Als Franz Liszt erstmals nach Weimar kommt, 1841, ist Goethes Thron seit beinahe einem Jahrzehnt verwaist. Diese Position ist zu besetzten. Aber da Liszt, anders als Goethe, eine Kunst betreibt, die sich vor den Bürgern der Stadt zu behaupten hat, muss er scheitern.

Auf der Bühne dieser kleinen Stadt ist die Kunst nicht zu erneuern. Als Franz Liszt das erste mal dieses Haus bezieht, 1869, da ist die Stadt schon gescheitert an ihm. Zwar, der Herzog lässt ihn diese Wohnung einrichten, die er bis zum Tode 1886 für jeweils einige Sommermonate bezieht, um an drei Tagen in der Woche Schüler zu unterrichten und so in gewisser Weise die Meisterkurse in Weimar zu begründen. Aber die großen Pläne sind gescheitert. Die für das Weimarer Musiktheater, die für die nationale Goethe-Stiftung, die für ein Festspielhaus für Wagners „Ring“.

Dieses Haus hätte Weimar in gewisser Weise vor sich selbst gerettet. Denn Bayreuth in Weimar, dann hätte die Stadt sich auf Dauer in der jeweils gegenwärtigen Welt spiegeln können. Das wäre ihre einzige Möglichkeit gewesen, über weit ausstrahlende Bedeutung nicht nur als Ort der Memorialkultur zu verfügen. Aber vielleicht liegt darin auch eine tiefe Symbolik, die sich mit praktischen Problemen tarnt. Neben den anderweitigen Interessen des Herzogs, der dem historisierenden Wiederaufbau der Wartburg mehr Geschmack abgewinnen konnte als einem Festspielhaus für Wagner, neben der Frage, was aus einem Bayreuth in den Farben der DDR geworden wäre, hinter diesen praktischen also steht eine andere, beinahe metaphysische Frage: Vielleicht sollte es so sein, dass Goethe das absolute und durch nichts zu relativierende Zentralgestirn im Kosmos Weimar bleibt.

Haus der Versöhnung

Aber von all dem weiß dieses Haus nichts. Was meint, es erzählt dem Besucher nichts, beinahe nichts, von der Geschichte der Stadt Weimar mit Franz Liszt. Gewiss, wenn die Altenburg das Haus des Scheiterns ist, der Isolation, so ist dies das Haus der Versöhnung: Er wurde, nach dem Abgang 1861, wieder eingeladen und er nahm die Einladung an. Aber dies ist der zentrale Erinnerungsort für Franz Liszt in Weimar und die eigentliche Geschichte bleibt unerzählt.

Damit sind wir in der ständigen Ausstellung im Erdgeschoss, in der sich ein Hörkabinett findet, eine Ausstellung, die in Verantwortung der Musikhochschule liegt. Und die sich ausnimmt, als wollten sie die Losgelöstheit der Musik von aller irdischen Gebundenheit demonstrieren.

Schrifttafeln markieren die Lebensorte des Vielgereisten, „Weimar“ ist als Tafel Gleiche unter Gleichen. Er wohnte, ist da zu lesen, mit seiner Lebensgefährtin in der Altenburg, „und empfing dort neben zahlreichen Schülern die namhaften Künstler seiner Zeit“. Das ist richtig, aber es ist, in dieser Verkürzung, beinahe so etwas wie eine Lüge über Liszts Leben hier. Nicht ein Wort wird der problematischen gesellschaftlichen Situation in der Stadt gegönnt. Die Goethe-Nationalstiftung kommt kurz vor, die Pläne für Wagner gar nicht. „Nach dem Skandal um eine Opernuraufführung im Jahre 1858 legte Liszt jedoch sein Hofkappellmeisteramt nieder und verließ 1861 die Stadt“. Ende der Durchsage. Man sage nicht, hier ginge es nur um die Musik, denn dieses Haus steht hier für Franz Liszt und nicht für die Musikwissenschaft. Diese Ausstellung ist eine Peinlichkeit.

„Wagnerischer Luxus“ in der ersten Etage

Und die erste Etage ist eine Augenweide. Bereits 1887, ein Jahr nach Liszts Tod, ließ Carl Alexander diese Räume zur musealen Nutzung herrichten, diesen Umstand verdanken wir die Authentizität des Musiksalons, des Arbeitszimmers und des Schlafzimmers. Das ist der Flügel, auf dem er spielte, das Bett, in dem er schlief, der Krug, aus dem er Wasser goss. Neben baulichen Sanierungsarbeiten wurde vor allem das Farbkonzept neu gestaltet und die textilen Vorhänge nach alten Fotografien. So habe man sich in diesen Räumen dem Originalzustand auf denkbar korrekte Weise angenähert. Der Zusammenklang der Farben, dies fällt auch einem historisch nicht versierten Besucher ins Auge, ist jedenfalls von edler Anmutung, von eben jenem „wagnerischen Luxus“, den Liszt vorfand und rühmte. Die Aura dieser Räume, die ihren einstigen Bewohner als beinahe gegenwärtig erscheinen lassen, ist von einiger Faszination und lohnt einen Besuch.

Liszt starb kurze Zeit nach seinem letzten Weimarer Aufenthalt in Bayreuth. In jener Stadt, die den Ruhm erwarb, den Franz Liszt für Weimar wollte.


Text: Henryk Goldberg

Text erschienen in Thüringer Allgemeine, 18.03.2011