Der Mann
Als Don Draper in der TV-Serie «Mad Men» wurde der Amerikaner Jon Hamm zur Stilikone. Und zum Sexsymbol.
Viele Frauen wollen zu Jon Hamm, hier im Soho Hotel in London. Ein ganzes Wartezimmer voller Frauen. Was ja auch kein Wunder ist. Die «New York Times» machte einmal eine Umfrage auf New Yorks Strassen und befragte Frauen über die Faszination Jon Hamm. Die Zusammenfassung aller Antworten lautete ungefähr: «Er scheint jeder Frau zu sagen: ‹Oh Baby, ich besorgs dir wie kein anderer, aber ich sorge auch für dich.›» Die «New York Times» sagt auch: «In New York wird etwas erst zum Trend, wenn Jon Hamm sagt, es ist einer.» Weshalb Bartstoppeln jetzt in New York der letzte Schrei sind. Und nur, weil Jon Hamm, der in der Fernsehserie «Mad Men» den perfekt rasierten Werber Don Draper spielt, privat Bartstoppeln mag.
Am 23. September werden in Los Angeles die Emmys vergeben, die Oscars der Fernsehbranche. «Mad Men», das in den 60er-Jahren angesiedelte Grossstadtdrama über die coolen Anheizer des Konsumrauschs, ist siebzehnmal nominiert und damit wieder einmal Topfavorit. Gewinnt «Mad Men» zum fünften Mal hintereinander den Haupt-Emmy für die Kategorie «Drama», dann ist sie in der 64-jährigen Geschichte des Preises die führende unter den seriösen Serien Amerikas – nicht zuletzt dank Jon Hamm, diesem charismatischen, geheimnisvollen, so ohne jede Zurückhaltung männlichen Mittelpunkt. Jon Hamm, der vor allem eines ist: schön. «Wie ist es, wenn man viel zu gut aussieht?», fragte ihn letztes Jahr der «Guardian». «Das ist lächerlich, man kann nie zu gut aussehen», antwortete Jon Hamm, diese wandelnde Projektionsfläche so ziemlich aller erotischen Fantasien. Er sagte das ebenfalls im Soho Hotel.
Filmen mit der Freundin
Und dann kommt er, der Moment, in dem es vom Wartezimmer ins Sprechzimmer geht. 20 Minuten ganz allein mit ihm. Jon Hamm, der Mann an sich, ist sehr gross, man kann den Kopf in den Nacken legen und zu ihm hochschauen. Und weil fotografieren streng verboten ist, muss man sich Jon Hamm an diesem Tag in London so vorstellen: mit einem Zweiwochenbart, in einem an sich langweiligen blauen Jeanshemd und noch langweiligeren beigen Hosen, aber erstens passt beides wie zurechtdesignt zum Sofa, auf dem er sich fläzt, und zweitens, na ja, was er trägt, ist sowieso Trend. «Jon Hamm, wie geht es Ihnen? Ich habe geträumt, wir hätten das letzte Interview von vielen und sie hätten mich zum Teufel gejagt mit den Worten: ‹Ich habe genug von den Medien! Hauen Sie ab!›» Aus Jon Hamm bricht ein Lachen und eine echte kleine Besorgnis und natürlich wirkt beides total einnehmend und vollkommen überzeugend: «Oh nein! Das ist ja ein entsetzlicher Traum! Um Himmels willen! Ich bin bestens gelaunt, es gibt doch für mich nichts Schöneres, als mit der europäischen Presse zu reden! Zudem über ein Projekt, das ich liebe.»
Ja, das Projekt. Das auch das Problem dieser Begegnung darstellt. Das Projekt ist der Film «Friends with Kids». Regisseurin, Drehbuchautorin und Hauptdarstellerin ist Jennifer Westfeldt, und die ist wiederum seit sehr vielen Jahren die sehr feste Freundin von Jon Hamm, man kennt sie bei uns aus mehreren Folgen «24» und «Grey’s Anatomy». «Friends with Kids» ist eine Komödie darüber, was sich alles im Leben verändert, wenn man Kinder hat. Sie beginnt sehr wahr und frech und endet in biederstem Kitsch. Nur Jon Hamm lässt sich darin nicht bändigen, er ist – in einer Nebenrolle – der Einzige, der sich gegen das Familienglück und für eine stoppelbärtige Freiheit mit viel Alkohol entscheidet.
Draper, Beckham, Clooney
Hamm und Westfeldt haben keine Kinder. Der Film basiert auf ihren Beobachtungen im Freundeskreis. Und, wie war es, eines Tages als einziges Paar ohne Kinder dazustehen? «Es war total seltsam, plötzlich nicht mehr im Takt zu sein mit all den Leuten, die wir schon so lange kennen. Wir kamen uns vor wie die letzten Gäste auf einer Party. Oder die letzten Menschen auf der Welt.»
Aber reden wir über Don Draper, den Mann in den tadellosen Anzügen, dessen Frauen immer jünger, schöner und selbstständiger werden und der sich schwertut mit dem Zerbröckeln eines traditionellen weissen Macho-Amerika. Die grosse Schlüsselstelle der aktuellen fünften Staffel von «Mad Men» ist der Moment, als ihm seine zweite, blutjunge Gattin «Tomorrow Never Knows» von den Beatles zu hören gibt: Verständnislos, verloren, verletzt sitzt Don Draper da in seinem Sessel. Und man kann sich vorstellen, dass Jon Hamm angesichts von radikaler Avantgarde auch so reagieren würde. Er strahlt enorm vieles aus, aber nicht wirklich eine grosse Liebe zur Überkomplexität.
Es gibt Don Draper als Puppe, es gibt Don-Draper-Modekollektionen, wegen Don Draper wurde das Wort «retrosexuell» erfunden. «Jon Hamm, wie fühlt man sich als Don Draper? Als eine Figur, die selbst fähig ist, Kultur zu definieren? Unter den Männern gibt es derzeit nur zwei, die mit ihm als Stilikonen mithalten können: David Beckham und George Clooney.» – «Jetzt haben Sie zwei reale Menschen und eine fiktionale Figur genannt!» – «Mit Absicht.» – «Es ist wichtig, dass Sie Don Draper genannt haben und nicht mich. Don Draper ist eine Kreation, eine Konstruktion, an der viele Leute gearbeitet haben. Ich habe mich noch nie versucht gefühlt, mich mit Don Draper zu identifizieren. Er hat kein wirklich gutes Leben, es ist eine Abfolge von Widersprüchen. Ich dagegen bin glücklich, erfüllt, ehrlich, total zufrieden. Don Draper sieht nur aus, als hätte er alles. In Wirklichkeit hat er nichts.» – «Haben Sie alles?» – «Mir fehlt es an nichts. Zum ersten Mal in meinem Leben.»
Bevor sich Jon Hamm 2007 an einem ganz normalen Casting die Rolle des Don Draper angelte, war er vor allem Kellner mit gelegentlichen Kleinstrollen. Aufgefallen ist er 1997 als stummer «gorgeous guy at bar» in einer Folge von «Ally McBeal». Da war der aus St. Louis stammende ehemalige Literaturstudent bereits 26 Jahre alt, und sein wichtigster Besitz war ein Skateboard, seinen Führerschein hatte er nämlich wegen zu vieler Parkbussen abgeben müssen.
Die Sache mit den Pornofilmen
Heute skatet er nicht mehr, heute ist er arriviert und gediegen, besitzt ein Heim in Los Angeles und eines in New York und spielt in seiner Freizeit Golf. Die Sache mit den Pornofilmen ist auch vorbei. «Halt, halt, ich habe einen Ruf zu verteidigen! Ich habe nicht für Pornofilme gearbeitet, sagen wir, für Erwachsenenfilme mit erotischem Inhalt, die sehr spät nachts …» – «Also Pornofilme.» – «Ich war zum Glück nicht Darsteller, ich habe bloss Requisiten auf dem Set herumschieben müssen, aber es waren die elendesten Tage meines Lebens.»Und was schaut der Mann, der als Hauptdarsteller und Co-Produzent von «Mad Men» Fernsehen neu definiert, denn selbst am liebsten? «Die Fantasy-Serie ‹Game of Thrones›: Mittelalter, Schwerter, Magie, Sex. Das gefällt mir.» So ist er, Jon Hamm. Halt einfach ein Mann.
Simone Meier, Tages-Anzeiger 14.09.2012
Bild: CC BY-SA 2.0, Jon_Hamm_Vancouver_Olympics_2010.jpg: John Bollwitt from Vancouver, Canada
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