Kosmische Bauwerke 

Der Architekt Philipp Meuser entführt uns auf eine Entdeckungsfahrt: Kinos und Ferienanlagen, die wie UFOs aussehen, Funktürme in Gestalt von Raketen. Die „kosmische Phase“ nennt der Herausgeber die sowjetische Epoche, in der die Weltraumidee das Denken und Bauen bestimmte. Und legt einen Band vor, der mehr zeigt als morbide Sowjetmoderne.

Außerirdisch weiß, kreisrund und filigran ist das Sanatorium „Druschba“ in Jalta an die dortige Felsküste gebaut. Als sei eben ein Raumschiff gelandet, das gleich wieder abheben wird. Sein Architekt Igor Wassiljeski sagt dazu: „Um nichts anderes ging es uns als um die Überwindung der Schwerkraft.“

Der Berliner Verleger und Fotograf Philipp Meuser, Jahrgang 1969, hat einen Text- und Bildband vorgelegt, der „die kosmische Phase“ sowjetischen Bauens zum Thema hat. Sie beginnt, wie der Autor schreibt, spätestens mit dem Sputnik-Start. Ihre Wurzeln aber reichen weiter zurück: Bereits in mystischen Erzählungen ist die Reise zu den Sternen Thema. Vor allem aber Entdeckungen wie Einsteins Relativitätstheorie oder die Erfindung von Flugapparaten ließen Unmögliches möglich scheinen, befeuerten utopisches Denken und fielen in Russland in dieselbe Zeit wie die Anfänge des großen utopischen Gesellschaftsprojekts. Nirgendwo sonst schien die Eroberung des Alls so eng verquickt mit dem Glauben an die Veränderbarkeit der Welt.

„Architektur für die russische Raumfahrt“ ist eine Spurensuche nach den architektonischen Zeugnissen jenes Aufbruchs, die noch heute in den entlegensten Winkeln der Sowjetunion zu finden sind. Seit vielen Jahren fotografiert Meuser Bauwerke wie das „Druschba“ auf der Krim oder Weltraummosaiken, die Kosmonauten zeigen – oder das Ministerium für Straßenbau in Tiblissi, das mit scheinbar schwerelosen Betonquadern an eine Wirklichkeit gewordene Science-Fiction-Idee erinnert.

Dabei ist Meusers Unternehmung nicht das erste Projekt, das aus westlicher Perspektive die spacigen Formen sowjetischer Architektur entdeckt. Gerade in jüngster Zeit sind mehrere Bücher zum Thema erschienen – darunter Frédéric Chaubins „CCCR, Cosmic, Communist Constructions“ von 2011, ein Fotoband, der in mächtigen Bildern morbide Sowjetbauten zeigt, und Katharina Ritters „Sowjet Moderne 1955-1991“ aus dem vergangenen Jahr – eine sehr gut recherchierte Architekturgeschichte.

Das Besondere an Meusers Band ist, dass er mehr will als das. Mit einem deutsch-russischen Autorenteam ist er ausgeschwärmt, um den Menschheitstraum aufzuspüren, um dessen willen die Sternenstädte gebaut worden sind. Neben seinen Architekturfotografien zeigt er deshalb Aquarelle früher Weltraumfantasien, Zeichnungen von Sternenflügen und suprematistische Kunst. Darüber hinaus lässt er russische Kulturwissenschaftler, Zeitzeugen und Kosmonauten zu Wort kommen.

Indem er diesen weiten Bogen schlägt, nimmt er die Architektur als Ausdruck utopischen Denkens ernst. Entsprechend sind seine Fotografien erfreulich unlakonisch: Keine der sattsam bekannten Metaphern nachsowjetischen Zerfalls erwarten den Leser, sondern eine Entdeckungsfahrt, die erstaunlich bunt daherkommt und neugierig macht.

Mit seinem Prachtband zieht Meuser zwar keineswegs eine kritische Bilanz des kosmischen Projekts – der militärische Aspekt der Raketentechnik oder Unfälle in der Raumfahrt werden eher beiläufig thematisiert. Dafür lädt er ein zu einer Entdeckungsfahrt. Wer sich mitnehmen lässt, erfährt durch den Zusammenklang gerade der reichen, visuellen Eindrücke etwas, das über die einzelnen Aspekte hinausgeht. Als wollte Meuser in einer ernüchterten Zeit eine Fehlstelle zeigen: Die Schönheit der kosmischen Idee.

Tina Veihelmann

Bild: Illustration aus Philipp Meuser: Architektur für die russische Raumfahrt

Philipp Meuser- Architektur für die russische RaumfahrtPhilipp Meuser: Architektur für die russische Raumfahrt
DOM publishers, Berlin 2013
412 Seiten, 366 Abbildungen, 78 Euro

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