1973 erschien in der kunsthistorischen Reihe “Idea Art” ein Text mit dem Titel “The Fake as More”. Die dreiseitige Abhandlung handelte von dem Künstler Hank Herron, der mit Repliken von Frank Stellas Gemälden in einer typischen New Yorker Galerie debütierte. Cheryl Bernsteins hochgestochene Rezension – so hieß die Autorin – wurde in der Kunstwelt interessiert auf- und für bare Münze genommen. Bis sie dreizehn Jahre später von dem Kunstkritiker Thomas Crow als Erfindung “enttarnt” wurde. Geschrieben hatte den Text nämlich die Kunsthistorikerin Carol Duncan. Ihr Ziel, ein paar grundlegende Mechanismen des Kunstbetriebs offen zu legen, war aufgegangen.
Ganz so neu ist die Idee des fiktiven Künstlers also nicht, die der britische Romancier William Boyd mit seinem fünften Roman 1998 vorlegte. Mit der jetzt ins Deutsche übersetzen „Biografie“ von Nat Tate, einem unbekannten Mitglied der New York School, jener legendenumwitterten Gruppe der amerikanischen Neoexpressionisten, befindet sich der 1952 geborene Autor in bester Gesellschaft. Auch ihm gelang es mit diesem „Werk“ geradezu prototypisch, die Szene an der Nase herum zu führen.
Als am 1. April 1998 der Musiker David Bowie die New Yorker Kunstwelt in Jeff Koons‘ Studio in Manhattan einlud, um Boyds Buch über den „vergessenen“ Künstler vorzustellen, kamen natürlich alle und gaben vor, ihn gut gekannt zu haben. Und waren immer noch untröstlich über seinen plötzlichen Freitod: Tate soll sich nämlich im Januar 1960 von Bord der Fähre, die von Staten Island nach New Jersey verkehrt, in die eisigen Fluten des Hudson gestürzt haben.
Boyds Roman bezieht seine Glaubwürdigkeit aus der geschickten Mischung aus Fiktion und Realität. Man merkt es dem Autor an, dass er lange als Kunstkritiker gearbeitet hat, so geschickt verschneidet er Fakten, die sofort Authentizität verbürgen, mit absolut glaubwürdigem Unsinn zu einem brillanten literary blend.
Er umgibt den Ziehsohn eines kinderlosen Millionärs mit wiedererkennbaren Figuren der damaligen Zeit wie dem Dichter Frank O’Hara oder dem 1930 in die USA emigrierten deutschen Maler Hans Hofmann; der große Abstrakte war das Vorbild der jungen amerikanischen Künstlergeneration von Jackson Pollock bis Frank Stella. Auch Tate besuchte seine berühmte „Summer School“ im Ferienort Provincetown auf Cape Cod an der amerikanischen Ostküste.
Gut erfunden dagegen ist die Figur Janet Felzer. Die Besitzerin einer Co-op-Galerie in Lower Manhattan verkaufte exklusiv Tates Bilder, die sein Stiefvater, der mehr und mehr von dem Talent seines Ziehsohns überzeugt war, sammelte. Und wer wollte einem Gewährsmann wie dem Romancier Gore Vidal misstrauen, dem Boyd in einer von insgesamt sechs kunstvoll erfundenen Fußnoten das Zitat von Tate als einem, „im Wesentlichen würdevollen Trinker, der nichts zu sagen hat“, unterschiebt?
Boyd setzt bei seiner Erfindung auf ein beliebtes Versatzstück vieler Künstlerviten: Die Figur des tendenziell Asozialen, depressiv Umflorten. Dass er Tate nach einem Besuch bei Georges Braque in Frankreich plötzlich seiner Mittelmäßigkeit bewusst werden und seine Werke kurz vor seinem nassen Abgang von ihm selbst vernichten lässt, ist ein genereller Seitenhieb auf den Aberwitz des Geniekults, und ein konkreter die Meute um Pollock&Co., aber auch die Young British Artists um Damien Hirst, die Boyd für ebenso überheblich wie überschätzt hält.
Nur für eine billige Schmähung der Kunstwelt, wie sie etwa Daniel Kehlmann mit seinem 2003 erschienenen Roman „Ich und Kaminsky“ vorführte, hätte sich Boyd aber sicher nicht so viel Mühe geben müssen. Sein raffiniertes Gespinst aus Personen, Verweisen und falschen Belegen goutiert man wie eine köstliche Praline.
Mit „Nat Tate“ demonstriert Boyd vor allem die Möglichkeiten des Romans. Wofür Jonathan Franzen tausend Seiten benötigt, schafft der Brite auf kaum 70. Die Fähigkeit, eine ganze Welt zu erfinden, trieb er vier Jahre später mit dem Roman „Eines Menschen Herz“ auf eine einsame Spitze. Logan Mountstuart, der New Yorker Homme de lettres, dessen Leben da in Form seines (fiktiven) Tagebuches aufgeblättert wird, trat schon in „Nat Tate“ als Gewährsmann für dessen Existenz auf.
Boyd verfolgt aber auch die kulturkritische Strategie des Fake – mit konservativen Mitteln. Der Kritikerin Carol Duncan ging es mit ihrer Rezension über den fiktiven Künstler Hank Herron eher um so etwas wie Diskurskritik. Sie wollte demonstrierten, dass man einen Künstler mit rhetorischen Floskeln im Kunstsystem implementieren kann, ohne je seine Bilder gesehen zu haben. Vertreter der Appropriation Art wie Sherry Levine oder Elaine Sturtevant unterlaufen unsere Konventionen um Autor, Original und Urheberschaft mit Arbeiten, denen man sofort ansieht, wer hier wen kopiert. Von den Strategen des Fake ist er der Eleganteste. So wie er an dem inkriminierten Fetisch „Bild“ festhält.
Der Autor hat nämlich ein paar Bilder von Nat Tate gerettet. Die kleine Zeichnung „Bridge no.122“ beispielsweise, die im Buch abgebildet ist, hält man sofort für ein Musterexemplar des Abstrakten Expressionismus. Dass ihr Schöpfer in Wahrheit William Boyd heißt, dem Schriftsteller,der von sich selbst sagt, er wäre am liebsten Maler geworden, muss kein Nachteil für dessen Absicht sein, das eine oder andere Werk aus Tates Nachlass demnächst bei Christies versteigern zu lassen, wie er einem Interviewer kürzlich augenzwinkernd anvertraute. So echt sehen diese Fälschungen aus.
Text: Ingo Arend
Bilder: Copyright © 2011 Berlin Verlag via berlinverlage.com
William Boyd: Nat Tate. Ein amerikanischer Künstler 1928-1960.
Aus dem Englischen von Chris Hirte
Berlin-Verlag, Berlin 2010, 96 S., 24 Euro
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25. Januar 2011 um 22:03 Uhr
2003 hat Ingo Arend eine Veranstaltung mit Daniel Kehlmann im Hamburger Kunstverein moderiert, wenn ich mich richtig erinnere. Der Auto las damals aus „Ich und Kaminski“. Ingo Arend war auch im Gespräch danach voll von leicht unterwürfiger Bewunderung. Jetzt nennt er den Roman eine „billige Schmähung“ und schreibt dazu noch den Titel falsch. Leute wie er glauben offenbar, niemand würde sich an irgend etwas erinnern. Und generell liegen sie ja auch damit richtig.
26. Januar 2011 um 09:23 Uhr
Danke sehr, geehrter Herr Panzer, für den Hinweis. Das y ist uns bei der Übertragung des Textes rein gerutscht. „Ich und Kaminski“ ist der exakte Titel.
Mit freundlichen Grüßen
Runhard Sage