Nach dem seltsam rückwärtsgewandten „Fill the Void“, einem Fest orthodoxen jüdischen Lebens ohne jede Reflexion, die beim Filmfestival in Venedig ein heftiges Pro und Contra ausgelöst hat, wirkt diese Komödie geradezu befreiend.

Im Zentrum der zunächst ein wenig zerfasert anmutenden Story steht der Franzose Ruben (Nicolas Maury). Er haust mit seinem Lebensgefährten Teemu (Jarkko Niemi) glücklich in einem Dorf in Finnland. Anerkannt als Postbote, fühlt er sich wohl und aufgenommen. Durch ein irrwitziges Missgeschick, das hier ob der Spannung willen nicht verraten sei, trennen sich die Liebenden. Ruben flüchtet nach Paris zu den Eltern – und landet in einer Hölle der Geborgenheit. Seine jüdische Familie nämlich erdrückt ihn geradezu mit Liebe und Fürsorge.

Besonders nervig ist die Mama (Carmen Maura), die ihn unentwegt mit einer Frau verbändeln will. Aber auch all die anderen, es ist eine große Mischpoke, stressen. Ruben dreht fast durch, während sich Teemu vor Sehnsucht fast verzehrt. Als Zuschauer hofft man inständig, dass die Zwei wieder schnell zueinander finden. Doch ob’s klappt, bleibt lange offen.

Regisseur Mikael Buch, noch ein Debütant, jongliert sehr geschickt mit Sehgewohnheiten und daraus resultierenden Erwartungen. Wenn er dann auch noch Juden-, Schwulen- und Spießer-Klischees wild mischt, wird der Spaß enorm. Besonders geglückt sind visuell klug gestaltete Ausflüge in die Phantasie und einige Rückblenden, die dann vor allem viel über jüdische Identität vermitteln, sowohl die Freude daran, wie die Zweifel. Sehr klug, sehr witzig und angenehm aufmüpfig. Und man lernt Verblüffendes; Irgendwann einmal müssen Doris Day und Rock Hudson Finnland heimgesucht haben. Denn die Hütten dort erinnern verdammt an die Vorort-Siedlungen, in denen das Hollywood-Traumpaar sich vor Jahrzehnten munter gebalgt hat.

Peter Claus

Let My People Go!, von Mikael Buch (Frankreich 2011)

Bilder: Pro Fun Media