Ein großartiger Film über die tschechische Fotografin Libuše Jarcovjáková, der eigentlich kein Film ist …
Libuse Jarcovjáková ist heute ein Star. Der „New Yorker“ nennt sie „die tschechische Nan Goldin“, andere vergleichen sie mit Diane Arbus. Die 1952 in Prag geborene Künstlerin wurde von der internationalen Fotografie-Szene erst vor wenigen Jahren entdeckt. Ihre bis dahin weitgehend unbekannten schwarz-weiß Bilder aus den späten 1960er, 70er und 80er Jahren zeigen ein Leben, ihr Leben, in einer unfreien Welt, hinter dem Eisernen Vorhang, auf eine einzigartige Weise – roh und direkt, mutig und offen.
Schon früh stand für Libuse Jarcovjáková fest, dass sie Fotografin wird. Es war die Zeit des „Prager Frühlings“, ein Studium wurde ihr, die aus einer Künstlerfamilie stammte, verwehrt. Sie muß arbeiten. Erste Fotoserien entstehen. Atmosphärisch starke Bilder rauchender, trinkender, schlafender Menschen in einer Druckerei. Alles andere als fleißig Arbeitende. Und Tristesse überall. Das war nicht das, was die offiziellen Organe des Staates sehen wollten. Genauso wenig wie alles andere, was sie sonst fotografierte. Prager Roma-Familien, vietnamesischen Fremdarbeiter, vor allem aber das Nachtleben im sogenannten T-Club. Der einzige Ort am dem sich die queere Szene Prags treffen konnte, wo all die Unangepaßten, die Outdrops feierten und tanzten. Und Libuse war drei Jahre lang jede Nacht mit der Kamera dabei.
Alles hat sie obsessiv dokumentiert, Alkohol- und sexuelle Exzesse, vor allem aber sich selbst. Ihr Gesicht, ihre Affären, ihren Körper – nackt, in der Badewanne, masturbierend, beim Sex oder nach ihren Abtreibungen. Nicht eine Lebensäußerung, die nicht im Bild festgehalten wird. Als sie mit ihren Fotos aus dem T-Club Probleme mit der Polizei bekommt, ermöglicht ihr eine arrangierte Ehe die Ausreise nach West-Berlin. Etwas später hat sie den ersten Erfolg bei einem Aufenthalt in Tokio. Sie erhält den Auftrag für eine Serie der Modegruppe „Comme les garcons“. Doch das ist nicht das, was sie auf Dauer machen will. Sie kehrt nach Berlin, später nach Prag zurück, immer auf der Suche nach ihren Gefühlen. Erregung und Sehnsucht, das muß in ihren Bildern spürbar sein, sagt sie in einem Interview, sonst zählen sie nicht.
Der tschechischen Regisseurin Klará Tasovská gelingt mit „I´m Not Everything I Want to be“ ein Meisterwerk. Sie montiert die unzähligen Fotografien so, dass das Leben der Künstlerin in ihren intimsten, schwierigsten und wichtigsten Momenten nachvollziehbar wird, ein Leben, welches bestimmt war von der Existenz und vom Untergang der Sowjetunion. Dass Libuse Jarcovjáková an hand ihrer Tagebuchaufzeichnungen die Bilder kommentiert, wir also ihre Originalstimme hören, trägt sicher entscheidend zur authentischen Atmosphäre bei. Musik und Sound-Effekte werden nur ganz spärlich, aber gekonnt, eingesetzt. Schon nach kurzer Zeit vergißt man, dass das kein Film ist, sondern eine reine Fotomontage. Atemberaubend ist das. Ein großes Geschenk, ein absolutes Highlight der BERLINALE.
Daniela Kloock
Bild: Libuše Jarcovjáková | Ještě nejsem, kým chci být | I’m Not Everything I Want to Be von Klára Tasovská | CZE, SVK, AUT 2024, Panorama | © Libuše Jarcovjáková
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