Wir kennen das Spiel mittlerweile: eine Fernsehserie mit begrenzter Episodenzahl, ein gerade- noch Kinostar in der Hauptrolle, ein Starregisseur ohne jüngste Hits in unklarer Schlüsselposition, stylishe Computerbilder. Und doch ist bei „Waward Pines“ vieles anders: als Novum startete die Serie am Donnerstag beinahe gleichzeitig in 125 Ländern, und die Reputation war von Anfang an gesetzt: „Wayward Pines“ musste schon Klassiker sein, bevor auch nur eine Szene im Kasten war. Und: hier erfüllen die irreal sauberen digitalen Bilder endlich einmal einen Zweck.
Ein amerikanischer Bundespolizist im Dienst des Präsidenten wacht in einer traumartig idyllischen Kleinstadt auf, in der es statt Fernsehen Nachbarschaftspartys gibt und statt Smartphones klobige Retro – Telefone. Zunächst fehlt ihm jede Erinnerung, dann fällt es ihm wieder ein: er ist auf der Suche nach zwei in diesem Ort verschwundenen Kollegen. Damit beginnen seine Probleme.
Der Vorspann zeigt Eindrücke einer Modelleisenbahnlandschaft zu süffisanter Spieluhrenmusik mit Elektroknarz, anschließend trottet Mat Dillon als Special Agent Burke verbeult und ausgemergelt durch kühle Postkartenbilder und darf höhnisch feixende Figuren ergebnislos nach dem Wieso und Warum ausfragen. Dagegen wird im üblichen Thriller – Stahlblau die Untersuchung seines Verschwindens durch wichtig guckende andere Agenten geschnitten, sowie die bange Verzweiflung von Frau und Kind. Gruselige Bläser branden auf dem Soundtrack auf, und böse Krankenschwestern zücken monströse Spritzen. Zusätzlich erzählen Flashbacks von Burkes durch schuldbeladene Terroristenbekämpfung angeschlagener geistigen Gesundheit und von den vergangenen Freuden und Probleme seines Privatlebens (Geliebte, erneuerte Treueschwüre, Vaterstolz, die Arbeit macht ihn fertig). Das Grillenzirpen in „Wayward Pines“ kommt aus der Dose, und in einem verlassenen Haus verrottet abgeschlachtet einer von Burkes vermissten Kollegen. Wayward Pines ist ein Gefängnis, Burke kämpft ums Überleben, um Verbündete und um Antworten, und die Zeit scheint an dem fremden Ort verrückt zu spielen.
Ausdrücklich eingestanden möchte „Wayward Pines“ in die (zu Recht!) mittlerweile ins mythische angewachsenen Fußstapfen von „Twin Peaks“ treten. Noch auffälliger sind vielleicht die nicht eingestandenen Parallelen zu „The Prisoner“. Doch die Serie ist „Twin Peaks“ ohne brechende Herzen, Humor und ästhetische Aufbrüche, und „The Prisoner“ ohne den schillernden Modernismus und die ätzende Satire. Die garstige Wehmut von „Twin Peaks“ und „The Prisoner“ fehlt völlig, für ein vergiftetes Paradies ist Wayward Pines einfach zu unwirtlich.
Bei genauerer Betrachtung klaubt die Geschichte eher Momente und Motive so ziemlich aller Hirnverdreher in der populären Kultur zusammen, von „Shutter Island“ bis hin zur „Truman Show“, von gleich mehreren alten „Twilight Zone“ – Folgen über „Lost“ bis hin zu alten und neuen Werken, die hier nicht genannt werden sollen, um die „große Überraschung“ in der Mitte der Serie nicht zu verraten. Was alle diese Vorgänger miteinander gemein haben, ist ein Gefühl der totalen persönlichen Entfremdung. Diese Entfremdung ersetzt „Wayward Pines“ jedoch lieber durch Verschwörungsgetuschel und angedeutetes Ensemblespiel, durch halbherzige Rührseligkeit und spröde Horrorszenen.
Die ambitionierten amerikanischen Fernsehserien verlassen immer deutlicher die eben noch ruhmreiche Ära der Originalideen. Mittlerweile wird es ernst, und das bedeutet: Verfilmungen von Bestsellern, langlebigen Comicserien und Klassikern, historische Stoffe, Prequels und Spinn – offs zu Kultfilmen und Remakes anderswo erfolgreicher Programme. Die Vorlage zu „Wayward Pines“ bildet die gleichnamige Romantrilogie von Blake Crouch, ein so zweifelhaftes wie packendes Vergnügen, bei dem die eigentliche Geschichte streng genommen eine anregende Katastrophe ist: Immer wieder setzt die Fabel scheinbar vollkommen neu an, immer wieder versandet sie und rettet sich in überflüssige und überflüssig brutale Actionszenen. Wie in einem alten Computerspiel quält sich der isolierte Burke durch lange, informations – und beziehungsarme Dialoge mit den seltsamen Einwohnern von Wayward Pines und erlebt alle Formen der Entwurzelung: er hat kein Geld, keinen Plan und keinen Ort zum Schlafen, kein Vertrauen in irgendwen und erst recht nicht in den eigenen Kopf. Er wird in Zeitlupe mit immer neuen und einander total widersprechenden Indizien dafür konfrontiert, dass er durch eine simulierte Welt mit dunklen Geheimnissen irrt. Sobald die Prämisse ihm und uns offengelegt wird, nimmt die Geschichte endlich eine erkennbare Richtung an, doch die führt gegen die Wand: die Auflösung am Ende des ersten Bandes deckt sich beim besten Willen weder mit allen Hinweisen, noch mit unserem Verständnis davon, wie Orte, Menschen und die Welt funktionieren. Die Erklärung erscheint als reine Rationalisierung der vorher seltsam einleuchtend verrückten Atmosphäre, als überspanntes und schales Konstrukt(und entsprechend schwerfällig gerät der Fortgang der nun scheinbar vernünftigen und didaktischen Erzählung über u.a. Freiheit, Unterdrückung, Umweltzerstörung und Kampf gegen Mutanten). Und der Burke im Buch, der Soldat im zweiten Golfkrieg war und in gerechtem Zorn zur Kampfmaschine wird, ist ein Held, der nach seinen schlafwandlerischen Anfängen nicht mehr froh macht. Eine weitere Variation des aktuellen uramerkanischen Gefühls, gleichzeitig Folterer und, vor allem, Gefolterter zu sein.
Der Verfilmung fehlen die Stärken des Stoffs dadurch, wie sie die Schwächen auszubügeln versucht. Mit Intelligenz, Eifer und dem Schielen auf ein Krimipublikum setzt Autor Chad Hodge ganz auf getriebenes Werwaswo und jagt der unbefriedigenden Auflösung in der Mitte unbeirrt entgegen. Aus der sprunghaften alptraumhaften Etüde in Einsamkeit wird ein konventionellerer Thriller mit Polizeinebenhandlung, benennbarer Außenwelt und endlich einmal wieder Shannyn Sossamon. Aus dem rasenden inneren Zwiespalt wird das Misstrauen gegen die da oben und die nebenan. Alles sieht gut aus, von den rauschenden Wäldern bis hin zur Pfütze auf dem Boden, und noch Juliette Lewis als Dissidentin wirkt glaubwürdig und glamourös. Aber für ein bedrücktes Schweben durch höllisch – schöne Unwirklichkeit geht es einmal mehr zu stark um forensische Ergebnisse und geheime Absprachen unter Männern in Anzügen. Dabei hat der in letzter Zeit gebeutelte Auftaktregisseur und ausführende Produzent M. Night Shyamalan wiederholt bewiesen, dass er ein meisterhafter Chronist der Entfremdung ist, der unspektakulär zerfließenden Realitätsebenen und eines gottverlassenen und nach Gemeinsamkeit hungernden Solipsismus, der dem beseelten und getriebenen David Lynch wohl immer fremd bleiben wird. Stattdessen verlässt sich Shyamalan hier auf sein selten gewürdigtes Geschick in der Inszenierung von handfestem Horror. Nur in der gespenstischen Weite eines Flusses oder eines Einkaufszentrums blitzt in der ersten Folge die Handschrift des Regisseurs auf.
Matt Dillon hat in seiner gut 35jährigen Karriere mehr dumme, düpierte und ratlose Charaktere dargestellt als jeder andere Hollywood – Hauptdarsteller. In seinem (hochintelligentem) Spiel brodelt häufig eine besinnungslose Rebellion, die nichts von der Grandezza früherer Leinwandrebellen hat, und dafür viel von verstörend real anmutender berserkerhafter Ohnmacht. Das kommt ihm als Ethan Burke zugute, der dauerangeschlagen durch die Geschichte stolpert und sich manchmal durch die Geschichte prügeln darf. Seine wund aufgerissenen Augen, sein trotzig vorgeschobenes Kinn und die Aura abgewirtschafteter Autorität sorgen für die dringend benötigte Authentizität in der kühlen Konstruktion. Doch gegen den Strom der Informationen und Winkelzüge in der Serie verblassen selbst die blauen Flecken und blutenden Wunden, hinter denen er subtil pausenlos neue Register ziehen will.
Unter Chad Hodge ist „Wayward Pines“ eine der Pointengeschichten, die Shyamalans Ruf ebenso ruiniert haben wie den von phantastischen Fernsehserien. Gut möglich, dass das clevere Buch, die gediegene Gestaltung und die einnehmenden Darsteller den großen frustrierten Aufschrei verhindern und die großen gesellschaftlichen Themen zumindest glaubwürdiger vermitteln werden als die Buchvorlage. Nicht auszuschließen, dass spätere Folgen mehr Momente wagen. Vielleicht wird die Serie tatsächlich der Klassiker werden, der sie werden muss.
Aber dennoch wird „Wayward Pines“ vermutlich ein Alptraum bleiben, der so vernünftig sein will, dass er lediglich bizarr wird, eine behauptete Kultserie vom Reißbrett, für 125 Länder auf einmal.
Die Grillen in Wayward Pines sind eine Simulation. In der Serie „Wayward Pines“ ist dagegen selbst das Grillengeschrei aus der Dose simuliert, wir dürfen ihm nicht einmal für ein paar Sekunden lauschen.
Florian Schwebel
Bilder: Fox
- Märchen der Märchen (Matteo Garrone) - 29. August 2015
- Zum Ende von „Didi & Stulle“ - 1. Juni 2015
- WAYWARD PINES ist eine Attrappe - 16. Mai 2015
Schreibe einen Kommentar