Die Sparks haben eine Radio-Oper geschrieben. Das ist schon mal gut, und die Erzähl-Idee dazu ist beinahe noch besser: Der schwedische Filmemacher Ingmar Bergman, Angst-ridden, existentiell auf der Suche nach Wahrheit und Ich wie je, gerät in die Glitzerwelt von Hollywood, ohne recht zu wissen wie und warum. Das Tiefe und die Oberfläche begegnen einander, stoßen sich ab, ergänzen sich, widern sich an, versuchen sich zu verbünden, wenigstens zu verstehen, es entsteht ein geniales Kuddelmuddel. Ein Alptraum aus Fröhlichkeit und Entsetzen.
Und das ist natürlich genau das, was die Musik der Sparks ausmacht. Die Brüder Ron und Russell Mael, die mit wechselnden musikalischen Mitarbeitern einerseits einen ganz eigenen musikalischen Kosmos geschaffen haben, andrerseits aber auch immer sehr intensiv und direkt auf die Geschichte von Pop und Politik reagiert haben, haben immer daran gearbeitet, Oberflächen zu durchstoßen.
Was ist so verdammt komisch an den Sparks? Erstens: Ihre Musik macht keine Witze (wie, sagen wir, Frank Zappa oder die Eels), sie ist ein Witz. Sie führt einen mit der temperamentvollen Fröhlichkeit von Ron Maels musikalischen Maschinen und der kindlichen Falsett-Stimme von Russel Mael immer wieder um’s Eck. Zweitens: Alles kann Sparks-Musik werden, unverwechselbar und überraschend. Glam-Rock, Techno, Pop, Intimität, das Großorchestrale, Selbstreferenz, Klassik, Surrealismus, Sophistication, alles das und noch viel mehr kann man den Sparks zuordnen, ohne ihre Konzept-Kunst zu fassen. Nur das ist, drittens, sicher: The Sparks sind high concept.
Daher sind einzelne Alben auch nicht nur musikalische sondern auch narrative Einheiten, sie haben oft durchgehende Themen oder Erzählungen. Es steckt schon immer etwas von einem Musik-Drama, man kann auch sagen: Oper in den Sparks-Arbeiten. So ist nun das neue Werk, ein Radio-Drama mit Musik, zugleich Vollendung und Neuanfang.
„The Seduction of Ingmar Bergman“ beginnt damit, dass eine Sprecherin des Filmfestes von Cannes 1956 verkündet, der Regisseur werde (ausgerechnet) mit dem „Best Poetic Humour Award“ für „Das Lächeln einer Sommernacht“ ausgezeichnet. Und schon hören wir Bergman, perfekt gesprochen von Jonas Malmsjö, verzweifelt räsonnieren. Dann erscheint ein nervtönend gut gelaunter Fahrer mit Limousine, „Mr. Bergman, Sir, welcome to our town. Hollywood is here for you. I got a feeling you will love our town“. Aber Bergman ist nur verwirrt: „Excuse me, where are we going? I am Ingmar Bergman! What am I doing here?“ Der anschließende komische Höllentrip mit dem Limo-Chauffeur (Ron Mael) als beflissen-sarkastischem Begleiter kulminiert zunächst im vergeblichen Versuch, nach Schweden zu telefonieren („Sorry. We have a Spain and a Tasmania. No Sweden“), führt über eine sehr komische Einführung in die Geschichte der Hollywood-Imigranten während des Essens, den Beginn der „Unnamed Ingmar Bergman Production“, die im übrigen auch von einer fröhlichen Menge im „Hollywood Tour Bus“ besucht wird, zum Flucht-Versuch des von Autogrammjägern, Studiobossen und anmaßenden Schauspielern gepeinigten Ingmar Bergman. Da zeigt die Traumfabrik ihr wahres Gesicht, der fremde Regisseur wird von Polizisten verfolgt, bis zum bitteren Ende; „You have no hope and no prayer, You sure ain’t going nowhere“. Und vor seiner minder glücklichen Heimkehr hat Ingmar Bergman noch eine Begegnung mit Greta Garbo (Elin Klinga). „He’s Home“ singt der Chor der „glücklichen Schweden“, „and we’re so glad“ und „The Seduction failed“. Ein echtes Sparks-Happy End.
Die („innere“) Stimme Bergmans gibt den Generalbass für den Einsatz der unterschiedlichsten musikalischen Genres und Methoden, ein bisschen ist das auch, wie ein Anthologie-Stück der Sparks-Geschichte. Da sind die rhythmischen „marching“-Teile, da ist ein kräftige Portion Kurt Weil, Jazz und Swing und immer wieder das Klangbild. Die einzige Vorgabe, die Sveriges Radio den Sparks machte, war, dass ihr Radio-Musikdrama in weiten Teilen auf der schwedischen Sprache basieren musste, und daher benutzen die Maels sie so, wie sie vieles benutzen, als musikalisches Material. Auch wenn man kein Wort schwedisch versteht, ist allein der Klang der Sprache und der Kontrast mit dem Slogan-Englisch der Hollywood-Leute und des Beverly Hills Hotel-Personals eine Geschichte der Fremdheit und der Selbstbestimmung.
Am Ende ist es auch so etwas wie eine Wiederentdeckung eines weitgehend verschwundenen Kunst-Stücks, nämlich des Radio-Dramas, des Hörspiels mit Musik. „Neben unserer Liebe zu Ingmar Bergman hat uns Orson Welles’ Art inspiriert, das Medium zu benutzen.“, sagt Ron Mael. Tatsächlich funktioniert „The Seduction of Ingmar Bergman“ höchst suggestiv, es geht um wesentlich mehr als um eine kuriose Geschichte, die mit Sparks-Song angereichert ist (aber natürlich kann man das Stück auch genau so genießen). Für diese Suggestion ist einerseits der dokumentarische Touch zuständig. Die Sparks-Musik „erzählt“ nicht, sondern schafft immer ganze theatralische, oder eben kinematografische Sequenzen, Instrumentierung, Rhythmen, Sounds – das alles läuft auf Darsteller, Ausstattung, Beleuchtung und Montage hinaus. Ein guter Sparks-Song ist immer schon Kopf-Kino, weniger musikalisches Statement als ein akustisches Bildermalen. Und diese Bilder sind reiner Pop, also Aneignungen und mehr oder weniger kritische Verarbeitungen der Alltagskultur und der akustischen Sensationen des Mainstream. Und andrerseits ist „The Seduction of Ingmar Bergman“ auch eine akustische Erzählung in der ersten Person Singular, eine Subjekt-Oper.
Der Trick nun ist, dass aus der Begegnung von Kunst und Traumfabrik, Verführung und Machtkampf, durchaus wieder Kunst wird, und die Geschichte erschöpft sich nicht in der Konstellation eines guten Künstlers, der sich in einer wie man so leichthin sagt „kafkaesken“ Reise (hier ist das Wort allerdings durchaus angebracht, die Bezüge zu „Amerika“ und „Das Schloss“ sind einfach unübersehbar) im bösen Hollywood verirrt. Bergman träumt Hollywood, wie sich Hollywood Bergman träumt. „Ah, but Bergman well, he examines all, and most of all himself“ schwärmt der Chor der glücklichen Schweden bei seiner Rückkehr, und mit „Good Night, that’s all“ endet die Geschichte. Wir waren eine Stunde im sonnigen Wunderland der Alpträume.
Der olle Schopenhauer meinte einst, Musik könne auf keinen Fall komisch sein, da sie ausschließlich dem Willen, wenn auch in seiner reinen und abstrakten Form zugeordnet sei. Vielleicht nicht nur Richard Wagner, sondern auch die Rolling Stones könnten ihm da recht geben. Aber die Musik kann so pathetisch und heilig daherkommen, es drängt sich doch immer wieder die Vorstellung hinein. Und dann kann Musik nicht nur komisch werden, sondern sogar, wie bei den Sparks, hochkomisch.
Die Sparks arbeiten übrigens an einer Bühnen-Version von „The Seduction of Ingmar Bergman“, und auch eine Verfilmung wäre ihnen gerade recht. Ursprünglich war das ganze nur ein Seitenprojekt zwischen zwei Sparks-Alben. Aber dann wurde sehr rasch klar, dass das ganze etwas Größeres ist. Es ist Russell und Ron Mael wohl gelungen, ein hybrides neues Genre der Pop-Musik zu erfinden.
Autor: Georg Seeßlen
SPARKS the official website
The Seduction Of Ingmar Bergman auf last.fm
Sparks: The Seduction of Ingmar Bergman
Released 19. 08. 2009 (CD, Swedish)
Recorded for Swedish Radio
Genre Radio musical, chamber pop
Length 64:32
Label Lil‘ Beethoven
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