Wie man der Zeit beim Verrücktwerden zuhört
David Lynch macht Filme, okay, und für seine Filme ist er berühmt geworden. Aber eigentlich ist er einfach ein Künstler, der optisches, akustisches und haptisches Material verwendet. Pop und Avantgarde. Räumlichkeit, Zeitlichkeit, Subjekthaftigkeit und vor allem: Auflösungen von alledem. Kindliche Naivität, Surrealismus, Americana, Rock’n’Roll, Industriedesign, Mode & Meditation. Die ersten Arbeiten von David Lynch, damals noch auf der Kunsthochschule, waren Klang- und Raumskulpturen, seine ersten Filme benutzten Musik und Geräusche und gerade das, was zwischen beidem liegt, dieses „kosmische“ Atmen und Rauschen, die extrem verlangsamten und repetitiven Songs wie „In Heaven“ etc. nicht bloß als Illustration, sondern, ziemlich direkt, als Herz der Bilder. Als arbeitendes Herz, um genau zu sein.
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Trailer
Denn eigentlich funktioniert die Kunst des David Lynch stets nach einem einfachen Prinzip, nämlich der Erzeugung der Energie eines Kurzschlusses zwischen der Innenwelt und der Außenwelt, dem Mikrokosmos in einem Menschenhirn und dem Makrokosmos von, äh, allem anderen. Etwas will hinaus, und kann es nur als Wahn, etwas will hinein und kann es nur als verzweifeltes Entleeren. So ein Kurzschluss tut weh, auch wenn er gleichzeitig so schön ist; im richtigen Leben würden wir Paranoia dazu sagen, wenn der Begriff nicht so elend vernutzt worden wäre. Auch David Lynchs Musik, mit oder ohne Bilder, kann man mit einem Begriff beschreiben: Schöne Paranoia.
Hier kann man zwischen einem Körper und der Welt, in der er sich bewegt, nicht genau unterscheiden. David Lynch behandelt die Welt wie einen Körper, und den Körper wie eine Welt. Musik ist das, was durch beide fließt. Das Blut in einer Nabelschnur. Die wird durchschnitten, die muss durchschnitten werden. Immer und immer wieder. Dieser Schnitt ist der Beginn der Paranoia. Oder ein Beginn von vielen Beginnen.
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Auch David Lynchs Musik, mit oder ohne Bilder,
kann man mit einem Begriff beschreiben: Schöne Paranoia
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Es steckt in den Maßen und den Ordnungen. Was ist groß, und was ist klein? David Lynch macht winzig kleine Bilder (in Streichholzbriefen zum Beispiel) und riesengroße (Deckengemälde). In seinen Filmen darf man nichts auf Entfernungen und Zeiträume geben
Die Verzögerungen in seiner Musik entsprechen Beschleunigungen der Vibrationen. Der Schluchz-Rock’n’Roll, den er gerne zitiert, macht durch nochmalige Verlangsamung aus einem hysterischen Anfall einen Zustand vollkommener Weltverneinung; der Delta-Blues geht in ein wiegendes Auf-der-Stelle-Treten über. Wenn Zombies Musik hören könnten, dann würden sie vermutlich David Lynch-Musik bevorzugen.
David Lynch hat das Kino immer nur als einen seiner medialen Exkursionen angesehen; im wesentlichen ist er ein Bildender Künstler, der mit Klängen umgeht wie ein Bildhauer mit dem Raum oder ein Maler mit Farben. Für die Bibliothek der Mysterien in der Ausstellung „Mathématiquese – un dépaysement soudain“ in Paris hat er gerade einen Klangraum entworfen, in dem sich die großen mathematischen Modelle bis zu Alan Turings „Computing Machinery and Intelligence“ mit einem „Himmel“ aus Zeichen und deren Auflösungen und den sphärischen Klängen verknüpft. Und Patti Smith singspricht dazu. Aber auch hier ist der Zusammenhang zwischen Raum und Musik wesentlich. Wo diese Musik ist, noch so eine Transformation, werden Zeichen zu Körpern und Körper zu Zeichen. Einfacher gesagt: Wenn „normale“ Musik die Menschen zum Tanzen bringt, und die Welt um sie herum zum Verschwinden, dann bringt David Lynchs Musik die Menschen zum Verschwinden und die Welt um sie herum zum Tanzen. Trance ist nicht das richtige Wort dafür, es handelt sich eher um so etwas wie einen akustischen Klartraum. Denn Lynchs Musik verschwindet selbst keineswegs, wie gewisse Ambient- oder Industrial-Klänge, sie bleibt, das ist auf der CD „Crazy Clown Time“ besonders zu hören, durch ihre Unangemessenheit, die Benutzung gleichsam antiquierter Synthesizer- und Vocoder, durch ihr deklamatorisches Drängen, eine ständige Gereiztheit und Unerlöstheit (und dazu Texte, die von Gereiztheit und Unerlöstheit handeln) extrem präsent. Das Schöne und Schreckliche dieser Musik ist, dass man sie nicht zum Schweigen bringen kann.
Noch einmal zurück zum Deckengemälde in Paris. Hier sieht man, wie Lynchs eigene Ausdruckswelt sich zusammen setzt. Da sind die sehr einfachen, manchmal fast kindlich-naiven Elemente (hier sind es Bäume, Fische, Elefanten, Vögel, Menschen, Berge, Kontinente Sterne, Milchstraßen, und im Inneren Moleküle, Zellen, Amöben… Dann ist da die Wiederholung, das insistierende Serialisieren, und es sind die Ränder, ein endloses Innen und ein endloses Außen. Vom unendlichen Mikro zum unendlichen Makro, von einer Form der Unsichtbarkeit zur anderen, und von einer Form der Unhörbarkeit zur anderen, die kreisförmige Anordnung der Elemente macht, dass sie nicht linear funktionieren, ist ja logisch: Keine Geschichte. Kein Song. Daher ist auch David Lynchs Musik, auch wenn sie ohne Bilder immer irgendwie unvollkommen, über-einfach oder im Gebrauch der alten Instrumente wie Vocoder und Synthesizer zwanzig Jahre mindestens in der Vergangenheit reicht, in diesem Kreisen zwischen dem mikroskopischen Innen und dem makroskopischen Außen schwer beschäftigt. Lynchs Musik ist das, was zwischen zwei verschiedenen und doch verwandten Formen des Unhörbaren passiert. Man könnte auch sagen, wie in den Filmen wiederum, das Vertraute und das Fremde umkreisen sich. Darauf kann man nicht bauen: „Strange and unproductive thinking“, so der siebente Track. Man kann das als Ironie oder als tragischen Widerspruch ansehen. Und wenn es sich nun um seltsame und unproduktive Musik handelt? Zumindest um Musik, die sich weigert, das zu produzieren, was Musik sonst zu produzieren hat: Identifikatorische Rückkopplung. Ich ist was ich höre ist ich. Was (m)ich „aufbaut“. Aber nicht in einer verrückten Clownzeit!
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Trance ist nicht das richtige Wort dafür,
es handelt sich eher um so etwas wie einen akustischen Klartraum.
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David Lynch ist weder ein Komponist noch ein Musiker, so macht er eine Art von Antimusik. Interessant dabei ist die Fähigkeit Lynchs zugleich dienlich und autonom zu sein, ein vollkommen eigensinniger Teamplayer. Daher ist er einer dieser wunderbaren Brückenbauer, man muss gar nicht jedes Ding mögen, was er macht (obwohl, wenn man mal im Lynch-Kosmos unterwegs ist…) um zu bewundern, wie sich bei ihm Elemente der Pop Kultur und der Kunst, Avantgarde und Naivität begegnen. Wie in seinen Bildern und in seinen Filmen zersetzt er die inneren Konstruktionen einer Sinn-Maschine. Die Musik führt zu nichts, und die Texte haben die unangenehme Eigenschaft, genau das zu sagen, was sie sagen: „Don’t have to tell me, baby/So you go on down the road now/You gonna leave my sight/But I remember you, baby/Each and every night“, und das kippt ins schlichte „I know/You got to go“. (Der Track heißt „I know“.) Das ist genau so wenig schwer zu verstehen wie das „Send me an angel/Save me“ von „Good Day Today“. Nur dass die Ordnung von Story und Gefühl nicht mehr stimmt. Und natürlich auch keine von Refrain, Strophe und Bridge.
Interessant sind bislang die Zusammenarbeiten von Lynch mit Angelo Badalamenti, Marek Zebrowski (bei „Inland Empire“) und natürlich, schon ein Klassiker, mit Danger Mouse und Sparklehors auf „Dark Night of the Soul“. „Crazy Clown Time“ ist sozusagen das erste „Solo-Album“ von David Lynch, das er in seinem eigenen Studio zusammen mit dem Toningenieur und Musiker Dean Hurley (Guitarre, Drums) aufnahm. Da kommt das Lynchistische der Musik gleichsam nackt daher.
„Good Day Today“ wiederum ist ein Track, der schon ebenso wie „I Know“ in den verschiedensten Remixes vorliegt. „So tired of Fire/So tired of smoke“ „Save me“ und „I want to have a good day today“ sind die drei Text-Eckpfeiler, die aus jedem Lynch-Film stammen könnten. Wenn Lynch die Zusammenarbeit mit Karen O. von den Yeah Yeah Yeahs beschreibt als „the horror and sadness of losing someone to other dimensions“ so kann man das direkt übersetzen in eine Musik, die verzweifelt versucht, sich an sich selbst festzuhalten und das nicht einmal in ewigen Wiederholungen und der extremsten Verlangsamung schaffen kann.
Warum ist eigentlich etwas und nicht vielmehr nichts? Diese unangenehme und überflüssige Frage (was soll’s, wir müssen arbeiten, wir wollen uns amüsieren) wird in der Regel durch Götter und ihre Geschichten beantwortet. Aber vor allen Göttern und vor aller Geschichte war immer Nichts, und jenseits von ihnen auch. Die Kunst, diese anmaßende Pseudo-Schöpfung, stellt die Frage neu. Sie stellt etwas her ohne die Hilfe der Götter und ohne die Hilfe der Geschichte. Natürlich ist es zuerst einmal nichts anderes als ein unbestimmtes Gefühl, dass alles, was in David Lynchs Kunst ist (und auch wieder nicht ist), direkt an das Nichts angrenzt. David Lynch erforscht das nicht und erklärt das nicht, sondern lässt es nur spüren. Wenn nämlich Sein gleichbedeutend ist mit Einen-Sinn-Haben, dann lockt uns Lynch auch mit seiner Musik in die aus seinen Filmen bekannte Interpretationsfalle: Wenn die Dinge einen Sinn haben, dann liegt er immer woanders. Und David Lynchs Musik ist der Schatten einer anderen Musik, die es gar nicht gibt. Wir hören sie aber trotzdem. Mehr oder weniger.
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Zwischen dem Sein und dem Nichts gibt es eine Zone,
eine seltsame und fremde Zone.
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„Strange and Unproductive Thinking“ ist dann wieder so eine dieser Lynch-Behauptungen, wie ein Mantra, das im Kreis herum führt, wie aus „Blue Velvet“ oder „Twin Peaks“, und alles in allem geht es darum, wie in den Filmen, das Schöne und das Schreckliche in einer besonderen Weise miteinander zu verbinden, so wie es mittelalterliche Totentänze konnten, Symbolisten, wenn sie gerade einmal von den Salons unbeaufsichtigt waren, manche Surrealisten oder die Exponenten der neuen Unschärfe. Zwischen dem Sein und dem Nichts gibt es eine Zone, eine seltsame und fremde Zone.
Natürlich, dass einem ein Lynch-Film ohne Bilder dazu einfällt, teils Erinnerungen an den verschleppten, fast schon zum Stillstand kommenden Rock’n’Roll oder Delta Blues. Merkwürdigerweise, oder auch gar nicht merkwürdigerweise, kommen David Lynchs Musik und seine Schattenmusik immer am nächsten zueinander, wenn eine Frauenstimme damit verbunden ist. Natürlich: ICH sagen kann diese Musik auf gar keinen Fall. Nicht männlich oder historisch oder diskursiv werden. Am ehesten ist es eine Art Rezitativ der verlorenen Seelen, in wechselnden aber immer unmissverständlich „lynchistischen“ Idiomen. Es ist immer, als wäre es nicht Musik, sondern der Schatten von Musik. Nicht Text, sondern der Schatten von Texten.
Vor dem Nichts haben die Menschen noch mehr Angst als vor Tod und Verdammnis. Wahrscheinlich zu Unrecht. Dass aber alles, das etwas ist (und etwas bedeuten soll) so „müde“ ist, wie David Lynch erklärt, dass es sich zurück zum Nichts sehnt, das kann man sehen und hören bei ihm. „Crazy Clown Time“ kann man als Anleitung zum negativen Denken benutzen. Als Begleitmusik zur Dekonstruktion der Ordnung der Diskurse. Oder dazu, sich und seine Mitbewohner sanft an den Rand der Paranoia zu führen.
Georg Seeßlen
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David Lynch
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