Käfer und Fledermaus

Erinnert sich noch jemand an die Kleine Hufeisennase? Das ist die Fledermausart, die das Dresdner Elbtal bewohnt und die durch den Bau der Waldschlösschenbrücke kurzzeitig aus ihrer medialen Schattenexistenz aufgeschreckt wurde. Jetzt steht die Brücke, doch von der Kleinen Hufeisennase ist schon lange nicht mehr die Rede. Sie war – ähnlich wie der Stuttgarter Juchtenkäfer – nur als Einsatz in einer politischen Auseinandersetzung von Interesse, kümmerte aber darüber hinaus die Brückengegner so wenig wie die Befürworter. Wer weiß, was die Kleine Hufeisennase von der Brücke hält. Vielleicht entdeckt sie ja deren Unterboden als einen Ort, an dem sie in Zukunft ihre Tage ungestört verdämmern kann.

Brücken sind doch eigentlich eher friedliche, verbindende Zeichen in der Landschaft. Was sollte Fledermäuse daran stören? Spätestens mit dem Brückenschlag ist aus dem langjährigen Streitobjekt ein Faktum geworden, und welche Macht dem Faktischen innewohnt, ist bekannt. An dieser stählernen Macht perlt alles ab, was es an erregten Debatten gegeben hat. Auch die Gegner müssen zugeben, dass die Brücke gar nicht so schlecht aussieht. Man muss sie ja nicht gleich, wie die Architekten das tun, für „filigran“ und „behutsam eingepasst“ halten. Die ästhetische Auseinandersetzung mag die politische Debatte noch eine Weile auf der Geschmacksebene konservieren. Doch ob man das Bauwerk für schön hält oder nicht, hat keine Konsequenzen mehr. So wie sie ist, so wird sie bleiben.

Dresden hat die Aberkennung des Welterbestatus’ der UNESCO überlebt und kann mit Recht darauf verweisen, dass eine Brücke die Stadtlandschaft nicht zerstört, sondern einen neuen Akzent in ihr setzt. Alles ändert sich; schließlich sind auch schon in früheren Jahrhunderten wesentlich hässlichere Elb-Brücken in Dresden gebaut worden, ohne dass die Zerstörung einer zu bewahrenden Gesamtansicht beklagt worden wäre. Der Gedanke, den Ist-Zustand zu konservieren, ist eine besondere Eigenschaft unserer museal gestimmten Gegenwart – und vielleicht mussten wir erst durch die Zerstörungen des 2. Weltkrieges und die Rücksichtslosigkeiten des Städtebaues in Ost und West hindurch, um das, was übrig geblieben ist, für bewahrenswert zu halten – oder es wie die Frauenkirche wieder aufzubauen.

Demokratie ist aber, wenn man’s trotzdem macht, allen Einwänden zum Trotz. Das lehrt Dresden, und das wird vermutlich, so ist zu befürchten, auch Stuttgart 21 lehren. Die entscheidende Frage bleibt hier wie dort ungelöst; die Frage nämlich, wie in einer Demokratie Entscheidungen getroffen werden können, wenn weder parlamentarisches Prozedere noch Demonstrationen und Runder Tisch zu befriedigenden Ergebnissen führen. Am Ende sind die Bauwerke dann fertig und sehen prima aus, ohne dass wir wissen, wie das vor sich ging, ob das nun etwas mit Demokratie zu tun hatte und ob wir sie wirklich wollen. Und die Hufeisennase und der Juchtenkäfer werden schon gar nicht gefragt.


Text: Jörg Magenau

Bild: Waldschlösschenbrücke kurz nach Beendigung des Einschwimmens, 19.12. 2010, © Kolossos

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