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Pressevorführungen auf internationalen Filmfestivals enden gern mal mit Buh-Rufen. Eine derart heftige Ablehnung allerdings, wie sie der kanadische Regisseur Atom Egoyan beim Internationalen Filmfestival Venedig im Herbst 2015 erleben musste, hat Seltenheitswert. Es gab nicht allein Buhs ohne Zahl. Vielfach waren auch, in verschieden Sprachen, Kommentare wie „widerwärtig“, „skandalös“ oder „geschmacklos“ zu hören.

Der Grund für den geballten Zorn: Der Film geht auf, zurückhaltend formuliert, recht unbedarfte Weise mit den Schrecken der Nazizeit um. Zu Beginn wähnt man sich einem Spielfilm, der, wenn auch recht sentimental, doch aufrichtig, das grausame Erbe der Vergangenheit betrachten will. Der Titel „Remember“, „Erinnere Dich!“, scheint eine Aufforderung an das Publikum zu sein und auf die Hauptfigur der Geschichte anzuspielen. Das ist der etwa 90-jährige Zev (Christopher Plummer). Gerade eben ist seine Frau verstorben. Er lebt in einem Pflegeheim. Mehr und mehr macht ihm die fortschreitende Demenz zu schaffen. Doch da gibt es ein Versprechen, dass er der Gattin und dem ebenfalls im Heim lebenden Freund Max (Martin Landau) gegeben hat. Es geht dabei darum, den Mann zu finden, der in Hitlers Uniform seine und die Familie von Max ermordet hat. Von Max mit schriftlichen Instruktionen ausgerüstet, macht sich Zev auf den Weg – und landet schließlich ganz woanders als er (und das Publikum) zunächst erwarten …

Der Film ist aufgebaut wie ein Krimi. Sicher wird es einige Zuschauer geben, die recht schnell ahnen, worauf die Story hinaus läuft. Es sei hier nicht verraten, um all jenen, die den Film als Krimi gucken wollen, nicht in die Parade zu fahren. Doch dies: Im – zu allem Überfluss auch noch schrecklich schlecht gespielten – Finale wird jedwede denkbare Seriosität im Umgang mit dem Thema niedergeknallt.
Das Erinnern steht im Mittelpunkt des Werkes von Atom Egoyan. Über das Erinnern holt er gern Verbrechen der Vergangenheit in die Gegenwart und regt somit zur Auseinandersetzung an, etwa in „Ararat“ mit dem Genozid vor 100 Jahren an den Armeniern auf dem Gebiet der heutigen Türkei. Nun also ein Erinnern an die Morde der Hitler-Diktatur. Der armenisch-stämmige Regisseur zeigt überdeutlich, dass Erinnern notwendig, simple Rache aber unnütz ist. Oscar-Preisträger Christopher Plummer als Zev strahlt eine faszinierende Identität aus. Selbst in bizarr-albernen und peinlich-absurden Szenen, wie etwa einer Begegnung mit einem Neonazi samt bissigem Schäferhund, fasziniert Plummer. Auch Martin Landau überzeugt und fesselt. Es ist sehr bedauerlich, dass die zwei exzellenten Schauspieler ihre Kunst an letztlich unsäglichen Unsinn vergeuden. Ich gehe nicht so weit, wie einige Kollegen in Venedig, dem Film vorzuwerfen, dass er die jüdischen Opfer der deutschen Faschisten verhöhne. Das halte ich für übertrieben. Allerdings ist der Film in seiner Dummheit fast grenzenlos, behauptet er doch, Opfer und Täter der Nazis seien austauschbar. Damit überschreitet Atom Egoyan mindestens die Grenze zum schlechten Geschmack, nein, viel schlimmer: damit schlägt er sich, was gewiss nicht in seiner Absicht liegt, auf die Seite derer, die einen entschiedenen, konsequenten Kampf gegen jedwede Form auch nur faschistischen Denkens für überflüssig halten. Das macht den Film auch gefährlich.

Peter Claus

Bilder: Tiberius

Remember, von Atom Egoyan  (Kanada / Deutschland 2015)