Das schöne Wort pinteresk ist nicht ganz so populär wie das Urwort dieser personalbezogenen Adjektive, kafkaesk. Pinteresk, das meint etwas geheimnisvoll Unenträtseltes, eine merkwürdige Geschichte, die niemand recht versteht, die nie aufgelöst wird, der aber dennoch atmosphärisch eine tiefere Bedeutung eingeschrieben ist. Es war genau das richtige Wort zur Verleihung des Nobelpreises 2005. Da gelang ihm ein vorletztes mal die Störung des bürgerlichen Friedens, so umstritten, und in der Tat auch befremdlich, war diese Preisvergabe. Er bedankte sich mit einer Rede, die eine provozierende, im Ton pöbelnde Generalabrechnung mit den USA war und sich inhaltlich dennoch in Rufweite vorgefundener Tatsachen bewegte. So verrätselt Harold Pinter seine Stücke schrieb, so unverstellt war er in seinen politischen Statements. Seine radikal linke Position unterlag bei ihm keiner Konjunktur. Ein radikaler Gegner des Monsters USA und der Konservativen in seinem Land, er attackierte Margaret Thatcher für die Unterstützung des Chilenen Augusto Pinochet und Tony Blair für die des Amerikaners George W. Bush, er wandte sich gegen das Eingreifen der Nato in Jugoslawien und gegen den Krieg im Irak. Pinter folgte da nicht einem zeitgeistigen Mainstream, das waren Überzeugungen, die er seit Jahrzehnten lebte.
Der am 10. Oktober 1930 als Enkel jüdischer Einwanderer geborene Pinter gehört zur Generation der britischen zornigen jungen Männer, denen John Osborne 1965 mit seinem Stück Blick zurück im Zorn den Namen gab. Doch wo diese naturalistisch schrieben und so das Leben erklären wollten, da setzt ihnen Pinter ein merkwürdigeres, ein interessanteres Theater entgegen, in dem es ein wenig zugeht, als hätten sich der dunkle Kafka und der absurde Beckett miteinander verbunden: Und erklärt so, dass das Leben nicht zu erklären ist. Das darf man eine weise Haltung nennen. Eine Haltung, die dazu führte, dass Pinter in den Spielplänen der DDR kaum vorkam. In diesen Stücken, der 1960 uraufgeführte Hausmeister ist das bekannteste, geschehen Dinge, die niemand versteht, nicht selten sind die Figuren in einem Raum eingeschlossen wie in Kafkas Schloss – aber diese Absurdität vollzieht sich häufig auf eine beinahe vergnüglich zu nennende Weise. So konsequent, so brillant hat kaum wieder jemand Kafka und die Absurden zusammengeführt, da erscheint manch Späterer tatsächlich als Epigone. Pinter ist als Autor häufig ein glänzender Handwerker, Schauspieler mögen ihn, weil er ihnen gute Arbeit gibt. Seine zahlreichen Drehbücher für das Kino (u.a. Die Frau des französischen Leutnants, Die Geschichte der Dienerin, die Volker Schlöndorff inszenierte) sind überwiegend szenische Bearbeitungen vorliegender Bücher, auch das ein Zeichen beherrschten Handwerks. Harold Pinter war ein aufrechter Mann, der sich einmal in der Mitte des europäischen Theaters befand als sich dieses noch in der Mitte der Gesellschaft befand. So wird er bleiben als die Erinnerung an ein Theater, das eine wirkliche Bedeutung für die Gesellschaft gewann. Er starb als ein zorniger alter Mann.
Text: Henryk Goldberg
Harold Pinter starb am 24.12. 2008
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