Ein mannshoher Käfig, streng aus Vierecken gerastert, neun in der Höhe, neun in der Länge, gefertigt aus rostig wirkendem Stahl, der immer wieder von Stacheldrahtknoten durchzogen ist – Cube, die Arbeit aus brüniertem Stahl aus dem Jahr 2008 zählt zu den bekanntesten Werken Mona Hatoums. Sie enthält alle Kennzeichen ihrer Arbeit: Das Materialbetonte, Abstrakte, Geometrische, welches sie vom New Yorker Minimalismus der 60er Jahre hat und die Erfahrung eines fast körperlich spürbaren Schmerzes. Folter und Gefangenschaft sind naheliegende Assoziationen. Aber auch die einer Schönheit, die aus der Strenge kommt.
1975 musste die 1952 im Libanon geborene Künstlerin in den Wirren des Bürgerkriegs ihre Heimat Beirut verlassen. Dorthin waren ihre palästinensischen Eltern aus Israel geflüchtet. Seitdem lebt sie in London, wo sie Kunst studierte. Und pendelt, seit sie zur Jahrtausendwende ein Stipendium des deutschen DAAD-Künstlerprogramms absolvierte, zwischen Berlin, wo sie ein Atelier besitzt und der britischen Hauptstadt. Die Mischung aus Exaktheit und Emotion in ihrem Werk, aus Politischem und Privatem, hat sie in den letzten zwanzig Jahren zu einer der am meisten beachtesten Künstlerinnen der Welt werden lassen.
Dafür, dass Hatoum von der Berliner Akademie der Künste für ihr Lebenswerk mit dem mit 12.000 Euro dotierten Käthe-Kollwitz-Preis 2010 geehrt wurde, ist die Ausstellung in dem beengten Stammhaus am Pariser Platz vielleicht etwas klein geraten. Trotzdem lassen sich aus den 23 Arbeiten, die die Kuratorin Anke Hervol versammelt hat, Hatoums Grundthemen ablesen: Krieg, Exil und Heimatlosigkeit. Die Fremdheit, die damit verbunden ist, ist nicht immer einem konkreten Ort oder der Biografie geschuldet, sondern ein genereller Zustand. Wenn Hatoum eine Gemüsereibe aus dem Haushalt zu einem dreiteiligen Paravent vergrößert, an dessen Löchern und Klingen sich gefährlich verletzten kann, wer sich dagegen lehnt, kann man erkennen, wie sie mit der für ihr Werk charakteristischen Verschiebung der Größenverhältnisse arbeitet.
Anders als bei den Blow-Ups des amerikanischen Pop-Artisten Claes Oldenburg, die dazu dienten, die Materialität und Banalität von Alltagsgegenständen ins Bewusstsein zu heben, wandeln sie sich bei Hatoum dadurch plötzlich zu einem fremdartigen und bedrohlichen Objekt. „Heimatverbunden“ hatte sie sarkastisch eine Installation auf der Documenta XI genannt. Küchengeräte und Möbels standen da hinter einem elektrischen, laut summenden Drahtzaun. Und in Berlin hängt eine ganz neue Arbeit, Electrified III aus dem Jahr 2010 von der Decke, in der ein Wasserkessel, ein Sieb, eine Schöpfkelle mit einem Stromkabel verbunden sind.
In der politischen Färbung, im Engagement für das bedrohte Individuum treffen sich zwei, die eigentlich Antipoden darstellen: Die Realistin Kollwitz und die Konzeptkünstlerin Hatoum. Begonnen hatte alles in den achtziger Jahren in London mit Aufsehen erregenden Antikriegs-Performances. Über meine Leiche hieß eine Arbeit, mit der sie gegen das Massaker protestierte, mit dem die christlich-libanesischen Phalange-Milizen die Bewohner der im südlichen Stadteil von Beirut gelegenen palästinensischen Flüchtlinge abschlachteten. Ein anderes Mal steckte sie sich selbst in einen Leichensack, legte sich auf einen Tisch, überdeckt mit Blut und Gedärmen. Dazu spielte sie stundenlang Medienberichte über den Krieg zwischen Israel und Libanon ab.
Zu sehen ist diese kritische Auseinandersetzung mit der Politik aber auch noch in den skulpturalen Arbeiten von heute, aus denen sich die unmittelbare Betroffenheit und die familiäre Perspektive zunehmend verflüchtigt hat: In Worry Beads aus dem Jahre 2009 wirken die Rosenkranzperlen einer muslimischen Gebetskette, die auf dem Steinboden liegen, durch die Vergrößerung plötzlich wie Kanonenkugeln oder wie
eine Fußfessel. Und der gekippte Globus aus Weichstahl, den sie in ihrer Arbeit Globe von 2007 geformt hat, lässt sich als Metapher auf die Globalisierung lesen: Eine Welt wie ein Käfig, reduziert auf Längen- und Breitengrade, gefangen im Raster der Koordinaten. Das Abstrakte des Vorgangs, der individuelles Leid verursacht, lässt sich an einer Arbeit wie 3-D Cities ablesen. In die Landkarten dreier islamisch geprägter Städte – Bagdad, Beirut und Kabul – hat sie kreisförmige Einschnitte montiert, die wie Bombenkrater aussehen.
Mona Hatoum wird gern nachgesagt, in ihren Arbeiten persönliche Erfahrungen zu verarbeiten. Der Schluss mag naheliegen angesichts des Lebenswegs einer Künstlerin, die derart zwischen den Frontlinien von Ost und West agiert. Aber selbst wenn sie in der Videoinstallation Measures of Distance (1988) ihre in Beirut gebliebene Mutter nackt unter der Dusche fotografiert und selbst aus den Briefen liest, die diese ihr aus dem Libanon schrieb, wird neben einem höchst privaten Aspekt das Universelle ihrer Arbeit deutlich: Kommunikation über emotionale und räumliche Distanz. Mona Hatoum, Wandlerin zwischen den Welten, hat das ästhetisch Beste zweier Himmelsrichtungen in eine ganz eigene Kunst transformiert.
Hatoum selbst sieht die „Erfahrung der Fremdheit des Menschen in der Welt“, wegen der die Akademie-Jury ihr den Preis zuerkannte, nicht so melodramatisch, wie die Formulierung auf den ersten Blick klingt. „Das Exil bedeutet auch immer, die Welt aus einer zweiten Perspektive zu sehen, von der anderen Seite. Und das ist ein Privileg“ erklärt sie mit leiser Stimme in Berlin. Und sagt weiter: „Ich hänge nicht dieser romantischen Vorstellung von der Heimat als einem wahren, originalen Ort an“. Und dennoch teilt sich dem Betrachter das Bedrohliche dessen mit, was sie künstlerisch verarbeitet: Fremdsein, die allgegenwärtige Gefahr, Inneres und äußeres Exil.
Text: Ingo Arend
Die Ausstellung „Käthe-Kollwitz-Preis 2010 – Mona Hatoum“ ist bis zum 5. September zu sehen.
Die Akademie der Künste hat dienstags bis sonntags von 11 bis 20 Uhr geöffnet.
Der Eintritt ist frei.
Akademie der Künste
Pariser Platz 4
D-10117 Berlin
Telefon: +49 (0)30 – 200 570
Telefax: +49 (0)30 – 200 57 16 06
„Measures of Distance“ (1988)
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