18.o1. bis 24.01.2016
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Klappe 6 (23-01-16)
Hut ab! Die Juries des 37. Filmfestivals Max Ophüls Preis haben weitestgehend äußerst klug entschieden und aus dem guten Angebot das Beste geehrt. Das hat Seltenheitswert auf Filmfestivals.
Insbesondere die Juroren, die den Langfilmwettbewerb begutachtet haben, und die darüber zu entscheiden hatten, welche Schauspielerin und welcher Schauspieler ausgezeichnet werden, haben klug entschieden. Mit „Einer von uns“ (Österreich) wurde tatsächlich der Spielfilm mit dem Hauptpreis bedacht, der am stärksten die Verlorenheit der jungen Generation spiegelt und dabei über die Einzelschicksale hinaus auf die Zustände bzw. Missstände der bürgerlichen Gesellschaft verweist. „Fado“ (Deutschland), ausgezeichnet mit dem Preis der Saarländischen Ministerpräsidentin, hat die Ehrung ebenfalls verdient. Zwar gibt es da ein paar Unstimmigkeiten, insbesondere in der vom Drehbuch vorgegebenen Zeichnung der weiblichen Hauptfigur, doch punktet die Story einer zum Scheitern verurteilten Liebe mit starker Emotionalität und ebenfalls mit einem stimmigen Sozialstudie. Und dann „Heimatland“ (Schweiz). Völlig zu Recht bekam der von zehn jungen Regisseurinnen und Regisseuren realisierte Episodenfilm den „Preis für den gesellschaftlich relevanten Film“, wird hier doch höchst publikumswirksam die aktuelle Krise im Zusammenhang mit der Flüchtlingsproblematik beleuchtet.
Das Publikum hat sich für die deutsche Komödie „Schrotten!“ entschieden, nicht, wie vielfach erwartet, für die Genre-Parodie „Sex & Crime“. Vielleicht ist es so, dass der letztgenannte Filme vor allem ein Fest für eingeschworene Cineasten ist, während der Preisträger mit seiner pointierten Geschichte vom Überlebenskampf so genannter kleiner Leute auch das Herz von Otto und Susi Normalverbraucher bedient und höher schlagen lässt.
Besonders freuen darf sich Akiz. Er bekam für „Der Nachtmahr“, den ersten Teil einer geplanten Trilogie, den Preis der Jugendjury und den Preis der Ökumenischen Jury. Damit wird zu Recht honoriert, daß philosophisch grundiertes Nachdenken über das Menschsein an sich mit Spannung und Attraktivität des Erzählens verbunden ist.
Auch die Auszeichnungen der Akteure, Odine Johne als beste Schauspielerin in „Agnes“ und Ben Münchow in „Rockabilly Requiem“: absolut gerechtfertigt. Starke Leistungen in Filmen, die im Gedächtnis bleiben.
Also Friede, Freude, Heiterkeit am Ende dieses Festivals? Leider nein. Der Abgang der künstlerischen Leiterin Gabriella Gabriella Bandel, offenbar nicht von ihr, jedoch von den politisch für das Festival Verantwortlichen initiiert, wirkt bitter. Und zwar deshalb, weil die Politik bisher keinerlei Begründung für den Leitungswechsel, den die Branche nicht versteht, angibt. Und auch, weil die Politik die Neubesetzung der Stelle abseits von fachlichem Beistand unter zeitlich mindestens ungünstigen Bedingungen vornimmt. Als Saarbrückens Oberbürgermeisterin auf der Abschlussgala geredet hat, und dabei der scheidenden künstlerischen Leiterin mit nicht einem Wort gedankt hat, statt dessen die Beibehaltung des viel zu kleinen finanziellen Rahmens für das Festival als gute Nachricht gepriesen hat, wiewohl es angesichts der Preissteigerungen und der Inflationsrate eine schlechte Nachricht ist, gab es Buh-Rufe aus dem Publikum. Man schaut sorgenvoll auf die Zukunft des wichtigsten deutschsprachigen Film-Nachwuchsfestivals.
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Die Preisträger
MAX OPHÜLS PREIS 2016: EINER VON UNS, Regie: Stephan Richter, Österreich 2015
Preis der Saarländischen Ministerpräsidentin: FADO, Regie: Jonas Rothlaender, Deutschland, Portugal 2016
Preis für den gesellschaftlich relevanten Film:
HEIMATLAND
Regie: Michael Krummenacher, Jan Gassmann,
Lisa Blatter, Gregor Frei, Benny Jaberg,
Carmen Jaquier, Jonas Meier, Tobias Nölle,
Lionel Rupp, Mike Scheiwiller,
Schweiz 2015
Fritz-Raff-Drehbuchpreis: FERIEN, Buch: Paula Cvjetkovic, Bernadette Knoller, Regie: Bernadette Knoller, Deutschland 2016
Publikumspreis Spielfilm: SCHROTTEN!, Regie: Max Zähle, Deutschland 2016
Preis der Jugendjury: DER NACHTMAHR, Regie: AKIZ, Deutschland 2015
Preis für die Beste Nachwuchsdarstellerin: Odine Johne, AGNES, Regie: Johannes Schmid, Deutschland 2016
Preis für den Besten Nachwuchsdarsteller: Ben Münchow, ROCKABILLY REQUIEM, Regie: Till Müller-Edenborn, Deutschland 2016
Kurzfilmpreis: PITTER PATTER GOES MY HEART, Regie: Christoph Rainer, Deutschland, Österreich, USA 2015
Publikumspreis Kurzfilm: BORN IN BATTLE, Regie: Yangzom Brauen, USA 2016
Preis für den Besten Dokumentarfilm: GIRLS DON’T FLY, Regie: Monika Grassl, Deutschland, Österreich 2016
Preis für den Besten Mittellangen Film: INVENTION OF TRUST, Regie: Alex Schaad, Deutschland 2016
Publikumspreis Mittellanger Film: ROUTE B96, Regie: Simon Ostermann, Deutschland 2016
Filmmusikpreis: PASSION FOR PLANET, Musik: Jörg Magnus Pfeil, Siggi Mueller, Patrick Puszko, Regie: Werner Schuessler, Deutschland 2016
Preis der Ökumenischen Jury: DER NACHTMAHR, Regie: AKIZ, Deutschland 2015
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Klappe 5 (22-01-16)
Zum Festivalende im Langfilmwettbewerb ein Paukenschlag: „Heimatland“ (Schweiz) von zehn jungen Regisseurinnen und Regisseuren. Ein Episodenreigen um eine Naturkatastrophe: Die Eidgenossenschaft wird von einer unheilbaren Wolke überschattet. Panik macht sich breit. Die Menschen fliehen. Doch Europa hat die Grenzen dicht gemacht. Plötzlich sind die Schweizer, die so gern ihre Grenzen abschotten, gefangen im eigenen Land. – Der klug geschnittene Film setzt nicht auf grelle Effekte. Kleine Geschichten werden erzählt: von Fremden, die „natürlich“ an allem Schuld sind, von Familien in Schutt und Asche, von Geschäftsleuten auf falschem Kurs. Die Montage verdichtet den Reigen zu einem Bild der bürgerlichen Gesellschaft, das nicht allein auf die Schweiz zutrifft. – Uraufgeführt worden war der Film im letzten August beim Internationalen Filmfestival in Locarno. Das Echo war gut. Der Film entfaltete schon dort Wirkung. Die aber hat sich durch die politischen Ereignisse der letzten Wochen und Monate (Stichwort Flüchtlingsströme) verstärkt. Die Dringlichkeit des Erzählten entfaltet sich nun noch intensiver.
Mit seinem direkten Zugriff auf politisch aktuelle Themen nimmt „Heimatland“ im Langfilmwettbewerb eine Ausnahmestellung ein. Weil handwerklich, insbesondere im Schnitt, dazu im Schauspiel, sehr überzeugend, weil spannend und publikumswirksam, dürfte der Film zu denen gehören, die von der Jury heftig diskutiert werden. Gut möglich, dass es eine Auszeichnung gibt. Doch es gibt weitere Kandidaten. „Eine neue Zeit“ von Regisseur Christoph Wagner (Luxemburg) dürfte ebenfalls chancenreich sein (siehe „Klappe 2“). Auch hier überzeugt die Verbindung von kraftvollem Erzählen mit deutlichem Bewusstsein für gesellschaftliche Fragestellungen. In „Agnes“ (Deutschland) von Johannes Schmid (siehe Klappe 2) ist das nicht sofort erkennbar. Doch auch diese scheinbar private Geschichte über eine Liebe, die sich nicht entfalten kann, bezieht einen nicht unwesentlichen Teil ihres Reizes aus der Tatsache, dass soziale Befindlichkeiten gespiegelt werden.
Neben diesen drei Filmen hat die Jury aber sicher weitere Beiträge im Blick, die den Max Ophüls Preis 2016 bekommen könnten. Schaut man allein aufs Handwerkliche, kommen tatsächlich sehr viele der 16 Konkurrenten im Langfilmwettbewerb in Frage. Das wird weniger, wenn auch die erzählten Geschichten betrachtet werden. Die kreisen oft um Versagensängste, Druck des Alltags, Familienprobleme. In der Regel machen gute Schauspielerinnen und Schauspieler Holprigkeiten im Drehbuch (insbesondere in den Dialogen) wett. Mal sehen, wie die Juroren entscheiden.
Fazit: Die Ausbeute war anregend, weil zu Streit herausfordernd. Die Fülle an Erzählungen vom Scheitern junger Leute in der bürgerlichen Welt deutet auf entscheidende Fehlentwicklungen in eben dieser Welt. Bedenkenswert. Natürlich: Die Kurz- und Dokumentarfilme sind, bekanntlich haben sie kürzere Entwicklungszeiten, oft dichter dran an aktuellen Ereignissen, an den globalen kulturellen Konflikten. Viel Sehenswertes auch hier. Warten wir ab, wer mit Preisen von Saarbrücken nachhause fahren kann.
Kurz vor Toresschluss rückte übrigens das Festival selbst ins Zentrum der Aufmerksamkeit: Die Regisseure Hans W. Geißendörfer (Erfinder der „Lindenstraße“) und Boris Penth hatten gemeinsam mit einem der wichtigen Sponsoren zu einer Pressekonferenz geladen. Der Anlass: die Stadt Saarbrücken hat sich überraschend von der seit Jahren erfolgreich arbeitenden künstlerischen Leiterin Gabriella Bandel getrennt. Kurz vor Jahresende wurde bekannt, dass ihr Vertrag mit dieser, der 37. Ausgabe des Festivals, beendet wird. Die Gründe dafür wurden nicht öffentlich benannt. In der Branche herrscht Verwunderung, denn Bandel gilt als exzellente Leiterin, die jede Menge Erfolge vorweisen kann, wie stetig steigenden Publikumszuspruch und die Schaffung von Möglichkeiten für die Nachwuchsfilmer, mit „alten Hasen“, Produzenten, Redakteuren, zusammen zu kommen, Kontakte zur Filmindustrie zu knüpfen. Was das erhoffte Profil der neuen Leitung angeht, sind von den politisch Verantwortlichen nur Schlagworte wie „neu“ und „kreativ“ zu vernehmen. Geißendörfer & Co. sind besorgt, dass unter dem Diktat des Sparkurses, den das Festival seit Jahren fährt, die Qualität leidet. Und sie haben Angst, dass die politisch Verantwortlichen jemanden für die Leitung suchen, der willfährig ihren Wünschen entspricht. Besondere Befürchtungen löst aus, dass die Stelle der künstlerischen Leitung nicht öffentlich ausgeschrieben worden ist, dass kein Rat kompetenter Branchenkenner (etwa über eine Findungskommission) eingeholt wird. Daraus resultiert die Furcht, das Festival könne „seine Strahlkraft über die Landesgrenze hinaus verlieren“.
Boris Penth, der das Festival um den Max Ophüls Preis von 2002 bis 2005 geleitet hat, verwies darauf, dass der Festival-Etat von knapp einer Million Euro seit etwa 15 Jahren gleich geblieben sei. Was bedeutet, dass wegen Inflationsrate und Kostensteigerungen die zur Verfügung stehenden finanziellen Möglichkeiten geschrumpft sind. Wer das Festival kennt, weiß, welche Methoden der Selbstausbeutung die Arbeit des Teams seit Jahren bestimmen. Tatsächlich muss sich da was tun. Noch mehr Sparzwang wäre fatal. Verständlich, dass die Fans des Festivals bangen. Wie heißt es doch so klug: „Never change a winning team.“ Warum die Saarbrücker Stadtoberen anders handeln, ist unklar – und es wirkt unsinnig.
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Klappe 4 (21-01-16)
Erstaunliche und erfreuliche Erfahrung dieses Ophüls-Jahrgangs: Die jungen Regisseure und Regisseurinnen setzen wieder verstärkt auf optisches Format, nutzen ungewöhnliche Kameraperspektiven, und bauen darauf, dass die visuelle Gestaltung zu einem wesentlichen Element wird. Daran haben die Kameraleute ihren Anteil und auch die Cutter. Es fällt auf, wie genau die rhythmische Gestaltung ausgearbeitet ist, wie Ton- und Bildmontagen dem Erzählen auf wohltuende Weise dienen. Das Kino lebt.
Schade nur, dass nicht alle Geschichten überzeugen können. Zu oft wird mehr behauptet als wirklich erzählt. Dabei ist inhaltlich weiterhin ein eifriges Klagen und Heulen angesagt. Larmoyanz hat Konjunktur. Verbunden ist das oft damit, dass ein höchst konservatives Frauenbild entworfen wird. Mausi ist en vogue. In „Her Composition“ (USA / Deutschland) von Autor, Cutter, Produzent und Regisseur Stephan Littger sieht’s zunächst so aus, als käme eine starke Persönlichkeit ins Bild: Malorie (Joslyn Jensen), Studentin der Komposition in New York. Doch sie stolpert in eine Schaffenskrise, die sie meint durch Arbeit als Luxus-Callgirl auffangen zu können. Und schon schrumpft auch sie zum Sexobjekt. Langweilig.
In „Looping“ (Deutschland) von Autorin und Regisseurin Leonie Krippendorff sind gleich drei Frauen zu erleben, die sich klein machen: Leila (Jella Haase), Frenja (Lana Cooper) und Ann (Marie-Lou Sellem). Sie treffen in einer psychiatrischen Klinik aufeinander, geben einander für eine gewisse Zeit Halt, und dann dürfen Trennung und Tod zuschlagen. Der Film ist regelrecht ärgerlich, weil er das Thema „psychische Erkrankung“ nur als Folie benutzt, um sich an gefühslduseligen Arrangements zu berauschen. Das ist, wie „Her Composition“, gestalterisch sehr gut, das Handwerk stimmt, doch die Story ächzt unter Klischees und wird von einem Übermaß an Oberflächlichkeiten, die auch von pseudobedeutungsvollen Dialogen nicht wett gemacht werden können, verhunzt. Nicht wenige Zuschauer gingen vor Ende des Films aus der gut besuchten Vorführung.
Von den letzten Depri-Offerten im Langfilmwettbewerb lässt sich über „Fado“ (Deutschland / Portugal) am ehesten streiten. Auch hier, leider, eine Frauenfigur, die altbacken anmutet: Doro (Luise Heyer), auf Zeit als Architektin in Lissabon arbeitend, wird von ihrem Ex aus Berlin, dem Arzt Fabian (Golo Euler), über die Maßen geliebt. Schrecklicherweise ist er krankhaft eifersüchtig. Was, natürlich, alles zerstört. – Als Studie vollkommen übersteigerter Eifersucht hat der Film starke Momente. Doch man fragt sich, wieso Doro Fabian nicht in die Wüste schickt, kennt sie seine Krankheit doch bereits. Es dauert eine qualvoll gefühlte Ewigkeit, ehe sie das tut. Da die Story nicht erklärt, wieso sie als junge aktive Frau, die in der sensiblen Interpretation von Luise Heyer angenehm heutig anmutet, von dem Typ abhängig ist, wirkt die Geschichte nach einiger Zeit etwas unglaubwürdig. Der Beifall des Publikums war dennoch stark, was sicher der emotionalen Stärke einiger Szenen zu danken ist.
Bleibt die Frage, die angesichts des Langfilmwettbewerbs bereits vorher auftauchte: Wieso gibt es so wenige Filme in diesem Jahr, in denen ein starkes gesellschaftliches Engagement zu spüren ist. Der Rückzug in private Leidensgeschichten wirkt wie ein Alarmsignal. Es scheint, dass viele junge Künstler sich von den gesellschaftlichen Anforderungen und Problemen erschlagen fühlen, und sie nur die Flucht davor antreten können.
Riesenjubel – völlig zu recht! – erntete „Sex & Crime“ von Autor und Regisseur Paul Florian Müller. Hier, endlich mal wieder, trumpfen kraft- und saftstrotzende Figuren auf, zeigen Frauen Selbständigkeit und Stärke und werden nicht auf Bettgefährtinnen reduziert. Der Film ist eine schrille Genreparodie um das, was der Titel ankündigt: Sex & Crime. Da wird fröhlich gemordet und gemetzelt, dass es nur so eine Lust ist. Das Blut spritzt literweise, viele Todesarten werden durchgespielt, die vertrackte Krimistory überrascht immer wieder mit völlig unvorhersehbaren Wendungen. Tarantino lässt grüßen, auch „Müllers Büro“ von Niki List. Das ist witzig, intelligent, sehr unterhaltsam, und das ist erstklassig gespielt, etwa von Wotan Wilke Möhring, Claudia Eisinger, Fabian Busch und Pheline Roggen, um nur einige zu nennen. Ein Heidenspaß, sehr intelligent, ein Meisterstück! – Im Langfilmwettbewerb ist das einer der herausragenden Beiträge. Man muss leider fürchten, dass die Jury keinen Preis vergibt. Komödien, mögen sie noch so gut sein, werden von Festivaljuroren selten ausgezeichnet. Auf den Publikumspreis, der durch Abstimmung der Zuschauer ermittelt wird, darf das Team aber rechnen. So laut wie der Jubel und die Bravo-Rufe waren, erscheint er greifbar.
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Klappe 3 (20-01-16)
Der Spielfilm aus dem Hauptwettbewerb, der bisher die meisten Diskussionen auslöst, ist „Agnes“ (Deutschland). Siehe „Klappe 2“. Johannes Schmids Romanadaption trifft offenkundig einen Nerv. Das Irrlichternde, Irritierende der Figuren und ihrer Beziehungen zueinander, dieses Beharren auf einer Liebe, die von beiden Beteiligten nur behauptet, aber nie in ein Miteinander mündet, kennen offenbar viele im Publikum. Eine Sentenz des Films wird immer wieder zitiert: „Wir müssen miteinander reden.“ Im Film wird dieser Vorsatz nie umgesetzt. Scheinbar ist das auch in der Realität bei vielen so. Leben wir in einer sprachlosen Zeit?
Auf jeden Fall, diesen Schluss legen die Spielfilme des zweiten Wettbewerbstages nahe, leben wir in einer Zeit, in der junge Leute von den Anforderungen, denen sie ausgesetzt sind, rasch regelrecht erschlagen werden. Aus nahezu jedem Film riecht geradezu die Angst vor der Zukunft. Bisher gab es keinen Film, in dem diese Angst in produktive Wut umschlägt. Lähmung allüberall. Wie in unserem Alltag. Erschreckend dabei: oftmals wirken die Protagonisten der Filme, und damit die Filmemacher selbst, mutlos, waten in Selbstmitleid. Selbst eine überdrehte Farce wie „Ferien“ (Deutschland) von Drehbuchmitautorin und Regisseurin Bernadette Knoller, der Tochter von Detlev Buck. Der spielt auch mit, wie auch Erfolgsautor Ferdinand von Schirach. Erzählt wird die Story einer jungen Juristin, die sich in eine Beinahe-Depression zurückzieht, dann von ihrer Familie auf eine Nordseeinsel verfrachtet wird und dort unter skurrilen Umständen sozusagen aufwacht. Formal sieht das oft aus, wie der Versuch, auf den Pfaden von Regisseuren wie beispielsweise Emir Kusturica zu wandeln. Das geht nicht ganz auf. Sei’s drum. Das Bild der weinerlichen Generation, das hier gezeichnet wird, ist das entscheidendere und spannendere.
Das ist auch so in „Luca tanzt leise“ (Deutschland), dem von Philipp Eichholtz geschriebenen und inszenierten Porträt einer jungen Frau, etwa Ende 20. Luca (Martina Schöne-Radunski) hat, wie sie sagt, dunkle Jahre hinter sich. Offenbar musste sie Zeiten einer Depression durchleiden. Jetzt ist sie im Endspurt in der Erwachsenenbildung, um das Abitur zu erringen. Doch die Umstände, vor allem ein aggressiver Lover, die sind nicht so, dass sich auch nur ein kleines Glück halten ließe. – Die Studie mutet wie ein Nachhall auf manche Spielfilme der so genannten Berliner Schule: es wird viel geredet, die Erzählung fokussiert stark auf eine Person. Doch das Grüblerische der Schule ist einer fast unbekümmert anmutenden Erzählhaltung gewichen. Das macht den Film leichter verdaulich als die von Angela Schanelec oder Christian Petzold. Doch auch dünner. Mehr Strenge in der Gestaltung hätte dem Film gut getan. Manchmal wirkt Lakonie leider wie Desinteresse, auch wenn der Eindruck nicht stimmen kann, denn kein junger Autor / Regisseur kämpft verbissen um sein Projekt, wenn ihn die Figuren, die er vorstellt, nicht interessieren. Doch Absicht und Wirkung sind nun mal zwei Dinge. Hier kommen sie nicht ganz zusammen. Auffallend auch in diesem Film: viel Larmoyanz in der Skizzierung von Lebensumständen, eine innige Freundschaft zu einem Hund als Ersatz für fehlende menschliche Bindungen inklusive. Das ist arg dick aufgetragen.
Dick aufgetragen wird ebenfalls in „Desire Will Set You Free“ (Deutschland) von Autor und Regisseur Yony Leyser. Er schildert die Odyssee eines von ihm selbst verkörperten jungen US-amerikanischen Schriftstellers durch die knallbunte Schwulenszene Berlins. Das ist immer dicht, wenn der Film dokumentarisch wirkt, in Momentaufnahmen mehr oder weniger realer Szenen. Die Story allerdings versandet in neckischen Sex-Spielchen, die weder schockierend sind noch aufwühlend, oft geradezu bieder wirken, kaum packen, weil ihnen keine emotionale Kraft innewohnt. Auch hier lauert unentwegt eine stark dosierte Weinerlichkeit. Nichts da von jugendlicher Rebellion. Oder ist es Unsinn die zu erwarten? Leben wir in einer Gesellschaft, die keinerlei Anlass mehr zu Überschwang und Aufmucken bietet? Doch wohl kaum.
Die Hauptfiguren in „Rockabilly Requiem“ (Deutschland) wollen allen Zwängen entfliehen. Sie leben allerdings Anfang der 1980er Jahre in der alten, satten Bundesrepublik Deutschland, die es so nicht mehr gibt. Rockabilly, die vordergründige Spielart des Rock ’n’ Roll gibt den Ton an. So dick auftragend, wie diese Musik ist, hat Drehbuchmitautor und Regisseur Till Müller-Edenborn seinen Film auch gestaltet. Da wird mit fettem Pinselstrich gemalt, sehr klar von A nach Z erzählt, und ist manches durchaus voraussehbar, so hat der Film eine satte Stärke. Man ahnt von Anfang an, dass die Geschichte der Jungs, die auf jeden Fall anders werden wollen als ihre Väter und dazu die Musik als Katalysator nutzen, dass diese Geschichte, die ausgesprochen heiter beginnt, sehr düster und ernst enden wird. Trotzdem kommt Spannung auf. Dafür sorgen die dichte Inszenierung und die Schauspieler, Ben Münchow und Sebastian Tiede allen voran. Der Film wirkt im Umfeld der dominierenden Reflexion allgemeiner Verschlaffung überaus aufmunternd. Gute Unterhaltung mit einer angenehmen Prise Ernsthaftigkeit und Gesellschaftsspiegelung. Neben „Agnes“ könnte dieser Film in den Diskussionen der Jury eine Hauptrolle spielen.
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Klappe 2 (19-01-16)
Die ersten Beiträge des Spielfilmwettbewerbs sind gelaufen. Prognose: Es kann ein guter Jahrgang werden. Genrefilme sind offenbar angesagt. Autor und Regisseur AKIZ nutzt in „Der Nachtmahr“ (Deutschland) starke Elemente des Horrorfilms um von den Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens zu erzählen. Da meint die 17-jährige Tina, dass ihr in Tag- und Nachtträumen ein seltsames Wesen erscheint, nicht wirklich Mensch, kein Tier, eine Fabelgestalt, durchaus sanft, aber doch auch Schrecken erregend. Schocksequenzen gibt es so gut wie keine. Klug. Alltägliches verbreitet Angst und Schrecken.
Das Wesen, das auch wir Zuschauer sehen, mutet dagegen fast niedlich an. – Eine starke Hauptdarstellerin, Carolyn Ganzkow, und die Spannung dieses Versuchs, die Ungemach der Pubertät filmisch einzufangen, sorgen für Spannung und Gesprächsstoff.
Aus Luxemburg kommt „Eine neue Zeit“. Regisseur Christoph Wagner setzt sich in der nach Ende des Zweiten Weltkriegs spielenden Geschichte mit der in seiner Heimat bis heute nicht offen diskutierten Zeit des deutschen Nazi-Terrors in seiner Heimat auseinander, insbesondere damit, dass unter all denen, die nach 1945 auf ihre Unschuld gepocht haben, viele, zu viele Mitläufer, wenn nicht gar Kollaborateure, waren. Der Film kommt ganz klassisch daher, nur ein, zwei Mal gibt es Rückblenden bzw. Parallelmontagen. Eine geradlinige Erzählung dominiert.
Getragen wird sie von exzellenten Schauspielern, allen voran von dem sehr charismatischen Luc Schitz als Widerstandskämpfer, der meint, Schuld auf sich geladen zu haben, da er unter der Folter Kameraden ans Messer geliefert hat. Handfestes Kino. Und die Auseinandersetzung mit dem Themenkreis Schuld-und-Unschuld ist nach wie vor aktuell.
Erstaunlich ist die konventionelle Gestaltung bei „Offline – Das Leben ist kein Bonuslevel“ (Deutschland). Erstaunlich deshalb, weil die Story ganz im Heute spielt, handelt sie doch von jungen Leuten, die ihr Leben über das Abtauchen in virtuelle Computer-Spiel-Welten definieren. Das ist technisch brillant. Wirklichkeit und Spielszenarien wurden raffiniert miteinander verschmolzen. Auch hier: gutes Schauspiel. Doch die Story erlangt bei allem flotten Amüsement keine Tiefe. So vergnüglich es ist, den Kampf zwischen Schein und Sein mitzuerleben, so wenig bleibt danach. Gute Unterhaltung. Immerhin.
Den bisher anspruchsvollsten Film hat Regisseur Johannes Schmid mit „Agnes“ (Deutschland) vorgelegt, einer Adaption des Romans von Peter Stamm. Raffiniert sind in der Erzählung um eine bizarre Liebesgeschichte die Ebenen von Erlebtem und Phantasiertem miteinander verbunden, wird über die Magie des Erzählens nachgedacht, auch darüber, wie sehr Künstler, ein Schriftsteller in diesem Fall, mit ihren Werken die Realität verändern können. Schön, wie die Figuren dabei jeweils ihr Geheimnis bewahren, nicht alle Facetten der Persönlichkeiten aufgedeckt werden. Schwierig: die Dialoge muten gelegentlich zu hölzern an. Großes Plus: Der Film provoziert ein Nachdenken über eigene Lebensmuster und Verhaltensweisen, nicht nur in Sachen Partnerschaft, sondern generell im Rahmen der gegebenen sozialen Möglichkeiten. Dabei wird – angenehmerweise scheinbar ganz nebenbei – die Kälte einer Gesellschaft deutlich, in der äußerer Erfolg, finanzieller im besonderen, das A und O ist.
Der große Wurf, ein Film, der die Festivalgemeinde aus dem Häuschen geraten lässt, war noch nicht zu sehen. Geboten wurde jedoch durchweg Kino, das zu Gesprächen anregt. Und die sind in Saarbrücken an der Tagesordnung. Das Publikum dieses Festivals, das schon morgens zahlreich erscheint, will ins Gespräch kommen, mit den Künstlern, untereinander. Das funktioniert. Dadurch wirken die Filme, wirkt das Festival selbst, weit über sich selbst hinaus.
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Klappe 1 (18-01-16)
Zur Eröffnung gab’s – außerhalb aller Wettbewerbe – einen typischen Festivalfilm: low budget, grüblerisch, auch ein wenig verschroben. Der Ansatz ist verlockend: Regisseurin Isabelle Stever erzählt fern von üblicher Wir-haben-uns-doch-alle-lieb-Pose vom Leben einer Entwicklungshelferin. Diese Dorothea gerät im arabischen Raum beruflich und privat in eine Krise. Ist das, was sie tut (Geld für Hilfsprojekte sammeln) wirklich sinnvoll? Geht es ihr tatsächlich ums Helfen oder doch eher um Selbstverwirklichung? Spannende Fragen. Man verfolgt aufmerksam, wie der Alltag von Botschaftern der Menschlichkeit gar nicht so selten ins Unmenschliche abdriftet. Was sich nicht in Extremen zeigt, sondern meist ganz nebenbei, in Haltungen, in Floskeln, in Routine.
Die Hauptrolle der Dorothea spielt Maria Furtwängler. Schön, elegant und klug anmutend ist sie die Idealbesetzung. Denn sie offenbart die innere Schwäche der Frau ohne Aufwand, zeigt unsentimental deren Selbstzweifel, ihre Ängste, aber auch ihre Stärken, etwa, wenn sie plötzlich ganz handfest jemanden direkt helfen muss, nämlich ihrer Chefin, die mit dem allgegenwärtigen Krieg nicht klar kommt und in Panik verfällt.
Klugerweise wird der Krieg nicht spektakulär gezeigt. Man hört ihn, spürt ihn, sieht Auswirkungen. Das reicht völlig. Und Furtwänglers Präsenz sorgt dafür, dass man dran bleibt, selbst dann, wenn die Story ins Ungefähre gleitet, wenn die persönliche Geschichte in Drogen und Alkohol fast ertränkt wird. Für ein Festival, dessen Hauptthema das Aufeinanderprallen von unterschiedlichsten Kulturen ist, erweist sich der sperrige Film als gute Wahl. Das auch, weil die Erzählweise nur scheinbar von konventionellen Bildern, wie sie Gesellschaftsdramen eigen sind, geprägt wird. Wer aufmerksam hinschaut, entdeckt in dem Film, der Ende des Monats in Deutschland in den Verleih kommt, eine unkonventionelle Sicht auf die so beliebte Helferseligkeit braver Bürger. Und er entdeckt eine Maria Furtwängler, die mit angenehmer Lakonie die Untiefen eines unruhigen Geistes auslotet.
Nach diesem Auftakt nun ist die Spannung groß, wie der Jahrgang ausfällt. Der Blick in den Katalog verrät, dass viele junge Filmemacher und Filmemacherinnen sich traditionellen Genres zuwenden. Was sicher auch daran liegt, dass vielfach Fernsehproduzenten die wichtigen Geldgeber sind. Und die wollen sendbare Ergebnisse. Was Gutes hervorbringen kann. Konventionelles Kino kann überaus packend sein.
Peter Claus
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18. bis 24. Januar 2016
Saarbrücken
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