Fatih Akin gibt sich äußerlich gern ein bisschen als Macho. Seine Filme aber zeigen, was für ein sensibler Mann er ist. Als er vor Jahren bei Dreharbeiten in dem türkischen Dorf, aus dem einer seiner Großväter stammt, drehte, erfuhr er vom Plan einer Mülldeponie, die dort errichtet werden sollte. Geradezu naiv nahm er an, dass er den Kampf der Bewohner dagegen unterstützen könne, wenn er als Filmemacher für Öffentlichkeit sorgt, ja, vielleicht so sogar dazu beitragen kann, den Plan zum Scheitern zu bringen. Letzteres hat nicht funktioniert. Doch die kraftstrotzende Dokumentation hat als Zeugnis menschlichen Mutes – und fast schon übermenschlicher Duldsamkeit.
Camburnu liegt im Nordosten der Türkei in idyllischer Landschaft. Doch es ist ein Ort des Schreckens. Eine Mülldeponie bestimmt den Alltag – mit Dreck und mit Gestank. Die Proteste der Bewohner sind nutzlos. Sie werden mit pseudowissenschaftlichem Unsinn abgespeist – und der Katastrophe ausgesetzt. Das Grundwasser ist verseucht, Scharen von Hunden werden vom Gestank angelockt und setzen ihre Haufen allüberall, Vogelschwärme schwärzen den Himmel und machen es den Hunden nach. Kein Wunder, dass die auf den ersten Blick recht brav anmutende Bevölkerung rebelliert. Akin zeigt das mit Respekt und spürbarer Anteilnahme. Und da hat diese Langzeitdokumentation, entstanden zwischen 2007 und 2012 ihren großen Wert. Denn der Mut der so genannten kleinen Leute ist ansteckend.
Fatih Akin hat nun nicht fünf Jahre vor Ort verbracht. Er hat dem heimischen Fotografen eine Digitalkamera geschenkt und per Telefon seine Regieanweisungen gegeben. Die Arbeit im Schneideraum hat er dann wieder selbst übernommen. Da ist der harte Rhythmus entstanden, der den Schrecken fast greifbar macht. Fatih Akin zieht das Publikum in dieses Dorf des Schreckens. Dabei macht Akin klar: Der wesentliche Schrecken, das ist die Ignoranz der Herrschenden. Da ist dieses Dorf in der Türkei wohl jedem hier in Deutschland plötzlich ganz nah.
Peter Claus
Müll im Garten Eden, von Fatih Akin (Deutschland/ Türkei 2012)
Bilder: Pandorafilm
- „Rosenmontag For Future“ Oder: Lachen schult das freie Denken - 9. Februar 2020
- Thilo Wydra: Hitchcock´s Blondes - 15. Dezember 2019
- Junges Schauspiel am D’haus: „Antigone“ von Sophokles - 10. November 2019
Schreibe einen Kommentar