Ines Kappert sprach mit Matthias Oomen, dem Bundessprecher des Fahrgastverbands Pro Bahn über das Bahn-Chaos


Der Deutsche schimpft für sein Leben gern, und die Bahn gehört zu seinen Lieblingsopfern. Was ist an der Klage berechtigt?

Matthias Oomen: Natürlich darf man klagen, wenn man gutes Geld hinlegt und die Züge Verspätung haben oder gar nicht kommen. Die Kommunikation bei der Bahn ist zweifellos verbesserungswürdig. Aber im Vergleich zur Situation auf den Flughäfen und Autobahnen muss man sagen: Die Bahn ist bei allen Einschränkungen die beste Alternative unter den drei großen Verkehrsträgern in Deutschland.

Viele schütteln gerade den Kopf über die vermeintlich verweichlichten Deutschen. Früher hätten alle Schneeketten im Kofferraum gehabt, heute erwartet der Bürger vom Staat, dass er für Tauwetter sorgt.

Im Ansatz ist das schon richtig. Der Mai ist nun mal ein einfacherer Monat als der Dezember.

Ein Wissen, das man auch Verkehrsunternehmen unterstellen sollte. Warum rüsten die sich nicht entsprechend aus?

Weil man heute die Schiene kaputtspart.

Was heißt das?

Jährlich investiert der Staat über eine Milliarde Euro zu wenig in die Bahn. Die notorische Unterfinanzierung führt dazu, dass wir heute die Winter schlechter händeln können als früher.

Wir frieren uns die Beine in den Bauch, weil der Staat zu geizig ist?

Richtig. Natürlich ist die offizielle Begründung der Sparzwang. Die Regierung investiert aber in den Straßenverkehr, der auch ohne Wintereinbruch rund 60-mal gefährlicher ist als die Schiene. Bei der Straße reden wir über eine Verdoppelung der bestehenden Infrastruktur, bei der Schiene unterhalten wir uns nur über allernötigste Instandhaltungen und die Beseitigung von Schäden aus dem Zweiten Weltkrieg. Auch der Flugverkehr wird laut Schätzungen mit bis zu 20 Milliarden Euro jährlich subventioniert.

Das sind seriöse Schätzungen?

Auf jeden Fall fließen Milliarden in diese wenig leistungsfähige und unzuverlässige Industrie. Zum Vergleich: Die Deutsche Bahn befördert in drei Tagen so viele Menschen, wie die Lufthansa im ganzen Jahr. Die Flugindustrie bezahlt keine Mehrwertsteuer, keine Wegekosten und kaum Stationsgebühren. All diese Privilegien sollte man abschaffen und das ersparte Geld in die Schiene investieren.

Wittern Sie jetzt Morgenluft für Ihre Forderungen, angesichts des zweiten harten Winters in Folge?

Nein. Die Regierung fordert von der Bahn eine jährliche Rendite von 500 Millionen Euro. Erst wenn sie davon abwiche, gäbs Morgenluft. Von dieser Summe ließen sich elf neue Züge pro Jahr anschaffen, und der ländliche Raum ließe sich endlich besser anbinden.

Was halten Sie von der Kritik, dass die Bahn heillos Personal eingespart hat und zudem unnötigerweise auf beheizte Weichen verzichtet?

Sie stimmt. Die Reduzierung des Personals ist aber auch dem Renditezwang geschuldet. Auch die beheizten Weichen fehlen in der Tat. Wenn man zu wenig Geld hat, dann spart man natürlich an Dingen, die man nicht sieht.

Als Unternehmen muss ich ja abwägen: Wenn das Risiko, wieder einen so harten Winter zu kriegen, relativ gering ist, ist es doch vernünftig an Leistungen zu sparen – beheizte Weichen -, die nur im Härtefall gebraucht werden?

Die Bahn ist ja kein privatwirtschaftliches Unternehmen. Sondern steht schlicht unter der Fuchtel des Eigentümers Bund. Und der verhält sich wie eine Heuschrecke. Jeder seriöse Kaufmann hat Interesse daran, dass sein Unternehmen über eine gesundes Eigenkapitaldecke verfügt. Dem Bund aber ist Nachhaltigkeit total egal, ihn interessiert nur die Rendite.

Die Regierung ist derzeit insgesamt nicht sonderlich beliebt. Kann sie sich weiterhin die verärgerten BürgerInnen auf den Bahnhöfen leisten?

Ja. Der Kunde macht ja nicht die Regierung verantwortlich, wenn ein Zug zu spät kommt. Und die Medien schlagen ja auch lieber auf die Bahn als auf die Verkehrspolitik des Bundes ein.

Geht der Bund mit dem Güterverkehr pfleglicher um, immerhin ist da mehr Geld im Spiel?

Auch nicht. Die Regierung favorisiert den Lkw und nicht den Güterzug. Und zieht die ohnehin begrenzten Mittel für Prestigeprojekte wie Stuttgart 21 ab.

Unter Rot-Grün wird alles besser?

Überhaupt nicht. Die letzte rot-grüne Regierung hat das ja gezeigt. Aber die nächste Regierung heißt ja auch Grün-Rot. Und dann wird alles besser.

Als Grünen-Mitglied mussten Sie das jetzt unterbringen?

Ja, ich bekenne mich offen zu meiner Mitgliedschaft.


Interview: Ines Kappert

erschienen in taz, 23.12.2010