gegen den islamischen Fundamentalismus wehrt“ stichelt auch der Hardcore-Kemalist Bedri Baykam, Jahrgang 1957, in seinem privaten Kunstzentrum am Taksim gegen seine „milden“ Nachfolger. Zwischen vergilbten Postern, Musikvideos und angestaubten Leinwänden hält er in seiner neuesten Ausstellung die Erinnerung an die „revolutionären achtziger Jahre“ hoch. Dass die Künste in einer Semi-Diktatur Türkei bald verschwinden könnten, ist freilich längst nicht ausgemacht. Noch boomt die Galerien-Szene am Bosporus. Noch wollen die Industriellen Koçund Demsa, die Mimar-Sinan-Uni 2017 hier prächtige neue Sammlermuseen eröffnen. Noch kann Galerist Güleryüz auf der Messe ein Werk wie Burhan Kums „Harem erectus“ feilbieten. Eine laszive Konkubine zeigt darauf stolz ihren zeugungsbereit aufgepflanzten Penis. Das ottomanische Erbe ist doch ambivalenter als der konservative Muslim so denkt.
In weißen Buchstaben
Vielleicht geht ja auch Erdogans Empire Project schneller als gedacht den Weg aller Weltreiche. „All the names/will be erased/from the/billboards/and the theatres/and the pears/and the magazines and/the monuments“ heißt das belsazarhafte Memento, das der britische Künstler Robert Montgomery in weißen Buchstaben auf die Träger einer stählernen Werbetafel geschraubt hat, erhellt von kleinen Glühbirnen – dem Symbol der AKP. Am Stand der New Yorker Galerie C24 hätte Il Presidente Montgomerys Werk „Monuments“ für seinen Weißen Palast in Ankara erwerben können. Kostenpunkt: Schlappe 20.000 Dollar. Natürlich kam er nicht, wie es noch sein Vorgänger Abdullah Gül tat. Er musste mit Brandreden sein eingeschüchtertes Reich in Schach halten.
(Eine gekürzte Fassung des Artikels erschien in: Die Zeit, Nr. 49 vom 27. November 2014) Bilder: http://contemporaryistanbul.com
von Ingo Arend
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