Der französische Theatermacher Philippe Quesne verknüpft an den Münchner Kammerspielen die Bilderwelt der deutschen Romantik mit der weiten Welt der Cowboys – und huldigt mit „Caspar Western Friedrich“ dem großen Nichts.
Der französische Theatermacher – oder sollte man besser sagen: Theaterträumer – Philippe Quesne, 45, hat im Auftrag des neuen Intendanten Matthias Lilienthal zwei Welten zusammengedacht: die deutsche Romantik und die Welt der Cowboys. Die Idee ist auf den ersten Blick bestechend, die Gemeinsamkeiten fallen sofort ins Auge: die Weite der Natur, sternklare Nächte, die Einsamkeit der Helden, ihre Melancholie. Aber vielleicht ist damit auch schon alles gesagt.
Dem großen Filmtheoretiker und Kritiker Georg Seeßlen fallen zum Thema „Caspar David Friedrich und der Western“ im Programmheft jedenfalls auch nur „Fragmente“ ein; die Parallelen zwischen beiden Welten bestehen bei ihm vor allem aus parallel formulierten Sätzen. (Spiegel)
Georg Seeßlen im Programmheft:
CASPAR
Wenn einer schon Caspar heißt! Wie jener der aus den Kellern seines Jahrhunderts auftauchte, nur um bald darauf von schwarz Gewandeten erdolcht zu werden. Die Lebensdaten von Kaspar Hauser und Caspar David Friedrich überschneiden sich; der eine, der Findling, der sein wollte, wie einmal ein anderer war, ist umschlossen von der Lebensgeschichte eines Malers, der eine große Welt vorfand, in der kaum Platz für Menschen war.
WESTERN
Weites Land und Großer Himmel! Der Lebensweg eines Westerners führt zur Erkenntnis, dass er in einem Land umherirrt, in dem er nichts verloren hat. Genauer gesagt: Alles hat er hier verloren. Noch genauer gesagt: Er hat alles das verloren, von dem er nun erkennt, dass er es ohnehin nie gehabt hat, ja nicht einmal erhoffen durfte.
FRIEDRICH
Von wegen Romantik! Sich als Sohn eines Seifensieders als freiberuflicher Künstler durchzuschlagen, den bürgerlichen Markt statt eines Fürsten vor Augen, der die Kunst zu schätzen wüsste, von Selbstzweifel und Depression geplagt, auf und ab im ökonomischen und sozialen Sinn, und von Sinnen durch ein nördliches Land, dann wieder besoffen von Nationalismus und Welschenhass. Einer der ersten Maler, die das Licht des Südens gescheut haben.
WESTERN
Der Western ist das postkoloniale Männermärchen; das sagt sich so leicht. Wenn einer im Western losreitet, jedenfalls, dann weiß er, dass er nicht zu retten ist.
Entweder er kriegt ein Stück Blei in die Brust, oder er muss heiraten. Und wenn er geheiratet hat, dann kriegt seine Frau ein Stück Blei in die Brust, und er muss wieder losreiten.
Und jedesmal werden die Nächte dunkler, die Wüsten wüster und die Berge höher.
Aber irgendwas ist ja immer da, was noch zu tun ist. Sonst wären Western ja mit der ersten Einstellung zu Ende, die nicht nur bei John Ford den Selbsmord (oder die Rückkehr nach Irland, was das selbe wäre) meinen. Irgendwas macht den Weg in den Tod mächtig interessant und eigenartig schön.
CASPAR
Der Mensch ist ihm fremd geblieben. Nur als staunenden, verlorenen und reisenden hat er ihn sehen können.
WESTERN
Das Glücksbild des Western ist der Mensch, der sich entfernt.
FRIEDRICH
Eine große Ruhe ist eingekehrt, eine gefährlich Stille. Wie zwischen zwei Katastrophen. Alles ist Wirkung, nichts stimmt. So kann man die Natur genau so wenig „lieben“ wie den Menschen.
WESTERN
In einem guten Western kommt immer jemand vor, der den Verstand verloren hat.
CASPAR
Zar Nikolaus I., nicht der kunstsinnige Fürst unserer Träume, adoptierte diese Bilder von der Welt ohne Menschen. Jener, der nahezu wider Willen zum Herrscher wurde, und dann entschieden die Despotie modernisierte. Mit Geheimpolizei und Bürokratie. Antisemitismus und Rückkehr zur Leibeigenschaft. Was fand dieser Tyrann an den Bildern von Caspar David Friedrich?
WESTERN
Der Western ist die Poesie der verständnisinnigen Fremdheit. Niemand findet hier Heimat, und keiner verwandelt eine Wildnis in einen Garten. Aber wenn es gut geht, wird hier etwas von der Freiheit verwirklicht, die man ein Jahrhundert zuvor gedacht hat. Demokratie und Kapitalismus werden hier, an der Grenze, ausprobiert. In allen Idyllen und Mustern. Und noch mehr in allen Perversionen und Katastrophen.
FRIEDRICH
Dass es nie aufhört, diese Weite, dass alles, was man sieht, nur wieder Beginn dessen ist, was man noch sehen könnte… Ist das Freiheit?
Der Blickraum, der Bewegungsraum und der Kommunikationsraum sind so absurd zueinander, dass man gar nichts von alledem erst probieren muss. Nicht Blicken, Nicht sich Bewegen, Nicht Kommunizieren. Man hört in Kaspar David Friedrichs Bildern niemanden sprechen. Nicht einmal, sagen wir: „Donnerwetter“. Nein, nicht einmal seufzen hören wir den Menschen.
WESTERN
Blickraum, Bewegungsraum und Kommunikationsraum befinden sich im Western zumeist in einem demokratischen Verhältnis. Jemand gibt es, der einem erklärt, dass die Berge drei Tagesritte entfernt sind. Und dem jungen Heißsporn muss dazu noch erklärt werden, dass ein Pferd sich zwischendurch ausruhen muss. Man darf sich weder zur Ungeduld verleiten lassen, noch zum Phlegma.
Aber natürlich gibt es auch die Wüste, und es gibt Monument Valley mit seinen Tafelbergen, den Kathedralen der Endlosigkeit. Und doch hören wir gerade hier jedes Flüstern, jeden Windstoß.
CASPAR
Immer wenn das Land extrem wird, kommt Gott ins Spiel. Oder natürlich seine Abwesenheit. Er war einmal, vielleicht, und hat ein paar Ruinen hinterlassen. Die Natur ist zurück gekommen. Gott hat vor der Natur (seiner Schöpfung) kapituliert.
WESTERN
Westerner glauben nicht an den christlichen Gott. Etwas indianisches ist in sie hinein gekrochen. Sie erkennen die Natur. Sie überwinden, wenn sie Glück haben, den europäischen Romantiker in sich und spalten sich auf in den neuen amerikanischen Pragmatiker und in den indianischen Krieger, der in der Natur liest wie der Pfarrer in seiner Bibel.
FRIEDRICH
Niemand lacht in einem Bild von Caspar David Friedrich. Es ist auch das Homerische Lachen verschwunden. Vergletscherung und Vereisung, Vernebelung und Sonnenuntergang. Die Menschen, die wir vorzugsweise von hinten sehen (als müssten wir Menschen beim Zusehen zusehen) schauen nicht die Natur an, sie schauen ihrem Verschwinden zu.
WESTERN
Viel zu schnell folgt auf die Weite die Enge. Ist es nicht absurd, dass inmitten der endlosen Prärie diese Eindringlinge sich Behausungen schaffen, in denen es ihnen gar nicht eng genug sein kann? So eng, dass sie einander sogleich umbringen müssen.
CASPAR
Eine Sehnsucht hätte ich schon, aber kein Begehren. (Keines, von dem ich Mitteilung machen darf!)
WESTERN
Für den Westerner ist das Land so sehr Körper, dass sein Körper am Ende einer Landschaft gleicht.
FRIEDRICH
Der Tod als Begleiter. Lebte er nur, weil sein Bruder für ihn gestorben war? Oder war es etwas anderes, dass die Freude verbat, das Lachen und die Sinnlichkeit? Als müsste dieser Welt die Lust ausgetrieben werden, für einen Hauch der Erhabenheit.
Wenn diese Landschaft ein Körper ist, dann ist sie ein Leichnam, Nur Erstarrung ist gestattet.
WESTERN
Nach dem Bürgerkrieg musste im Westen die USA noch einmal gegründet werden. Aber von Anbeginn an schon in Form des Mythos und des Entertainments. Es ging nie darum, alle diese Geschichten wirklich zu glauben. Es ging darum, sie sich in endlosen Varianten erzählen zu können. Und so, dass an allen Ecken und Enden auch die Widersprüche und die Schmerzen, die Schuld und das Elend auftauchen können.
CASPAR
Was geschähe denn, wenn man die Bilder von Caspar David Friedrich in Bewegung setzte, ihnen eine historische Grammatik verpasste, oder ein Vorher und Nachher in einer tall story? Ließen wir den Kerl vom Kreidefelsen stürzen oder ein Skizzenblock zücken? Die Schiffe aus dem Eis oder die Mannschaft herüber? Das Packeis bersten und ein Tier freigeben, das sich hier, und nur hier, wohlfühlt?
Oder müssten wir erkennen, dass es gar kein eingefrorener Moment sondern ein Moment des Einfrierens ist? Es ist der Körper, der nicht leben kann, und es ist das Land, das nicht leben kann.
CASPAR WESTERN FRIEDRICH
Der Tod.
WESTERN
Der transzendentale Augenblick. Die Verwandlung der Wüste in einen Garten ist gescheitert. Aber die Grenzen sind neu gezogen zwischen der Bewegung und dem Blick.
FRIEDRICH
Der transzendentale Augenblick. Die Verwandlung des Landes in eine Nation ist gescheitert. Aber die Grenzen sind neu gezogen zwischen dem Menschen und der Natur.
WESTERN
Die Verwandlung der Freiheit in Demokratie ist gescheitert. Aber ein neuer Mensch ist entstanden.
CASPAR
Die Verwandlung des Menschen in den Bürger ist gescheitert. Aber ein neuer Blick ist entstanden.
WESTERN
Es gibt mehr Leere als je zu füllen wäre. Man hat seine Heimat ja gefunden, wenn man die Weite in ihr anerkennt. Aber wer kann das schon. So entsteht der Song.
FRIEDRICH
Es gibt nur die Leere der Natur gegen die lärmende Fülle der Gesellschaften. Dieser unentwegte Sturm der Ideen. So entsteht die Symphonie.
WESTERN
Der Augenblick der Verzweiflung löst sich in Bewegung auf.
CASPAR
Die Verzweiflung hebt sich in einem Augenblick ohne Bewegung auf.
WESTERN
Alles wovon sich zu träumen lohnt, das wusste Mose Harper, ist ein Schaukelstuhl auf der Veranda.
FRIEDRICH
Man kann doch da nicht bleiben, verflucht nochmal. Man kann doch da nicht bleiben.
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