Melodram
Mitten im Kitsch-Universum
François Ozons Film „Angel“ ist eine Hommage an das Technicolor-Kino der 50er-Jahre. Und ein Ausflug in einen mit Zuckerguss überzogenen Mädchentraum.
Sanft säuselt die Filmmusik, und der Vorspann nennt die Mitwirkenden in verschnörkelten Lettern, deren Pink uns in die Augen leuchtet. Dann laufen ein gutes Dutzend in Stiefeletten eingeschnürte Frauenbeine ins Bild. Wadenlange Faltenröcke schwingen fröhlich über ihnen hin und her und bilden ein grandioses Panoptikum an Stoffmustern. Mädchenuniversum. Schon sind wir mitten drin.
François Ozon ist berühmt für seine Frauenfilme. Mit fast allen großen französischen Schauspielerinnen hat der gerade 40-jährige und in Paris geborene Regisseur bereits gedreht. Sein größter Publikumserfolg war zweifellos das launige Krimi-Musical „Acht Frauen“ (2002) mit Catherine Deneuve, Isabelle Huppert, Emmanuelle Béart und Fanny Ardant. Auch in seinem neuen Film „Angel – Ein Leben wie ein Traum“ nimmt er sich Frauenschicksalen an, wendet sich aber einem neuen Genre zu: dem Melodram. Außerdem setzt Ozon auf unbekannte Gesichter, weshalb Charlotte Rampling, die gleichfalls fest zu seinem Star-Ensemble gehört, nur in einer Nebenrolle zu sehen ist.
Im Mittelpunkt steht ein junges blasses Gesicht mit großen blauen Augen. Es gehört Romola Garai. Die junge Britin spielt eine Schriftstellerin, die zu Anfang des 20. Jahrhunderts mit ihren supertrivialen Liebesromanen viel, viel Geld verdient und sich ohne Rücksicht auf Verluste ihren Traum vom schönen Leben kauft. Emanzipation unter den Bedingungen der Kulturindustrie, könnte man diesen Lebensentwurf nennen.
Schon als Kind schwänzte Angel die Schule, um sich mit aller Vehemenz in ein anderes Leben hineinzuträumen. Ihre kreuzbrave Mutter demütigt sie, wo immer sie kann, denn: Weibliche Unterwürfigkeit ist ihr ein Graus, zumal wenn sie ihr und nicht den anderen angetragen wird. Angel will Anerkennung, will raus aus der Bigotterie, will Grande Dame sein. Dafür schreibt und schreibt und schreibt sie, dummes Zeug, aber egal. Sie glaubt an sich und sie glaubt an das, was sie schreibt. Lesen liegt ihr nicht. Angel ist ungebildet, doch sie besitzt Charme – und vor allem Passion. Unverkennbar ist sie eine Mischung aus Emma Bovary und Scarlett OHara. Doch wie es sich fürs Melodram gehört, braut sich von den Figuren unbemerkt am Horizont das Drama auch schon zusammen: Der Mann des Herzens (Michael Fassbender) ist anderweitig verliebt.
Was interessiert Ozon an dieser bereits tausendfach bemühten Geschichte von gebrochenen Herzen, warum erzählt er sie noch einmal? „Ich wollte die schöpferische Kraft eines Menschen zeigen, der eine eigene Welt erfinden kann und dem das großen Spaß macht“, erklärt er in einem Interview.
Tatsächlich gelingt es dem Film, eine Heldin zu erschaffen, deren Freude an sich selbst man sich zunächst ebenso wenig entziehen kann wie ihrer Lust an Konsum und Macht durch Reichtum. Zusätzlich spiegelt sich in ihrem egomanischen Genießen auch der aktuelle Zeitgeist, man denke nur an Figuren wie Paris Hilton und ihre Fans. Und obwohl Ozon seine Hauptfigur offenkundig liebt, ihr unzählige Kostüme schenkt und die Kamera fast unausgesetzt ihren glänzenden Augen folgen lässt, ganz verfällt er ihr nicht. Denn er zeigt auch, wie brutal die Realitätsverweigerung der leidenschaftlichen Konsumentin ist. Bei Angels bedeutet das: Was ihre mit Zuckerguss überzogene Vorstellungswelt stört, hat nicht stattzufinden. Wie zum Beispiel der Erste Weltkrieg. Niemand in ihrer Umgebung darf ihn auch nur erwähnen. Mitgefühl ist ihr so fremd wie Kriegsbegeisterung. In ihrer Welt soll es einfach schön sein.
Damit inszeniert der Film beides, die anrührende, traumhafte und die gewalttätige Seite des weiblichen Kitsch-Universums. Konsequent legt er die brutale Naivität Angels offen, die jedwede Beschäftigung mit einem größeren gesellschaftlichen Zusammenhang verweigert, um sich ganz der privatistischen Weltflucht hinzugeben.
Trotzdem. Letztlich überwiegt die Liebe zur Staffage und zu Filmzitaten ein genaueres Ausleuchten vorgestanzter Mädchenträume. So sind die Anspielungen auf Douglas Sirk und weniger tolle Hollywoodproduktionen der 50er- und 60er-Jahre und die Hommage an Technicolor zwar ganz nett, aber in der Häufung redundant. Man wird den Verdacht nicht los, dass Ozon Lieblingsszenen und -filme auch zitiert, um sich selbst in die Filmgeschichte einzuschreiben.
Außerdem reicht eine leidenschaftliche Parteinahme für Drama Queens Marke Hollywood nun mal einfach nicht aus, um einen Film über zwei Stunden spannend zu halten. Der Stoff ist zu dünn und die Figurenkonstellation zu bekannt; es stellt sich kein Drama ein, das man tatsächlich ernst nehmen könnte. Man bleibt mit einem Achselzucken zurück. Auch wenn sich das unfassbar sattgrüne Abendkleid, das Angel im Moment ihres größten Triumphes und entgegen aller Regeln des guten Geschmacks trägt und das fantastisch aussieht, zweifellos in ein cinephiles Gedächtnis einbrennen wird.
Text: Ines Kappert
Zuerst erschienen in taz (09.08.2007)
Bilder: Concorde Film
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